Meister des psychologischen Realismus


Zum Tod des Schriftstellers Dieter Wellershoff

„Ohne Lebenserfahrung könnte man gewiss nicht so schreiben, wie ich das tue. Das heißt aber nicht, dass ich in meinen Texten ständig eigene Lebensprobleme ausagiere. Wenn der Autor wissen will, was an den Menschen dran ist, muss er sie in Schwierigkeiten bringen“, beschrieb Dieter Wellershoff einst sein dichterisches Credo.

Und so lässt sich ohne waghalsige Interpretationsartistik eine verbindende Motivklammer vom Frühwerk „Ein schöner Tag“ (1966) bis zu seinem letzten Roman „Der Himmel ist kein Ort“ (2009) setzen. Es ging Wellershoff stets um die kleinen Alltags-Katastrophen, um zwischenmenschliche Störfeuer, um winzige Nadelstiche, die ein seelisches Ungleichgewicht auslösen können.
Im Jahr 2000 hatte Wellershoff, der am 3. November 1925 in Neuss geboren wurde, mit „Der Liebeswunsch“ ein absolutes Meisterwerk des psychologischen Realismus vorgelegt - mit authentischen Dialogen, bestechenden Menschenbildern, alternierenden Erzählperspektiven und einer klaren, zupackend präzisen Sprache. „Vom ersten Einfall bis zum Beginn des Schreibens vergingen ungefähr fünfzehn Jahre. Und dann dauerte es noch einmal eineinhalb Jahre bis das Buch fertig war“, bekannte der Autor. Sein großes Werk krönte er 2009 noch einmal mit dem fein inszenierten Roman „Der Himmel ist kein Ort“, der um den innerlich zerrissenen Pfarrer Henrichsen und den unter schwerem Verdacht geratenen Lehrer Karbe kreist und der (und dies war ein Novum) überaus spannend zu lesen war.
Dieter Wellershoff schien jedes Wort auf die berühmte „Goldwaage“ zu legen, seine Akribie wurde in der Vergangenheit als „theorielastig“ und seine Bücher als „ingenieurhafte Prosa“ bezeichnet.
„Ich will herausbekommen, was ich aufgrund meines Lebenswissens über das Leben anderer Menschen sagen kann, und zwar in einem Erkenntnisprozess, bei dem sich Einfühlung und Analyse untrennbar mit Wahrnehmung und Phantasie mischen“, hatte der Autor vor einigen Jahren erklärt. Wellershoff begleitete die Literatur mehr als 60 Jahre aus den verschiedensten Perspektiven - als Wissenschaftler (1952 Promotion über Gottfried Benn), Lektor (zwei Jahrzehnte bei Kiepenheuer und Witsch), Essayist und Autor.
Nach der Veröffentlichung der Romane „Ein schöner Tag“ und „Die Schattengrenze“ (1969) bildete sich in Wellershoffs Dunstkreis die „Kölner Schule“ des neuen Realismus, der Schriftsteller wie Günter Herburger und die verstorbenen Günter Seuren, Nicolas Born und Rolf-Dieter Brinkmann angehörten.
„Die Sirene“ (1980), „Der Sieger nimmt alles“ (1983) und das Kriegserinnerungsbuch „Der Ernstfall“ (1995) waren weitere herausragende Werke des bis zu seinem Tod in der Kölner Neustadt lebenden ungekrönten Königs des psychologischen Realismus.
Zu seinem 90. Geburtstag war unter dem Titel " Im Dickicht des Lebens" eine Sammlung mit ausgewählten Erzählungen erschienen – versehen mit einem Vorwort des Schriftstellerkollegen Peter Henning. Am Freitag ist Dieter Wellershoff im Alter von 92 Jahren in Köln verstorben.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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