BUCHTIPP DER WOCHE: Nicht ganz schlechter Roman

Helmut Krausser ist einer der umtriebigsten und vielseitigsten Schriftsteller der mittleren Generation. Er hat mit nun 48 Jahren schon seinen zwölften Roman vorgelegt und darüber hinaus auch äußerst fleißig Erzählungen, Gedichte, Tagebücher, Opernlibretti, Hörspiele und Theaterstücke veröffentlicht. Zwei seiner Romane („Fette Welt“ mit Jürgen Vogel und „Der große Bagarozy“ mit Til Schweiger) sind sogar erfolgreich verfilmt worden.

Trotzdem wird der in Eßlingen geborene Autor in der Literaturszene immer noch lediglich als Geheimtipp gehandelt. Wahrscheinlich liegt dies an Kraussers künstlerischen „Formschwankungen“, seinem ständigen Pendeln zwischen hohem künstlerischen Anspruch und klischeehaften Vereinfachungen.
Der Romantitel löst schon ein nicht zu leugnendes Unbehagen aus. Warum heißt es „nicht ganz schlechte“? Und was will Krauser mit dieser verqueren Formulierung tatsächlich ausdrücken?
Nach etwa hundert Seiten weiß man, wohin der Hase läuft. Die beiden Protagonisten sind nicht nur höchst unterschiedlich „gestrickt“, sondern auch Figuren, mit denen man nicht richtig warm werden will. Karl und Max Loewe sind Zwillinge des Jahrgangs 1915 und sollen (so will es Kraussers Holzhammer-Symbolik) am 1. August 1914 (also am Tag der deutschen Mobilmachung) gezeugt worden sein. Sie entstammen einem bürgerlich-liberalen Elternhaus, tendieren aber dennoch beide zu den politischen Extremen. Karl steht dem Kommunismus nahe, wenngleich er von Hitlers Rhetorik beeindruckt ist und lebt im Berliner Arbeiterviertel Wedding. Sein Bruder Max verachtet die institutionalisierte Politik, ist im Geiste ein überzeugter Nietscheinaner, sucht seine Selbstverwirklichung in einem ausschweifenden Sexualleben und tummelt sich vorzugsweise in den Bohèmien-Kreisen rund um den Nollendorfplatz.

Effekthascherei

Und dort lässt Autor Helmut Krausser ganz fix auch noch Alfred Döblin und Gottfried Benn in Max‘ Lebensumfeld aufmarschieren, während Karl später im spanischen Bürgerkrieg George Orwell begegnet. Dieser Promi-Aufmarsch hat allerdings keine handlungstragende Funktion und verbreitet so den Beigeschmack der puren Effekthascherei.
Nicht nur Karl verlässt Berlin in Richtung Spanien, auch Max zieht es in die Ferne - und zwar in die glitzernde Metropole Paris, über die es bei Krausser heißt: „Paris war schlichtweg großartig. Die Stadt erwies sich als noch liberaler, als es selbst Berlin in den goldenen Jahren vor den Nazis gewesen war. Hier tobte das Leben, sexuell wie intellektuell.“ Das ist an Simplifizierungen und abgestandenen Klischees kaum noch zu toppen.
Max führt in Paris mit seiner Lebensgefährtin, der halbjüdischen Prostituierten Ellie, und dem steinreichen Marquis de Polignac eine seltsame Ménage à trois mit einem sündhaft teuren Lebenswandel und pflegen dabei Umgang mit zwielichtigen Kollaborateuren. Das liest sich bis zum dramatischen Ende alles zwar einigermaßen spannend (und durchaus kinofilmtauglich), doch der historische Kontext wirkt bei Krausser lediglich wie ein fein drapiertes Bühnenbild. Dies sticht auch durch die typografische Hervorhebung dieser „erklärenden“ Geschichts-Exkurse sogleich ins Auge des Lesers.

Tragisches Ende
Am Ende lässt Helmut Krausser die Zwillinge auf tragische Weise sterben. Sie kommen Ende August 1939 beim Einsturz einer Besuchertribüne auf einer Pferderennbahn in Paris ums Leben - kurz bevor ihre Überfahrt in die USA starten sollte. Und beerdigt werden die Loewe-Brüder dann am 1. September 1939, also an jenem Tag, als Hitler-Deutschland Polen überfiel. Manchmal kann weniger (in diesem Fall an aufgesetzter Symbolik) tatsächlich mehr sein.
Wenn man noch einmal den Bogen zum vieldeutigen Buchtitel schlägt, lässt sich bilanzieren, dass Helmut Krausser einen „nicht ganz schlechten“ Roman geschrieben hat. Irgendwo zwischen hochambitioniert und kläglich gescheitert ist er gelandet.

Helmut Krausser: Nicht ganz schlechte Menschen. Roman. Dumont Verlag, Köln 2012, 572 Seiten, 22,90 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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