Junges Schauspiel Bochum
Monodrama „Mädchenschrift“ oder „Ab wann ist man eigentlich erwachsen?“

Romy Vreden in "Mädchenschrift". Foto:  JSP / Antoinette Gude.
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BOCHUM. Die Pandemie hat auch am Theater viel verzögert:

Ziemlich genau vor zwei Jahren schon war das „Theaterrevier in der Prinz-Regent-Straße“ als feste Spielstätte des Jungen Schauspielhauses Bochum im Süden der Stadt eingeweiht worden. Und hatte sich sofort in die Arbeit gestürzt, doch mussten auch fürs eigenständige Jugend-Theater wegen Covid viele Veranstaltungen verschoben werden. „Zoom“-Konferenzen halfen am Bildschirm den Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen zu halten, die ja als „Drama Control“ das Programm im Theaterrevier mitgestalten.

Doch an diesem Premierenabend nun zu Spielzeit-Beginn 22/23 ist die lange Durststrecke vergessen. (Und das nicht nur, weil das Schauspielhaus Bochum unter Gesamtleiter Johan Simons mal wieder zum besten Theater in NRW gewählt wurde. Stolz erschien er auch zu dieser Premiere, noch lockerer als je zuvor).

„Drama Control“ hat gemeinsam mit der Leiterin des Jungen Schauspielhauses Cathrin Rose ein Theaterstück in Auftrag gegeben, das sich einem, für alle ganz großem Thema widmet: Und das bei allen DC-Mitgliedern besonderen Anklang fand:

Das Erwachsenwerden im Allgemeinen. Und im ganz Besonderen für die weibliche Hälfte der Welt: Der heiß-kalte und aufwühlende „Fach- und Rollen-Wechsel“ vom Kind zur Frau.

Behutsam und professionell umgesetzt von der beauftragten Autorin Özlem Özgül Dündar (Jahrgang 1983 aus Solingen), die schon mit ihrem Lyrik-Debüt „gedanken zerren“ oder ihrem Hörspiel „türken feuer“ Aufsehen erregte und mehrfach ausgezeichnet wurde.

Die Regie übernahm keine geringere als die designierte Intendantin Selen Kara, die im nächsten Jahr mit Beginn der Spielzeit 2023/24 gemeinsam mit Christina Zintl in einer weiblichen Doppelspitze die Schauspiel-Bühnen im benachbarten Essen gestalten wird.

Wir sprachen mit ihr nach der Premiere (die - das nur vorweg – sehr umjubelt war) über das Entstehen von „Mädchenschrift“. Und der Applaus setzte sich fort als die einzige Darstellerin, Simons´ Ensemble-Mitglied Romy Vreden nach draußen zur Freilicht-Premierenfeier kam. Und ihr Schauspielerinnen-Glück kaum fassen konnte.

Auch Selen Kara war noch sichtlich vom Applaus getragen, als sie uns vom Entstehen der Inszenierung berichtet:

„Wir haben lange nach passenden Theaterstücken gesucht. Und durch die Gespräche mit „Drama Control“ waren viele interessante Themen angerissen worden. Aber warum nach Stücken suchen, wenn solche großartigen Themen im Raum stehen. Besser wir suchen jemanden, der diese Themen gut bearbeiten kann. Cathrin Rose hatte nach der Lektüre von Dündars „gedanken zerren“ die Autorin angerufen. Und Özlem Dündar machte aus all ihren Gesprächsnotizen mit den Bochumer Drama-Control-Kids eine erste Text-Fassung. Die wir drei Wochen vor den Sommerferien bekamen. Gemeinsam wurde an der Endfassung weiter gearbeitet. Wir haben uns schließlich auf das - schon als solches große - Thema Sexismus beschränkt. Es sollte auch für Jungs interessant sein. Mich hat sehr beeindruckt, wie viele so genau von ihren Erlebnissen, ihren Gefühlsverwirrungen und all den Problemen berichten konnten. Wir Erwachsene legen das gern alles unter dem Oberbegriff Pubertät ab. Jugendliche werden unterschätzt, doch die sehen ihre Probleme klar. Und können sie auch benennen. Es stand dann ziemlich schnell fest, dass „Mädchenschrift“ eine Rolle für Romy Vreden war. Ich kannte sie aus unserer Produktion „Mit offenen Augen“ hier im Bochumer Ensemble. Und auch wenn nur eine Person auf der Bühne zu sehen ist, letztendlich haben alles in allem 10 Menschen diesen Abend im Hintergrund geschmissen. Ein tolles Team! Haben Sie die Musik erkannt? Eine Variation aus dem Kinder-Neck-Gesang `Neene neene nee nee´... “. Soweit Selen Kara, die sich wieder einmal als souveräne und kreative Regisseurin bewies, für Essen und das Ruhrgebiet im dortigen Grillo-Theater also viel Anspruchsvolles erwarten lässt.

Romy Vreden ist tatsächlich ein mitreißender Abend gelungen:

Sie „verkörpert“ im Sinne des Wortes die Entwicklung, die auch durchaus schmerzhafte und ja gar blutige Transformation zu einer selbstbewußten Frau. Anfangs noch unter weißen Laken sich versteckend kommt sie nach und nach aus der Deckung. Sehr gelungen auch die optische, bühnenbildnerische Umsetzung von Themen - zum Beispiel: „Brüste bekommen“: Ein T-Shirt in einer Vitrine bekommt Busen mit Hilfe einer Luftpumpe. Ein riesiges Herz-Organ steht in einer anderen Vitrine, ein großes Baby und eine Riesenhand – alles kupferfarben glänzend - sind ebenfalls in rollbaren Vitrinen, die nach und nach von ihren Schutzhüllen befreit werden. Und die sehr gelungen - als Sinnbilder zu bewältigender Veränderungen – fungieren: Auch der riesige kupferfarbene Tampon samt Konfetti mit Partyhütchen für die erste Periode darf nicht fehlen.

Und die Peinlichkeit, die aber auch gleichzeitig sehr komisch ist, wenn alle, „wirklich alle“, von den Omas bis zu den Opas, den Eltern, den Lehrern, allen Mitschülern, bis zu den Nachbarn – eben alle plötzlich wissen: Sie hat ihre Tage bekommen! Und natürlich haben alle ihren Senf dazu geben müssen. Die gesellschaftlichen, wie persönlich unangehmen Teile sind nicht nur die blöden Anmachen, doofen Sexismen, die plötzlich von Männern allen Alters kommen, sondern auch dass das „Kindsein“ jetzt von einem Tag zum anderen vorbei ist. Körperlich Frau sein und das mit 12 oder 13 Jahren, der „Welpen-Schutz“ fällt schlicht weg.

Romy Vreden gelingt als sensibler Schauspielerin eine auch sehr komische und trotzdem glaubwürdige Transformation - auch die besonders schwierige - zur selbstbewußten und sich ihrer Wirkung und Möglichkeiten bewußten Frau. Es lohnt sich für Zuschauer:innen jeden Alters.

(Regie: Selen Kara, Bühne: Lydia Merkel, Kostüme: Sophia Deimel, Musik: Thorsten Kindermann, Dramaturgie: Jasmin Maghames).

CARO DAI

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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