Zum Tod des Dramatikers Edward Bond
Theater ist Aufwachen

Wer Shakespeare auf der Bühne sterben ließ, war ein mutiger Mann sein, für den es keine Tabus zu geben schien. In "Bingo" (1973) schickte Edward Bond Hamlets geistigen Vater in den Gifttod - als Strafe, weil er sich nicht an die humane Botschaft seiner Stücke gehalten habe.

Bond seinerseits hat auf der Bühne stets provoziert. Renommierte Regisseure wie Peter Stein, Luc Bondy, Veit Relin und Peter Palitzsch inszenierten in den 1960er und 1970er Jahren die deutschen Erstaufführungen seiner verstörenden Theaterstücke, in denen der scheinbare Antagonismus von Gewalt und Mitleid aufgehoben wurde und die bei der Kritik ein nachhaltiges Echo auslösten. 1967 wurde Bond von Michelangelo Antonioni gebeten, am Drehbuch für seinen Erfolgsfilm „Blow Up“ mitzuwirken. Außerdem hat er in den 1970er Jahren zusammen mit dem Komponisten Hans Werner Henze die Textvorlagen für drei Opern verfasst. Zuletzt war Bonds Ruhm etwas verblasst, man fand nur noch selten seine Stücke auf den Spielplänen deutschsprachiger Bühnen.
„Nur eines hält uns bei Vernunft. Das Mitleid - der Mensch ohne Mitleid ist ein Wahnsinniger", lässt der Dramatiker Edward Bond seinen „Lear" (1971) bekennen, dem zuvor von seinen revoltierenden Töchtern die Augen ausgestochen worden waren.
Edward Bond, der am 18. Juni 1934 in Holloway geboren wurde, war zwar kein Revolutionär des Theaters. Trotzdem stießen seine Stücke in der britischen Öffentlichkeit zumeist auf harsche Kritik. Sein Erstling „Die Hochzeit des Papstes" wurde 1962 nur ein einziges Mal für ein handverlesenes Publikum im Londoner Royal Court Theatre aufgeführt. Der Arbeitersohn aus der Londoner Vorstadt Holloway, der mit 15 Jahren entnervt die Schule verließ und mit 23 Jahren zu schreiben begann, war ein experimentierender Autodidakt. Bond versuchte die Gesellschaftskritik eines Edward Albee mit dem absurden Theater Samuel Becketts und der Brechtschen Bühnendidaktik zu verbinden.
„Woher diese Stimme des Schreckens? Eines Lebenden Stimme ist es. Den Toten bleiben solche Leiden erspart", bekennt Mafanwy Price, eine Frau in den Dreißigern, in Edward Bonds schauriger Komödie „Die See" (1973). Gewalt und Schrecken waren zentrale Motive in Bonds Werken. „Theater ist Aufwachen", erklärte der Dramatiker, der auf die Schockwirkung beim Publikum setzt, in einem Interview.
Am grausamsten geht es in „Gerettet" (1965) zu, wo eine Horde barbarischer Teenager einen Säugling durch gezielte Steinwürfe erschlägt. Das war ebenso wenig etwas für ästhetische Feingeister wie das 1968 in London uraufgeführte Stück „Trauer zu früh", in dem ein siamesisches Prinzenpaar auftaucht, einer der Prinzen stirbt und fortan als Skelett an der Hüfte des Bruders über die Bühne gezerrt wird. Die Zwillinge fungieren als Metapher für das zwiegespaltene Individuum.
Nur in Extremsituationen, so Bonds These, könne der Mensch sich selbst erkennen. Extrem war auch seine Mitte der 1970er Jahre vollzogene Wandlung, als er unter dem Eindruck des Vietnam-Krieges mit Stücken wie „Der Irre" (1975), „Das Bündel" (1978) und „Sommer" (1982) zum klassenkämpferischen Apologeten des Sozialismus mutierte. „Hinter unserem Tun war eine Absicht, ein Ziel - das haben die jungen Autoren heute nicht mehr", verteidigte Bond noch im Jahr 2000 in einem Interview seine auf politisches Boulevardtheaterniveau gesunkenen Stücke. Seit Anfang der 1990er Jahre schrieb er „pädagogische Fernsehspiele" für die BBC.
Edward Bonds so verheißungsvoll begonnene Dramatikerkarriere führte von den moralischen Lehrstücken (leider) später zu den agitatorischen Leerstücken. Am Montag ist Edward Bond im Alter von 89 Jahren in der Nähe von Cambridge gestorben.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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