Sportvorstand Sebastian Schindzielorz (VfL Bochum) im Exklusiv-Interview zum Abstiegskampf vor dem Braunschweig-Spiel: „Ich bin nicht sicher, ob 40 Punkte reichen"

Sebastian Schindzielorz glaubt fest an den Klassenerhalt. Foto: Molatta
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Mit Sebastian Schindzielorz verantwortet seit Februar ein echter Bochumer Junge das sportliche Geschehen beim VfL Bochum. Im zweiten Teil des großen Exklusiv-Interviews mit dem Stadtspiegel spricht der 39-Jährige über den Abstiegskampf, die sportlichen Perspektiven und den nächsten Gegner Eintracht Braunschweig, der am Ostersonntag (1.4., 13.30 Uhr) beim VfL zu Gast ist.

Sebastian Schindzielorz, am Ostersonntag trifft der VfL auf Eintracht Braunschweig. Kann man nach den letzten Wochen, in denen beide Mannschaften elf Punkte aus sechs Spielen geholt haben, von einem Duell auf Augenhöhe sprechen?
Tabellarisch muss man es so beschreiben, dass sich in dieser 2. Liga mittlerweile sehr viele Mannschaften auf Augenhöhe befinden. Die Plätze 4 bis 18 sind relativ eng beieinander. Da ist in beide Richtungen noch alles möglich. Für uns ist es also auch mit Blick auf die Tabelle ein ganz wichtiges Spiel, aber das werden die restlichen Partien unabhängig vom Ergebnis am Sonntag auch noch sein. Für uns heißt es, sich jetzt voll auf Braunschweig zu konzentrieren und im eigenen Stadion ein gutes Ergebnis zu erzielen – immer mit dem Wissen, dass ganz bestimmt noch keine Vorentscheidung im Kampf um den Klassenerhalt fällt.

Wie schätzen Sie die Eintracht als Gegner ein?

Braunschweig ist eine Mannschaft, die über Jahre in der 2. Liga konstante Ergebnisse geliefert hat. Aktuell sind sie aber wie viele andere Mannschaften auch in Tabellenregionen gerutscht, in denen sie sich eigentlich nicht befinden wollen. Insofern ist es auch für sie jetzt gerade eine besondere Situation, die sie möglicherweise so nicht erwartet haben.

Können Sie sich selbst erinnern, jemals schon eine derart enge Saison in der 2. Liga erlebt zu haben, in der so viele Mannschaften ums Überleben kämpfen?
Nein, absolut nicht. Das habe ich so auch noch nie erlebt. Wenn man in diesem Jahr von der Abschaffung des Niemandslandes spricht, dann trifft es das ganz gut. Es gibt vielleicht drei, vier Vereine, die nach oben nochmal angreifen können. Und alle anderen Klubs müssen sich nach unten orientieren. Ich kann mich nicht erinnern, so etwas tabellarisch schon mal gesehen zu haben.

"#1ZIEL– Drinbleiben mit dir"

Unter Ihrem Vorgänger Christian Hochstätter galt auch mit Blick auf die Tabelle immer die Maxime „Wir gucken nur nach oben“. Das könnte der VfL jetzt auch tun – oder halten Sie das für eine schlechte Idee?
Ich glaube, es ist unsere Pflicht, auch nach unten zu schauen. Es ist die höchste Priorität, die Klasse zu halten. Wir haben alles dieses eine Ziel und das ja auch gemeinsam mit unserem Motto „#1ZIEL– Drinbleiben mit dir“ verdeutlicht. Wir müssen uns jetzt so schnell wie möglich ein Polster nach unten erarbeiten, um nicht in noch größere Schwierigkeiten zu geraten.

Mit 40 Punkten gilt man in der Regel als sicher. Ist das die magische Marke, die Sie auch anpeilen?

Ich bin nicht sicher, ob 40 Punkte in dieser Saison reichen werden. Damit wird man sicher den direkten Abstieg vermeiden, das denke ich schon. Aber wie es um den Relegationsplatz aussehen wird, lässt sich schwer vorhersagen. Die Teams unten haben zuletzt enorm gepunktet. Wenn man sich den Punkteschnitt der Mannschaften ab Rang 13, 14 genauer anschaut, dürfte der in den letzten Wochen fast höher sein als der Schnitt der oberen Mannschaften. Ich gehe zurzeit davon aus, dass man am Ende für den Klassenerhalt auch ein, zwei Zähler mehr auf dem Konto haben muss als diese magischen 40 Punkte.

