Frédéric Beigbeders Roman „Der Mann, der vor Lachen weinte“
Im Bademantel im Studio 511

„Humor ist eine Diktatur, denn er duldet keinen Einspruch“, lautet einer der markigen und provozierenden Sätze aus dem neuen Roman des französischen Erfolgsschriftstellers Frédéric Beigbeder.

Im Nachbarland hat der 55-jährige Autor, der hierzulande zuletzt mit dem stark autobiografischen Erzählessay „Endlos leben“ (2018) für Furore gesorgt hatte, beinahe den Status eines Popstars erreicht. 2001 hatte Beigbeder mit seinem Debütroman "99 Francs" (dt.: "39,90"), in dem er schonungslos über die verlogene Scheinwelt in der Werbeindustrie berichtete, einen Riesenerfolg gelandet. Seitdem genießt er eine Dauerpräsenz in den französischen Medien. Beigbeder mag die Selbstinszenierung, die maßlosen Übertreibungen und die selbst geschneiderte Rolle als intellektueller Daueropponent.
Wie nicht anders zu erwarten, hält er auch in seinem neuen Roman an diesem erfolgreichen Strickmuster fest. Nur mäßig getarnt hinter der Figur des Octave Pagano, bekannt aus dem erfolgreichen Erstling von vor 20 Jahren, berichtet (nein, plaudert!) Beigbeder über seine Jahre als Radiokolumnist. Die Figur ist mit dem Autor gealtert, Sex und Drogen bestimmen den Alltag, sich selbst bezeichnet Octave als „Salonkommunist“. Jeden Donnerstag präsentiert der Protagonist in seiner Morgenkolumne rund vier Millionen Zuhörern Weisheiten aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Wichtig ist, es muss humorvoll sein.
Octave ist selbstverliebt, eitel und genusssüchtig, irgendwann kann er die aufgesetzte Fröhlichkeit der Morgensendung nicht mehr ertragen. Er bevorzugt stattdessen ausgedehnte Streifzüge durch das (kostspielige) Pariser Nachtleben im 8. Arrondissement, rund um den Arc de Triomphe. „Der natürliche Zustand des Mannes ist die Resignation. Er muss sich damit abfinden zu begehren, was er nicht haben wird“, bekennt der dauergefrustete Protagonist.
Während die „Gilets jaunes“ (Gelbwesten) durch Paris ziehen, gegen die Spaltung der französischen Gesellschaft protestieren und in den „angesagten“ Vierteln Nobelrestaurants in Brand stecken, sitzen die (vor allem) linken Journalisten zusammen und wetteifern um die besten politischen Kalauer. Octave ist angewidert von der Scheinheiligkeit und der Doppelmoral und taucht nach einer durchzechten Nacht ohne Manuskript, ungeduscht im Bademantel im Studio 511 auf und stottert etwas weder Lustiges noch Tiefsinniges ins Mikrophon. Er wird sofort (quasi live) entlassen.
Beigbeder schreibt wieder ganz viel über sich und seinen aufgestauten Unmut gegenüber der heuchlerischen, ziemlich selbstverliebt beschriebenen politischen Linken. Ausgangspunkt dafür ist eine ausgeprägte Selbstüberhöhung. Beigbeder hält sich und seine Octave-Figur für einflussreicher und bedeutsamer als sie tatsächlich in den sich wandelnden Zeiten sind. Er zerfetzt sich schreibend selbst (hier nur seine Hauptfigur Octave Pagano) und geht bis an den Rand der intellektuellen Selbstdemontage. Er gibt vor, zu hassen, was er eigentlich liebt – diesen ganzen Schickimicki-Rummel der Pariser Intellektuellen-Szene, das Sehen und Gesehenwerden, die inszenierte Aufmerksamkeitshascherei.
„Überall schwingt die große Heiterkeit das Zepter. Ernsthaftigkeit ist verboten. Alles muss wahnsinnig komisch sein“, bilanziert die Hauptfigur mit deutlich resignativem Unterton.
Frédéric Beigbeder hat erneut sein großes Potenzial als querdenkender Provokateur ausgeschöpft. Er schwimmt mit großer Ausdauer gegen die heftigen Ströme und Strudel des Zeitgeistes. Schreibend grätscht er mit offener Sohle (die Metapher aus dem Fußball sei gestattet) gegen die humor-zentrierten Linksintellektuellen. Das ist keine Filigran-Literatur, sondern zornige Rustikalprosa. Kein Platz für Glacé-Handschuhe, hier wird teilweise mit dem Holzhammer argumentiert. Aber man fragt sich doch händeringend: Ist das authentisches Beigbeder-Denken oder nur eine Pose durch den Blickwinkel des Octave?
Ein Buch voller Widersprüche, das den Leser aufwühlt und in einem seltsam disparaten Zustand zurück lässt. Man möchte Beigbeder am liebsten an Lessings „Minna von Barnhelm“ erinnern. Da heißt es: "Kann man denn nicht lachend auch sehr ernsthaft sein?"

Frédéric Beigbeder: Der Mann, der vor Lachen weinte. Roman. Aus dem Französischen von Claudia Marquardt. Piper Verlag, München 2021, 318 Seiten, 22 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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