Buchtipp der Woche: Kleine Tragödien

Siegfried Lenz: Die Maske. Erzählungen. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2011, 123 Seiten, 17,99 Euro

Aus dem Quartett der Großmeister der deutschen Nachkriegsliteratur war Siegfried Lenz (85) immer der unspektakulärste, der leiseste und zurückhaltendste Vertreter. Anders als Heinrich Böll, Günter Grass und Martin Walser sorgte Lenz außerhalb des literarischen Lebens fast nie für Schlagzeilen.

Alles, was uns der große Humanist zu sagen hatte, stand in seinen unzähligen Romanen (u.a. „Deutschstunde“, „Heimatmuseum“) und Erzählungen. Zuletzt war Lenz mit der Novelle „Schweigeminute“ (2008) noch einmal ein ganz großer literarischer Wurf gelungen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Den großen Glanz früherer Erzählwerke kann das neue schmale Bändchen mit seinen fünf, knapp gehaltenen Texten nicht versprühen. Wieder sind es auf den ersten Blick harmlose Situationen, die die lenz-typischen „kleinen Tragödien„ auslösen und die Figuren durch ein Wechselbad der Gefühle jagen.
Da ist der Museumswärter Krell, der ein beinahe erotisches Verhältnis zur Kunst pflegt und zum „Trittbrettfahrer“ eines Kunstraubs wird. Nach einem Einbruch ins Museum erliegt er der großen Versuchung und lässt sein wertvolles Lieblingsbild „Antonia mit dem blauen Schal“ kurzerhand verschwinden.
Reichlich Emotionen sind auch in der Titelgeschichte „Die Maske“ im Spiel. Darin geht es zunächst um die behutsame Annäherung von Jan und Lene auf einer norddeutschen Insel. Der Pädagogikstudent weilt als Feriengast seines Großvaters im hohen Norden, als das Techtelmechtel am Rande eines zufälligen „Maskenballs“ beginnt. Ein Schiff aus China hatte einen mit Masken beladenen Container vor der Insel verloren. Bewohner und Feriengäste verschaffen sich maskiert „neue Identitäten“ und entfachen so ein buntes, unkontrolliertes Treiben - eine Gratwanderung zwischen Ausgelassenheit und Aggressivität. Und zwischen Jan und Lene rückt unvermittelt eine Kunststudentin.
Abrupte Wendungen kennzeichnen auch die drei übrigen Geschichten des Bandes. Der Kapitän Klockner steht im Mittelpunkt einer groß angelegten Feier, auf der er als Retter geehrt werden soll, obwohl er selbst durch seine Starrköpfigkeit erst die Notlage seines Schiffes verursacht hat.
Mit dieser Form der inneren Zerrissenheit, einer leidvollen Auseinandersetzung mit der „subjektiven Wahrheit“ bekommt es auch der in einer Klinik weilende Schriftsteller Fred Haller in der Erzählung „Ein Entwurf„ zu tun. Ein Bettnachbar hört ihm und seiner psychisch angeschlagenen Ehefrau zu. Haller liest ihr den erfundenen Lebenslauf des gemeinsamen Sohnes Sven vor, detailliert und mit etlichen Stationen versehen. Hallers Bericht endet dramatisch, doch seinem Bettnachbar gesteht er den für seine Frau erfundenen Schwindel: „Unser Sven ist bei der Geburt gestorben.“ Im abschließenden Text steht ein international bekannter Filmregisseur im Mittelpunkt, der bei einem Interview über sein neues Projekt Auskunft gibt.
Die fünf Erzählungen dieses Bandes sind außerordentlich hübsch arrangiert, unaufgeregt und präzise erzählt, aber dennoch wirkt alles etwas patiniert und angestaubt, wie Schwarz-Weiß-Fotos aus einer ganz fernen Epoche.
„Das Schicksal verzichtet oft auf Kommentare, es begnügt sich damit, zuzuschlagen,“ lässt Lenz den Filmregisseur Voss in der den Band abschließenden Erzählung „Das Interview„ sagen und charakterisiert damit auch ein wenig seine eigenen Texte. Der große Welterklärer wollte er nie sein. Auch das hat den inzwischen 85-jährigen Siegfried Lenz und seine Bücher so sympathisch und authentisch gemacht. Der Glanz seiner fünf neuen Erzählungen ist - gemessen an früheren Werken - deutlich matter ausgefallen. Geblieben sind der menschelnde Charme und die zeitlose Schönheit seiner Sprache.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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