Wie ärgerlich ist es, wenn man selbst wie zuletzt der VfL Bochum ordentlich punktet – und dann immer wieder feststellen muss, dass der Konkurrenz das auch gelingt?
Grundsätzlich muss man auf sich selbst schauen und darauf achten, dass man in einen positiven Lauf kommt. Natürlich schaut man auch auf die Ergebnisse der direkten Konkurrenz. Aber die Formel für den Klassenerhalt beinhaltet nicht den Blick auf die anderen Klubs. Entscheidend ist, dass man selbst punktet. Darauf müssen wir uns fokussieren.

Wenn Sie auf die eigene Mannschaft schauen, was macht Sie dann optimistisch in Sachen Klassenerhalt?

Wir haben defensiv mittlerweile eine gute Stabilität. Wir haben seit vier Spielen nicht verloren. Das Problem, zu wenige Tore zu schießen, haben wir den drei Auswärtstreffern bei einer defensiv sehr starken Mannschaft auch in die richtige Richtung gerückt. Diese Dinge stimmen mich positiv, ebenso wie der Support der Fans. Unser Motto wurde auch in Fankreisen sehr gut angenommen und die Unterstützung in Sandhausen war grandios. Ich möchte auch an dieser Stelle nochmal allen herzlich danken, die den weiten Weg auf sich genommen haben!

"Lukas Hinterseer hat einen sehr guten Job gemacht"

Sie haben den Dreierpack in Sandhausen angesprochen. Waren Sie nach den letzten Wochen selbst etwas überrascht von dieser Ausbeute?
Überrascht hat es mich eigentlich nicht, ich habe mich viel mehr für Lukas Hinterseer sehr gefreut. Er hat in dieser Saison einen sehr guten Job gemacht – gerade auch, was die Arbeit für die Mannschaft betrifft. Lukas ist ein super Charakter, der alles für das Team gibt. In Sandhausen hat er sich für seine Arbeit und seine Mentalität belohnt.

Wie zufrieden sind Sie inzwischen insgesamt mit dem Offensivspiel der Mannschaft?

Man muss klar festhalten, dass wir zu wenige Tore geschossen haben. Das kann man an den nackten Zahlen ablesen. Ich finde es aber wichtig, den Fokus dabei tatsächlich auf das Offensivspiel insgesamt zu legen. Die Tendenz geht sonst gerne dazu, die Kritik alleine an den Stürmern festzumachen. Das ist aus meiner Sicht nicht richtig. Wir müssen insgesamt die Abläufe nach vorne verbessern, was in den letzten Spielen teilweise schon gelungen ist. Ich bin gespannt, ob wir in den nächsten Spielen auch in der Lage sind, drei Tore zu schießen. Das wäre natürlich schön, aber davon darf man jetzt auch nicht jede Woche ausgehen. Wir brauchen auch weiterhin die defensive Stabilität als Basis für den Erfolg.

Sidney Sam konnte zuletzt vermehrt Akzente setzen konnte in der Offensive, nachdem er sich lange Zeit schwer getan hat. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?
Wir wissen natürlich aufgrund seiner Vita, dass Sid große Qualität hat. Die Dinge, die er als Spieler erreicht hat, die kommen nicht zufällig. Man muss ehrlich sagen, dass die ersten Wochen beim VfL für ihn ein bisschen schwierig waren. Aber spätestens mit dem Amtsantritt von Robin Dutt ist bei ihm eine gewisse Lockerheit und Sicherheit zu sehen. Beide hatten in Leverkusen zusammen eine gute Zeit. Ich denke, das hat Sid jetzt geholfen, mehr Stabilität zu finden. Er war auch für mich in den letzten Wochen einer der auffälligeren Spieler. Der Aufwärtstrend ist definitiv erkennbar, allerdings nicht nur bei Sid, sondern bei der ganzen Mannschaft. Das wollen wir fortsetzen.

Robin Dutt setzt auf ein festes Grundgerüst an Spielern und dabei auf eine gewisse Erfahrung. Waren dies die entscheidenden Faktoren, wieder in die Erfolgsspur zu finden?

