„Istanbul“ in den Kammerspielen des Schauspielhauses ist ein erfrischend neuer Blick auf das Verhältnis von Türken und Deutschen – und eine Ode an die Macht der Popmusik

Klaus Gruber (Roland Riebeling, zweiter von links) braucht einige Zeit, um in Istanbul heimisch zu werden. | Foto: Küster
  • Klaus Gruber (Roland Riebeling, zweiter von links) braucht einige Zeit, um in Istanbul heimisch zu werden.
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Sezen Aksu, die 1977 ihr erstes Studioalbum veröffentlicht hat, hat Generationen von Türken den Soundtrack zu ihrem Leben geliefert. Deutschen Popfans ohne türkischen Migrationshintergrund ist sie dagegen kaum bekannt. Das könnte sich nun ändern: In den Kammerspielen des Schauspielhauses setzt Regisseurin Selen Kara der „türkischen Madonna“ mit dem Liederabend „Istanbul“ ein Denkmal. Die musikalische Leitung liegt bei Torsten Kindermann; den Text des Stückes hat Akin E. Sipal verfasst.

Kara und Kindermann, auch im Leben ein Paar, haben der Rahmenhandlung ihres Liederabends eine interessante Idee zugrunde gelegt: Das Wirtschaftswunder findet nicht in Deutschland, sondern in der Türkei statt. In den sechziger Jahren kommt der Bochumer Klaus Gruber (Roland Riebeling) als „Gastarbeiter“ nach Istanbul. Seine Frau Luise (Tanja Schleiff) und die Kinder folgen ihm bald. Anfängliche Schwierigkeiten werden nach und nach überwunden und die Familie lebt sich ein. Irgendwann sprechen die Kinder besser Türkisch als Deutsch. Die Familie wird in der pulsierenden Stadt heimisch. Dennoch bleibt ein Zwiespalt: Klaus baut weiter am Haus in Bochum, obwohl er nicht mehr ernsthaft vorhat, mit seiner Familie nach Deutschland zurückzukehren. Als er schließlich stirbt, fragt sich Luise, ob sie ihn, der zwei Drittel seines Lebens in der Türkei verbracht hat, nicht doch in Bochum begraben soll.

Bereits in Bremen ein Erfolg

Der Liederabend „Istanbul“ wurde bereits 2015 sehr erfolgreich in Bremen realisiert und läuft dort noch immer. Die Geschichte wurde für die Kammerspiele an Bochumer Verhältnisse angepasst, etwa wenn Klaus verzweifelt versucht, Bohnenkaffee, der in der Türkei weit schwieriger zu bekommen ist als Tee, aufzutreiben, was dadurch erschwert wird, dass er zu diesem Zeitpunkt noch kaum die Landessprache spricht. Den Kaffee möchte er stilecht aus einer VfL-Bochum-Tasse genießen. Der Hintergrund gerade dieser Szene ist durchaus ernst: Türkische Gastarbeiter berichten, wie schwierig es in ihrer Anfangszeit in Deutschland für sie war, Tee oder Geflügelfleisch einzukaufen.
Die Verfremdung – deutsche Arbeitsmigranten suchen ihr Glück in der prosperierenden Türkei, ohne je ganz heimisch zu werden – wirft ein neues Licht auf scheinbar Selbstverständliches. Dass das Ganze trotzdem ausgesprochen beschwingt daherkommt, liegt an den Liedern Sezen Aksus, die die Schauspieler überzeugend performen. Die Songs sind, was die Texte betrifft, teilweise so offensiv, dass es einer Ina Deter die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Und das will ja etwas heißen.

Termine
„Istanbul“ ist am Sonntag, 29. Oktober, um 19 Uhr wieder in den Kammerspielen des Schauspielhauses, Königsallee 15, zu sehen.
weitere Termine: Mittwoch, 8. November, 19.30 Uhr; Freitag, 10. November, 19.30 Uhr; Samstag, 11. November, 19.30 Uhr; Mittwoch, 22. November, 19.30 Uhr; Sonntag, 26. November, 19 Uhr; Dienstag, 5. Dezember, 19.30 Uhr; Sonntag, 10. Dezember, 19 Uhr; Sonntag, 17. Dezember, 17 Uhr; Freitag, 22. Dezember, 19.30 Uhr; Montag, 25. Dezember, 18 Uhr; Sonntag, 31. Dezember, 17 und 20.45 Uhr.
Die Theaterkasse ist unter Tel.: 33 33 55 55 zu erreichen.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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