Robert Menasses Roman „Die Erweiterung“
Der Helm des Skanderbeg

„Wann der dritte Band kommt, ist schwer zu sagen, da werde ich zunächst noch einige Zeit in einer anderen europäischen Stadt leben. Mehr möchte ich noch gar nicht sagen, es ist doch jetzt erst der zweite Band erschienen“, erklärte kürzlich der Wiener Schriftsteller Robert Menasse nach Erscheinen des zweiten Bandes seiner geplanten Europa-Roman-Trilogie.

Für den Vorgängerroman „Die Hauptstadt“ (2017), in dem er sich kritisch mit der Bürokratie der Brüsseler EU-Institutionen auseinandergesetzt hatte, war er mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden.
„Ich lebe gern und notwendigerweise auf den Schauplätzen meiner Romane. Und ich versuche, mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen“, so Menasse zum Hintergrund seiner beiden letzten Romane. Für „Die Hauptstadt“ hatte er mehrere Monate in Brüssel logiert, für das nun erschienenen Nachfolgewerk, das die Osterweiterung der EU zum Thema hat, war Menasse für geraume Zeit in Albanien unterwegs.
Der 68-jährige Menasse ist (nicht unwichtig zum Verständnis des vorliegenden Buches) ein glühender Verfechter eines großen geeinten Europas. Er hat lange bevor er als Romancier reüssierte großartige, noch heute lesenswerte Essays wie „Die sozialpartnerschaftliche Ästhetik“ (1990) und „Das Land ohne Eigenschaften“ (1992) vorgelegt. Ist „Die Erweiterung“ nun wirklich ein Roman oder nicht doch eher ein politisch-literarischer Essay?
Eine ganz zentrale symbolische Rolle spielt der Helm des Skanderbeg, ein albanischer Fürst aus dem Mittelalter, der Osteuropa gegen die Osmanen verteidigt hat. Dieser Helm, der als Symbol für ein starkes Albanien steht, ist aus dem kunsthistorischen Museum in Wien entwendet worden.
Menasse verbindet hier Elemente aus Fabel, Märchen und Krimi mit seinen Erlebnissen in der albanischen Hauptstadt Tirana und dem gedanklichen Überbau vom geeinten Europa.
Wir begegnen mehr oder weniger skurril gezeichneten Figuren wie Adam Prawdower, Karl Auer und einem „ZK“ genannten albanischen Regierungschef, der dem realen Edi Rama deutlich nachempfunden ist.
Prawdower arbeitet in der Generaldirektion für Nachbarschaftspolitik und ist ein Kindheitsfreund des polnischen Ministerpräsidenten. Gemeinsam haben sie in jungen Jahren gegen das kommunistische Regime gearbeitet. Nun beklagt Prawdower bei seinem einstigen Freund Mateus anti-europäische Tendenzen und latente Angriffe auf die Pressefreiheit und die unabhängige Justiz.
Je tiefer man in diesem Buch vorwärts schreitet, umso mehr fragt man sich, ob dieses erzählerische Konvolut die adäquate Form für dieses große, hochpolitische Sujet der Osterweiterung der EU ist. Robert Menasse vermischt hier mit starkem Impetus politische Fakten und zwischenmenschliche Beziehungen zu einem beinahe folkloristischen Reigen.
Der österreichische Beamte Karl Auer verliebt sich prompt in die albanische Parlamentarierin Baia Muniq, die ebenso wie etliche andere albanische Figuren, so der Pressesprecher Ismael Lani und die junge Journalistin Ylbere Lenz, auffallend positiv dargestellt werden. Regierungschef „ZK“ steht vor einer Art politischem Stresstest. Er hat in Albanien Reformen angestoßen und das Gros der Bevölkerung auf einen pro-europäischen Kurs gebracht. Frankreich und Polen lässt Menasse zu politischen Spielverderbern werden, zu exponierten anti-europäischen Erweiterungsboykotteuren.
Am Ende befindet sich reichlich Prominenz auf einem vom albanischen Staat gecharterten Kreuzfahrtschiff, das manövrierunfähig (wie die EU??) durchs südliche Mittelmeer schaukelt. „Der Helm des Skanderbeg ist das Symbol für ein geeintes Albanien. Was ist das Symbol für ein geeintes Europa?“, heißt es.
Und zum großen symbolischen Finale lässt Menasse im letzten Satz Antonio Vivaldis Scanderbeg-Oper aus den Schiffslautsprechern ertönen. Das wirkt alles wenig überzeugend, ziemlich überdreht, wie mit ganz dickem Pinsel gemalt und hinterlässt den faden Beigeschmack der Symbolik nach Holzhammer-Methode.

Robert Menasse: Die Erweiterung. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, 653 Seiten, 28 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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