Wir haben eine sehr turbulente Phase hinter uns. Da versuchst du als erstes, wieder eine gewisse Stabilität und Ruhe in die Mannschaft zu bekommen. Grundsätzlich wird jeder Trainer versuchen, immer die beste Mannschaft auf das Feld zu schicken. Aktuell sind das bei uns tatsächlich eher die älteren, erfahrenen Spieler. Wir haben aber auch gesehen, dass wir die jüngeren Spieler unbedingt brauchen. Und wenn sie gebraucht werden, dann sind sie auch da. So wie es zuletzt etwa bei Vitaly Janelt der Fall war.

"Die Ansprache von Robin Dutt gefällt mir sehr gut"

Ist im Moment die fußballerische Qualität gefragt, oder geht es vielmehr um Mentalität und Einstellung?
Aus meiner Sicht geht es im Fußball immer auch um die richtige Mentalität. Die Ansprache von Robin Dutt gefällt mir da sehr gut. Er spricht von einer gewissen Reihenfolge. Man muss erst die richtige Einstellung und Herangehensweise zum Spiel finden, um dann technische und taktische Fähigkeiten auszuspielen. Und das gilt unabhängig vom Tabellenplatz. Für guten und erfolgreichen Fußball ist die richtige Mentalität eine Grundvoraussetzung.

Hat es der Mannschaft in dieser Saison manchmal an der richtigen Mentalität gefehlt?
Den Eindruck hatte ich nicht. Aber wir wollen nun auch nicht mehr auf die Vergangenheit schauen, sondern uns lieber mit der aktuellen Lage und den kommenden Wochen beschäftigen. Das ist viel wichtiger. Ich spüre im Moment Ruhe und Unterstützung von außen. Das lässt die Mannschaft dann auch anders agieren, das ist doch ganz klar.

Verbinden Sie mit der Personalie Robin Dutt auch die Hoffnung, dass er die Mannschaft in der Zukunft wieder an höhere Ziele heranführen kann?

Wir müssen natürlich zunächst unsere kurzfristigen Ziele erreichen, die wir mit dem Klassenerhalt ganz klar formuliert haben. Darüber hinaus gilt es aber auch, die Mannschaft und den Verein weiter zu entwickeln. Wenn ich eine so wichtige Position wie die des Trainers besetze, muss ich natürlich beide Aspekte im Auge haben.

Wie gut ist denn die aktuelle Mannschaft mit Blick auf höhere Ziele aufgestellt?

Unsere aktuelle Situation gibt es nicht her, jetzt über höhere Ziele zu sprechen. Wir wollen in den nächsten sieben Spielen die Klasse halten. Und die Qualität und das Potenzial dieses Kaders schätze ich so ein, dass uns das gelingen wird. Über alles andere, was dann kommt, machen wir uns natürlich Gedanken. Aber darüber werden wir jetzt nicht öffentlich sprechen.

"Fakt ist, dass zwölf Verträge auslaufen"

Braucht diese Mannschaft aus Ihrer Sicht einen Umbruch?
Ilja Kaenzig, Robin Dutt und ich haben schon mehrfach betont, dass wir auf vielen Positionen Kontinuität brauchen – sowohl im Klub, als aber auch in der Mannschaft. Fakt ist aber auch, dass zwölf Verträge unserer Spieler im Sommer auslaufen. Also lässt sich die Frage nach einem Umbruch, Stand heute, nicht abschließend beurteilen. Wir werden versuchen, eine gewisse Kontinuität in der Mannschaft sicher zu stellen. Wir werden aber auch nicht umhin kommen, hier und da einen neuen Impuls zu geben.

Viele Verträge laufen aus, neue Impulse sollen gesetzt werden – es wird jede Menge Arbeit auf Sie zukommen, die für Sie durchaus neu ist…
Es ist nicht einfach, solche Gespräche zu führen, wenn man den Klassenerhalt noch nicht gesichert hat und diese Gespräche noch nicht finalisieren kann. Aber ich gehe die Aufgabe insgesamt sehr positiv an. Wir haben ein gutes Team zusammen, sowohl in den verantwortlichen Positionen als auch im gesamten Verein. Und ich bin auch guter Dinge, dass wir auch auf dem Platz eine schlagkräftige Mannschaft zusammenbekommen.

Im ersten Teil des großen Exklusiv-Interviews mit dem Stadtspiegel spricht der 39-Jährige über seine neue Aufgabe, Chancen und Druck, die Bochumer Philosophie und das Bild der blau-weißen VfL-Familie. 

Autor:

Dietmar Nolte aus Dortmund-West

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