Vor 100 Jahren wurde Johannes Mario Simmel geboren
Gehirne und Herzen erreichen

"Ein Schriftsteller muss so schreiben, dass seine Sätze die Gehirne und die Herzen der Leser erreichen, damit sie mit Entsetzen und Zorn endlich ganz klar zu erkennen und mitzuleiden imstande sind." So idealistisch charakterisierte Bestsellerautor Johannes Mario Simmel, der nicht müde wurde, auf die aufklärerische Funktion der Literatur zu pochen, bis an sein Lebensende seine Rolle als Autor.

Simmel, der am 7. April 1924 in Wien als Sohn eines Kaufmanns und einer Lektorin geboren wurde und seine letzten beiden Lebensjahrzehnte im schweizerischen Zug lebte, hat sich mit seinen Werken immer in die öffentlichen Diskussionen eingemischt und ist in manches Fettnäpfchen getreten. Mit seinem 2001 erschienenen Aufsatzband "Die Bienen sind verrückt geworden" löste er einen heftigen Streit mit der brandenburgischen Ausländerbeauftragten Almuth Berger aus, der darin mündete, dass sich Simmel bei der Politikerin öffentlich entschuldigen und der Verlag einige Passagen des Werkes streichen musste. In seinem mutigen Eintreten gegen den Rechtsradikalismus hatte Simmel der Politikerin falsche Zitate untergeschoben.
"In Deutschland tut man sich schwer, das Unterhaltende ernst zu nehmen", haderte der Erfolgsschriftsteller noch 1986 in einem Interview mit den deutschen Kritikern, die mehr als zwei Jahrzehnte lang unisono über seine Bücher die Nase rümpften und ihn mit allerlei despektierlichen Attributen belegten: "König des Kitsches" und "Klischeefabrikant" wurde er genannt und seine Werke als "Opium für das Volk" bezeichnet.
Nur ein Jahr nach Simmels öffentlicher Klage kam es zur Kehrtwende in der Literaturkritik. Auslöser war der Roman "Mit den Clowns kamen die Tränen", in dem er die Probleme der Gen-Manipulation thematisierte. "Der Spiegel" nannte ihn plötzlich einen "scharfäugigen Chronisten unserer Zeit", die "FAZ" einen "demokratisch-engagierten Gebrauchsschriftsteller".
Die Wahrheit lag - wie so oft im Leben - auf halber Strecke. Weder waren die verschmähten Frühwerke so schlecht, wie sie in den Verrissen dargestellt wurden, noch waren die in den Feuilletons verhalten gepriesenen Spätwerke wirklich so überzeugend, wie es der literarischen Öffentlichkeit nach dem kollektiven Sinneswandel "verkauft" wurde.
Selbstverständlich war Simmel das gelobte gesellschaftliche Engagement darin nicht abzusprechen, doch gerade in seinen leidenschaftlichen Romanplädoyers gegen die Umweltzerstörung ("Bitte lasst die Blumen leben", 1986, und "Im Sommer sang zum letzten Mal die Lerche", 1990) und seinen im Nachwendedeutschland angesiedelten Roman über das Wiederaufleben des Rechtsradikalismus ("Auch wenn ich lache, muss ich weinen", 1993) arbeitet er mit Simplifizierungen, die in stereotypen Kategorisierungen von "Gut" und "Böse" münden.
Simmel debütierte bereits 1947 mit einem nur wenig beachteten Novellenband. Danach war er als Redakteur tätig, und sein erster Roman ("Mich wundert, dass ich so fröhlich bin") machte den Regisseur Willi Forst auf ihn aufmerksam, der ihn als Drehbuchautor engagierte.
1950 zog Simmel in die Bundesrepublik um und wurde von der Illustrierten "Quick" als schreibende "Allzweckwaffe" verpflichtet. Er reiste als Reporter rund um den Globus. Den so gewonnenen Erfahrungsschatz ließ er später in seine Erfolgsromane einfließen.
Über 75 Millionen Exemplare seiner Bücher sind weltweit über die Ladentische gegangen. Titel wie "Es muss nicht immer Kaviar sein" (1960) - mit O.W. Fischer verfilmt - "Und Jimmy ging zum Regenbogen" (1975) oder "Hurra, wir leben noch" (1978) - von Peter Zadek als Filmrevue inszeniert - entwickelten sich zu Longsellern. Seine letzten beiden Romane "Der Mann, der die Mandelbäumchen malte" (1998) und "Liebe ist die letzte Brücke" (1999) fanden kein großes Echo mehr.
Simmels öffentliche Einmischungen behielten dagegen bis ins hohe Alter reichlich Zündstoff. So erklärte er im Juni 2001 in einem Interview mit der "Wiener Zeitung": "Wenn Sie in die Politik schauen, haben Sie das Gefühl, es mit schwerstkriminellen Psychopathen zu tun zu haben." Vor zwei Wochen gehörte der Jubilar zu den Erstunterzeichnern eines öffentlichen Briefes, in dem sich hochkarätige österreichische Intellektuelle gegen eine Koalition der Sozialdemokraten mit der Haider-Partei FPÖ im Bundesland Kärnten aussprachen.
Ein an Martin Walser gerichteter Stoßseufzer von Marcel Reich-Ranicki lässt sich auch an Simmel adressieren: "Es ist schon ein Kreuz mit ihm, aber wie gut, dass wir ihn haben." Man muss die Simmelschen Werke nicht alle mögen, aber der Autor verdient es, mit Respekt und dem nötigen Ernst behandelt zu werden. Am 1. Januar 2009 ist der streitbare und umstrittene Bestsellerautor Johannes Mario Simmel im Alter von 84 Jahren in Luzern gestorben.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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