David Schalkos Roman „Bad Regina“
Ritt durch den Neurosen-Zoo

David Schalko weiß, wie man spannende Geschichten „baut“, humorvolle Dialoge platziert und dennoch ein ernsthaftes Sujet im Fokus hat. Kein Wunder, der 47-jährige Wiener, der als Werbetexter begann, hat sich in jüngerer Vergangenheit als Autor der erfolgreichen Fernsehserien "Braunschlag", "Altes Geld" und "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" einen Namen gemacht.

In seinem fünften Roman entführt er die Leser nun in den vom Verfall gezeichneten, ehemals mondänen Ort Bad Regina in den Hohen Tauern. Diese Gemeinde, die dem realen Bad Gastein nicht unähnlich ist, lebte vom Tourismus und von finanzstarken Zweitresidenten. Hier gaben sich Adlige, die politische und kulturelle Schickeria und Industrielle aus ganz Europa über viele Jahrzehnte ein Stelldichein.
Schalko inszeniert ein wahres Untergangsszenario, in dem es um mehr als nur einen österreichischen Kurort geht. Die Zerstörung der europäischen Kultur wird von einigen Figuren prophezeit, weil eine „feindliche Übernahme“ aus Fernost den Ort in seiner Existenz bedroht. Von Verfall und Niedergang sind die einstigen Prachtbauten in gleichem Maße betroffen wie die Bewohner des Ortes. Viele „Eingeborene“ haben ihre Immobilien an den dubiosen Investor Chen verkauft, ohne zu wissen, was der mit Bad Regina vor hat. Ein ganzer Ort wird zu einem riesigen Spekulationsobjekt. „Niemand von den verbliebenen kannte ihn. Niemand wusste, was er vorhatte. Aber alle nahmen sein Angebot an.“
44 hartgesottene Einwohner bleiben zurück in Bad Regina. Alle haben (warum eigentlich?) kleine oder große Macken, die Schalko zum Gegenstand von erzählerischen Schlenkern macht. Dieser Ritt durch den „Neurosen-Zoo“ bietet eine Mischung aus erzählten Sketchen und den Wirtshaustheken abgelauschten Kalauern.
Da ist der vorbestrafte Pfarrer Helge, der nun über Moral predigt, ein Zahnarzt, dem es bei der Behandlung vor allem um den eigenen prall gefüllten Geldbeutel geht, die Lehrerin Grün, die sich von einem Schüler schwängern ließ, der Gastronom Moschinger, der Thomas Bernhards Lederhose ersteigert hat, sich als sprücheklopfender Epigon des Dichters versucht und einen syrischen Flüchtling aufnimmt. „Österreich ist eine Geisteskrankheit. Dem Österreicher fehlt ein Gen. Er hat kein Unrechtsbewusstsein.“ Dagegen wettert der Bürgermeister Zesch, ein stramm nationaler Poltergeist, der sich als Bewahrer von Recht(s) und Ordnung aufschwingt.
Der eigentliche Protagonist und Gegenspieler Chens ist der Ex-Musiker und Disco-Betreiber Othmar, ein Alt-Linker, der vom Pflegegeld für den einst angesagten, jetzt (nach einem unter Drogeneinfluss stattgefundenen Skiunfall) im Koma liegenden englischen Techno-DJ Alpha lebt. Othmars Freundin Selma ist an Krebs erkrankt, aber dennoch eine im Alltag äußerst agile und umtriebige Person: “Sie spielten Liebe. Weil kein anderer verfügbar war.“
Selma ist es auch, die sich um den im Koma liegenden DJ kümmert: „Alle zwei Wochen kam Selma und restaurierte ihn.“ Über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten, in einem TV-Film huschen solch flapsige und geschmacklose Sprüche im Nu am Zuschauer vorbei. In einem Roman hält man allerdings inne, liest noch einmal und schluckt erneut, wenn es über den verunglückten Engländer heißt, dass er einen Blick habe wie „eine ausgefädelte Tonbandkassette".

Ensemble bunter Harlekine

David Schalko präsentiert uns hier ganz gewiss kein ästhetisches Fünf-Sterne-Menü, sein Roman streift bisweilen die Grenze zum Klamauk, transportiert aber auch jede Menge Gesellschaftskritik. Rechtes Gedankengut wird effektvoll paraphrasiert und der Lächerlichkeit preisgegeben. Es fehlen allerdings die identitätsstiftenden Figuren, der Autor belässt es (vermutlich beabsichtigt) bei einem Ensemble bunter Harlekine. Schalkos Anti-Heimatroman schwankt dabei unentschieden hin und her zwischen funkelnder Ironie und brachialer Kraftmeierei.
Am Ende stellt sich gar heraus, dass das übermächtige Feindbild in Person des Investors Chen nicht aus China stammt, sondern zu einer in achter Generation im oberösterreichischen Hallstatt lebenden Familie gehört. Ist das ein Trost nach dieser emotionalen Achterbahnfahrt? Wohl kaum. Da halten wir uns eher an den letzten Satz des Romans: „Der Wasserfall rauschte, so wie er immer rauschte.“

David Schalko: Bad Regina. Roman. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2021, 397 Seiten, 24 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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