In den Kammerspielen des Schauspielhauses entfaltet Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ eine beklemmende Aktualität

Der Lehrer (Martin Weigel) muss erkennen, dass er viele seiner Schüler kaum noch erreicht. | Foto: Hupfeld
  • Der Lehrer (Martin Weigel) muss erkennen, dass er viele seiner Schüler kaum noch erreicht.
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Es ist schon Tradition, dass das Schauspielhaus in jeder Spielzeit eine Produktion mit Schauspielstudierenden der Folkwang Universität der Künste realisiert. Diesmal stehen sieben Nachwuchsschauspieler gemeinsam mit den Ensemblemitgliedern Martin Weigel und Klaus Weiss und dem Musiker Manuel Loos auf der Bühne, um Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ auf seine Bedeutung für das Jahr 2018 zu befragen. Regie führt die Leiterin des Jungen Schauspielhauses, Martina van Boxen.

Der Nationalsozialismus hat das Erziehungswesen im Griff: In dieser Situation stellt der ethisch sensible, aber oft zaudernde Lehrer (Martin Weigel) fest, dass er kaum noch korrigierenden Einfluss auf seine mehr und mehr verrohenden Schüler nehmen kann. Ein älterer Kollege und ein Pfarrer (beide gespielt von Klaus Weiss) helfen dem Lehrer, seine Erlebnisse einzuordnen; die Schüler scheinen zunächst fest im Griff der herrschenden Ordnung zu stecken, bis sich auch hier das Bild differenziert.
Der Lehrer, der ein ums andere Mal an seinen eigenen Ansprüchen scheitert, hadert mit Gott, um schließlich doch noch einen Zugang zum Glauben zu finden und sich aus der nationalsozialistischen Gesellschaft zu lösen.

Erschreckende Kontinuitäten

Angesichts des Aufstiegs von Pegida und AfD liegt es nahe, nach Parallelen zur Gegenwart zu fragen. Die Dramatisierung des 1937 erschienenen Romans, die Eva Bormann und Martina van Boxen eigens für das Schauspielhaus besorgt haben, schlägt die Brücke teilweise ganz direkt, etwa wenn der Lehrer konstatiert, dass der Begriff „Neger“ immer noch im Duden zu finden ist, auch wenn den meisten heute bewusst ist, dass diese Bezeichnung rassistisch ist.
In einer anderen Szene schlagen zwei eigentlich aus konträren Kontexten stammende Flaggen den Bogen aus dem Nationalsozialismus in die Gegenwart: die auf kolonialen Vorbildern beruhende Reichsdienstflagge des Dritten Reiches und die Wirmer-Flagge, die vom militärischen Widerstand gegen Hitler als neue deutsche Flagge vorgesehen war; das Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944 verhinderte dies. Paradoxerweise sind beide Flaggen bei Pegida-Aufmärschen zu sehen. Diese Aneignung der Wirmer-Flagge ist der Versuch der Pegida-Anhänger, sich in eine konservative Tradition zu stellen – auch um den Preis, die Geschichte verdrehen zu müssen.

Hervorragende Schauspieler

Die Schauspielschüler Rudolf Klein, Anne Stein, die einige schon aus der „Oleanna“-Inszenierung des Rottstr5-Theaters kennen, Franziska Roth, Leonhard Meier, Yannik Heckmann, Anne Weise und Clara Kroneck zeigen den erschreckenden Identitätsverlust von Jugendlichen in einem totalitären System auf beklemmende Weise. Martin Weigel macht den Lehrer in seiner ganzen Zerrissenheit greifbar – auch weil ihm Klaus Weiss einen einzigartigen Resonanzboden bietet. Das Bühnenbild macht auf subtile Art deutlich, dass jeder ständig fürchten muss, belauscht zu werden. In einer Zeit wie der des Jahres 2018, in der die demokratische Kultur vor massiven Herausforderungen steht, ist eine Auseinandersetzung mit „Jugend ohne Gott“ geradezu Gebot der Stunde.

Termine
„Jugend ohne Gott“ ist am Samstag, 17. Februar, um 19.30 Uhr wieder in den Kammerspielen des Schauspielhauses, Königsallee 15, zu sehen.
weitere Termine: Mittwoch, 7. März, 19.30 Uhr; Samstag, 17. März, 19.30 Uhr; Sonntag, 1. April, 19 Uhr.
Die Theaterkasse ist unter Tel.: 33 33 55 55 zu erreichen.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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