Serie „Bochumer Ehrenbürger“: Teil 3
Saladin Schmitt, der vergessene Ehrenbürger

Saladin Schmitt war von 1919 bis 1949 Intendant des Bochumer Stadttheaters. | Foto: Stadt Bochum
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  • Saladin Schmitt war von 1919 bis 1949 Intendant des Bochumer Stadttheaters.
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Saladin Schmitt als „Bochums vergessenen Ehrenbürger“ zu bezeichnen, mag zunächst befremden – schließlich ist der Theatermann, von 1919 bis 1949 Intendant des Schauspielhauses, in der kollektiven Erinnerung der Stadt auf vielfältige Weise präsent, nicht zuletzt weil die ehemalige Fürstenstraße am Bochumer Stadttheater seit 1955 seinen Namen trägt. Die Tatsache jedoch, dass Saladin Schmitt 1944 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde, geriet nach Ende des Dritten Reiches weitgehend in Vergessenheit, sie wirft jedoch ein bezeichnendes Licht auf das ambivalente Verhältnis des Intendanten zum Nationalsozialismus. Der Lokalkompass befasst sich im dritten Teil seiner Ehrenbürger-Serie mit Saladin Schmitt.

Die Bedeutung Saladin Schmitts, geboren 1883 in Bingen am Rhein und gestorben 1951 in Bochum, für die Theatergeschichte der Stadt ist beträchtlich – schließlich bekam das Schauspielhaus erst bei seinem Amtsantritt 1919 erstmals ein eigenes Ensemble. Als Intendant und Regisseur machte er das Bochumer Theater zur Shakespeare-Bühne. Als das Stadttheater im April 1944 sein 25. Ensemblejubiläum feierte, wurde Saladin Schmitt die Ehrenbürgerschaft verliehen. Vertreter aus Partei, Staat, Wehrmacht, Wirtschaft und Kunst waren zugegen. Kurz zuvor hatte Saladin Schmitt zu seinem 60. Geburtstag Glückwünsche von Adolf Hitler erhalten. Die Verleihung der Ehrenbürgerschaft kam auf Vorschlag von Gauleiter Albert Hoffmann, dem Beauftragten der NSDAP, zustande.
Dies mag insofern überraschen, dass bekannt ist, dass Saladin Schmitt sich noch 1939 dafür einsetzte, zwei Schauspielerinnen, die nach Maßgabe der Nürnberger Gesetze als Jüdinnen klassifiziert wurden, im Ensemble zu behalten. Wegen seiner Homosexualität, die in eingeweihten Kreisen durchaus bekannt war, musste der Intendant stets auf der Hut sein, um nicht ins Visier der Nationalsozialisten zu geraten. Auch bei anderen Gelegenheiten wurde deutlich, dass Saladin Schmitt ernstzunehmende Gegner innerhalb der NSDAP hatte. Dies mag dazu beigetragen haben, dass Saladin Schmitt nach 1945 gelegentlich sogar in die Nähe des Widerstands zum Nationalsozialismus gerückt wurde. Bis heute sehen viele in ihm einen Gegner des Dritten Reiches.

Zwischen Anpassung und Teildissens

In Wahrheit lässt sich Saladin Schmitts Haltung zum Nationalsozialismus, die von Anpassung und (begrenztem) Dissens gleichermaßen geprägt war, wie die vieler seiner Zeitgenossen aber wohl nicht auf einen so einfachen Nenner bringen. Zwar entspricht Saladin Schmitts Angabe in einem Fragebogen der Militärregierung aus dem Jahre 1945, nie Mitglied der NSDAP gewesen zu sein, der Wahrheit, aber dafür, dass er sich offensiv gegen die Machthaber gestellt und dadurch Nachteile erlitten habe, wie er in dem Fragebogen behauptet, lassen sich keine Belege finden. Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde, die nicht in dieses Bild passt, verschweigt der Intendant.
Es stellt sich die Frage, warum die Nationalsozialisten Saladin Schmitt durch die Ehrenbürgerschaft und Entgegenkommen in anderen Bereichen ihre Wertschätzung zeigten. Im Dritten Reich wurden das Führerprinzip und die „nationalsozialistische Solidarität“ auf das Theater übertragen. In der Praxis bedeutete dies, dass der Intendant dem Oberbürgermeister unterstand. Zu Otto Leopold Piclum, von 1933 bis 1943 Bochums Oberbürgermeister, unterhielt Saladin Schmitt ein gutes Verhältnis. Zwar wurde die Theatergemeinschaft mit der Duisburger Oper – Saladin Schmitt war seit 1921 Generalintendant beider Häuser - 1935 beendet, aber am Bochumer Stadttheater blieb der verdiente Theatermann, der schon vor 1933 über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt gewesen war, im Amt. Für die Stadt Bochum und in gewisser Weise auch für das nationalsozialistische Deutschland wurde er nach 1933 zum Aushängeschild, weil er - anders als viele seiner Kollegen - nicht ins Exil ging. Seine Klassikerwochen wurden von den Nationalsozialisten durchaus in ihrem Sinne instrumentalisiert, auch wenn ihm das vielleicht nicht bewusst war. Doch auch die junge nationalsozialistische Dramatik kam bei den Festwochen zur Aufführung.

