Ernst-Wilhelm Händlers Roman „Das Geld spricht“
Ich habe die Macht

Ernst-Wilhelm Händler ist ein absolut singulärer Typ im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Der 66-jährige studierte Philosoph und Ökonom leitete bis 2001 in Regensburg ein Familienunternehmen für Elektrotechnik und hat – sozusagen im Nebenjob – später acht Romane verfasst – u.a. „Der Überlebende“ (2013), ein dystopisches Werk über die Auswüchse des Turbo-Kapitalismus und dessen selbstzerstörerische Kräfte.

Händler setzt nun noch eins drauf, macht aus dem Geld ein sprechendes und denkendes Medium mit durchaus menschlichen Attitüden, das uns mal kommentierend, mal lamentierend und mal simpel narrativ durch die Handlung führt. Das mag nicht nach Jedermanns Gusto sein und erfordert ein Höchstmaß an Abstraktionsvermögen und auch eine gehörige Portion Ausdauer, denn Händler liebt die erzählerischen Schleifen und die ausschweifenden philosophischen Reflexionen.
„Der Banker denkt, dass das schlimmer Kitsch ist, aber dass er vielleicht von dem Kitsch profitieren kann“, heißt es durchaus charakteristisch für die gesamte Handlung. Profit ist das Nonplusultra im "entfesselten Kapitalismus", wie Händler die von ihm selbst entworfene Erzählwelt bezeichnet.
Ein Unternehmer steht vor der schwierigen Aufgabe, eine halbe Milliarde Euro in Zeiten der Niedrigzinsphase möglichst gewinnbringend anzulegen. Händler offeriert mehrere Möglichkeiten. Da ist der Banker, der den Unternehmer einst belächelt und abgewiesen hat, dann gibt es den "Nano-Mann", der in New York überaus erfolgreich ist und schließlich Banana Clip, eine leicht exaltierte Fondsmanagerin aus Düsseldorf, über die es heißt: „Sie verkündet, sie sei intelligent, weil sie die Fähigkeit habe, entgegengesetzte Ideen gleichzeitig im Kopf zu haben, und trotzdem zu funktionieren."
Man merkt rasch an den Namen und an den sprechblasenähnlichen Statements der Figuren, dass Autor Händler äußerst spielerisch (manchmal auch arg plakativ) mit seinem Stoff umgeht.
Die Finanzjongleure erhalten bei ihm einen kreativen Anstrich, sie kommen wie Künstler daher, die aus aus unterschiedlichen Interpretationen von Zahlenketten und Wahrscheinlichkeitsrechnungen wohlklingende, sprich Gewinne verheißende Börsen-Poesie in Twitter-Format verfassen.
"Ich habe die Macht", spricht das Geld, das sich als übergeordnete Erzähl-Instanz (wie eine Reinkarnation des Soziologen Niklas Luhmann) nachhaltig und unübersehbar, weil in Versalien in den Text eingefügt, zu Wort meldet.
Risiko oder Sicherheit? Die Unternehmens- bzw. Anlagestrategien sagen viel über den Charakter der Entscheider aus. Neid, Missgunst, Hass, Erfolgsdruck, aber auch Versagensängste und handfeste existenzielle Nöte – alles wird von den Geldströmen ausgelöst.
Die Kontrolle und die Transparenz für Otto-Normalverbraucher scheint völlig verloren zu gehen. Der An – und Verkauf von Aktienpaketen und hochspekulativen Fonds gigantischen Ausmaßes geschieht innerhalb von Sekunden, ein Monitorwahn breitet sich geradezu epidemisch aus. Milliarden werden mit einem Mausklick verschoben, ein absurd-gefährliches „Spiel“ mit der Macht. Abseits von rationalen Anlagestrategien entsteht ein virtuelles Mega-Monopoly mit nicht zu unterschätzendem Sucht-Potenzial.
An der einen oder anderen Stelle („Die klassische monetaristische Sicht, wonach Quantitative easing in dem stattfindenden Umfang zu hoher Inflation führt, ist ebenfalls falsifiziert.") übertreibt Händler es ein wenig mit dem ökonomischen Fach-Chinesisch.
Dieser manchmal etwas sperrige Roman ist gewiss kein Fast-Food-Pageturner. Und dennoch: Wer bereit ist, sich auf diese kühne Romankonstruktion einzulassen, wer Händlers permanentes Pendeln zwischen Ironie und Zynismus goutiert, der findet hier ein monströses, anregendes Gedankenkonvolut über die extremen Auswüchse des Kapitalismus.
Händler evoziert ein Ambiente der eisigen Kälte – mit Figuren, die nur Emotionen vortäuschen, und über allem thront (hier sogar als sprechendes Medium ein wenig vermenschlicht) die Allmacht des Geldes.

Ernst-Wilhelm Händler: Das Geld spricht. Roman. S. Fischer Verlag, 398 Seiten, 22 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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