Ende des Dritten Reiches

Nach dem glanzvollen Ensemblejubiläum im April 1944 zeigte sich bald, dass die Zeit, in der das Bochumer Theater als Aushängeschild des Dritten Reiches gedient hatte, ihrem Ende entgegenging: Ende August 1944 wurden alle Schauspielhäuser in Deutschland geschlossen und bei dem schweren Bombenangriff auf Bochum am 4. November 1944 wurde das Theatergebäude an der Königsallee zerstört.
Saladin Schmitt wollte seine Ehrenbürgerschaft nach 1945 vergessen. Auch die Stadt Bochum erwähnte sie nach Kriegsende nur noch ein einziges Mal, und zwar als der Intendant die Stadt 1945/ 46 verlassen wollte. Ihm lagen Angebote aus Wiesbaden und Köln vor. Bochums Oberstadtdirektor Dr. Franz Geyer wandte sich direkt an den Ministerpräsidenten Prof. Dr. Karl Geiler in Wiesbaden, wohin es Saladin Schmitt zog. Franz Geyer benutzte hier die Ehrenbürgerschaft als Argument dafür, dass Saladin Schmitt in Bochum bleiben müsse, da er der Stadt besonders verbunden sei – und die Stadt ihm. Als die Amerikaner Saladin Schmitts Bestallung in Wiesbaden nicht bestätigten – die Gründe hierfür sind nicht überliefert -, war der Intendant frei für Bochum und übernahm im Frühjahr 1946 wieder die Leitung des Hauses.

Ein engagierter Stadtarchivar

Als Saladin Schmitt 1951 starb, wurde die Ehrenbürgerschaft weder in den Nachrufen noch auf dem Grabstein erwähnt. Erst 1964 nahm sich der Bochumer Stadtarchivar Dr. Helmuth Croon der Sache an, nachdem er von dem Hattinger Kulturbeauftragten Hans Hollender einen Zeitungsauschnitt aus dem Jahre 1944 erhalten hatte, aus dem eindeutig hervorging, dass Saladin Schmitt Ehrenbürger geworden war. Helmuth Croon schrieb über Saladin Schmitt an Hans Hollender: „Meine weiteren Nachforschungen lassen mich vermuten, dass er nach dem 8.5.1945 aus zeitbedingten Gründen von dieser Ehrung nichts mehr wissen wollte.“
Möglicherweise erwähnte die Stadt die Ehrenbürgerschaft bei Saladin Schmitts Tod nicht, da die entsprechenden Akten bei einem Luftangriff vernichtet worden waren und man deshalb glaubte, dem Theaterintendanten sei die Ehrenbürgerwürde gar nicht verliehen worden. Nach der Entdeckung des Stadtarchivars war Saladin Schmitts Ehrenbürgerschaft allerdings nicht mehr zu verschweigen. Die Resonanz auf die Publikation, in der Hans Hollender 1964 auf die Ehrenbürgerschaft hinwies, war aber gering.

In vergleichender Perspektive

Zwar deutete die Revue „O, Augenblick“, mit der das Schauspielhaus 2019 seinen 100. Geburtstag feierte, Saladin Schmitts zwiespältige Haltung zum Nationalsozialismus durchaus an, doch eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser Frage steht noch aus. Im Sammelband „Bochumer Ehrenbürger“ hat sich der Historiker Hubert Schneider 2020 in vergleichender Perspektive mit kommunalen Kulturpolitiker Carl Rawitzki, der 1933 verhaftet wurde und später nach England floh, nach dem Krieg nach Bochum zurückkehrte und 1962 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde, und Saladin Schmitt auseinandergesetzt.

Zum Weiterlesen
Bochumer Ehrenbürger. Aspekte kommunaler Ehrung im Ruhrgebiet. Hg. v. Marco Rudzinski (ISBN 978-3-87023-453-9 ).

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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