„Der Stollen hat vielen Menschen das Leben gerettet“

Viele Leser meldeten sich mit Informationen zum Bunker an der Holzheide. Einer von ihnen ist Reiner Prengel. In seinen Händen hält er einen Lageplan, der den Verlauf des Tiefstollensystems von Ickern nach Rauxel zeigt (im Hintergrund der Bunker an der Holzheide). | Foto: Thiele
  • Viele Leser meldeten sich mit Informationen zum Bunker an der Holzheide. Einer von ihnen ist Reiner Prengel. In seinen Händen hält er einen Lageplan, der den Verlauf des Tiefstollensystems von Ickern nach Rauxel zeigt (im Hintergrund der Bunker an der Holzheide).
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„Wer weiß etwas über die Geschichte des Bunkers an der Holzheide in Ickern?“, fragten wir in der Stadtanzeiger-Ausgabe vom 19. Februar. Viele Leser meldeten sich. Einer von ihnen ist Heinz Hagemann. Er war am Bau des darunterliegenden Tiefstollens beteiligt.

„Als die Bomben schon auf Castrop-Rauxel fielen, wurde der Tiefstollen gebaut“, erinnert sich Hagemann, der auf der Zeche Victor 3/4 arbeitete. Zusammen mit Kollegen wurde er abgestellt, um am Bau des Tiefstollens, der sich von Ickern bis nach Rauxel zog, mitzuarbeiten. „Wir sind von da, wo heute der Getränkemarkt Risse ist, runtergegangen und haben in Richtung Rauxel abgeteuft.“ Und von Rauxel aus habe man in Richtung Ickern gebaut, so Hagemann.
Sieben Jahre alt war Hans-Jürgen Schach, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. „Der Stollen hat vielen Menschen das Leben gerettet“, erzählt er. Auch er suchte dort zusammen mit seinen Eltern Schutz.

Stollen verlief 25 Meter unter der Erde

„Das Röhrensystem verlief etwa 25 Meter unter der Erde durch den Emschermergel. Es reichte vom Friedhof Ickern bis zum heutigen Mittelstandspark West.“ Links und rechts habe es Holzbänke gegeben, und in der Mitte sei ein Ablauf für Wasser gewesen, erinnert sich Schach. Er schätzt die Maße des Stollens auf knapp drei Meter hoch und etwa 2,5 Meter breit.
Bei Kriegsende seien die Menschen sehr verunsichert gewesen, weil sie keine Möglichkeit hatten, sich über den Stand der Dinge zu informieren. „Sie haben am Eingang bei Risse eine weiße Fahne gehisst“, berichtet Schach. „Die amerikanischen Truppen kamen mit Maschinenpistolen runter in den Stollen. Wir Kinder sind rausgelaufen und sahen ganz viele Jeeps. An dem Tag habe ich die erste Tafel Schokolade meines Lebens bekommen.“
Direkt an der Holzheide wohnte Alfred Konert und suchte ebenfalls im Bunker Schutz, wenn die Bomben fielen. Am 11. September 1944, an seinem letzten Urlaubstag von der Front, war der damals 23-Jährige jedoch in Habing­horst im Kino „Deli“, als ein weiterer Bombenangriff stattfand. „An der Post, wo heute der Penny-Markt ist, und an der Borghagener Straße war alles gesperrt wegen Blindgängern“, erinnert er sich. Als er schließlich Zuhause ankam, fragte er nach seinem Schwiegervater in spe. Der sei arbeiten, sagte seine zukünftige Schwiegermutter, „doch dann stellte sich heraus, dass er bei dem Angriff umgekommen ist“, erzählt Konert.

Ein halbes Jahr fast nur im Bunker verbracht

„Ich erinnere mich ungern“, sagt Ruth Fritsch, die bei Kriegsende 20 Jahre alt war. Das letzte halbe Jahr hat sie mit ihren Eltern fast nur im Bunker verbracht. „Wir wohnten an der Friedrichstraße, fast gegenüber dem Eingang an der Holzheide. Wir hörten BBC und wussten, wann die Air Force angreift.“
Trotz der 25 Meter Tiefe habe man im Stollen die Bombeneinschläge hören können. „Es klang schrecklich. Alle hatten furchbare Angst. Was da gebetet wurde!“ Ihre Mutter sei jedoch mutig gewesen und manchmal in ihre Wohnung, die später durch eine Sprengbombe zerstört worden sei, zurückgekehrt, um etwas zu kochen.

Insgesamt gab es drei Tiefstollensysteme

Wie Hans-Jürgen Schach erinnert sich Ruth Fritsch, dass man bis zur Zeche Victor 1/2 in Rauxel durch den Stollen gehen konnte. Zugleich berichtet August Wundrock, dass es insgesamt drei Tief­stollensysteme gegeben habe – Zeche Victor 3/4, Zeche Victor 1/2 sowie Zeche Ickern 1/2 –, die jedoch nicht miteinander verbunden gewesen seien. „Es gab Pläne, sie zu verbinden, aber dazu ist es nicht mehr gekommen. „Denn dann war der Krieg glücklicherweise zu Ende“, so Wundrock, der 1952 seine Berglehre auf der Zeche Victor 3/4 begann.
Zum Tiefstollensystem der Zeche Victor 1/2 befanden sich laut August Wundrock ein Eingang in Rauxel an der Victorstraße – „der ist aber abgetragen worden, und dort steht heute ein Haus.“ – und ein weiterer im Bereich von K+K. „Dort war früher die Hauptverwaltung von Klöckner, und der Eingang zum Stollen war gegenüber dem Eingang zum Weinkeller von Klöckner.“
Und der Eingang zum Tief­stollensystem der Zeche Ickern 1/2 sei an der Leveringhauser Straße gewesen. „Dort, wo heute der Eingangsbereich zum Spielplatz ist“, so Wundrock.
Vier Eingangsbauwerke gab es zum Tiefstollen der Zeche Victor 3/4. Einer war der an der Holzheide, ein zweiter am heutigen Getränkemarkt Risse. „Von diesem Eingang hat es eine Verbindung zum Schacht 3 der Zeche gegeben. Dadurch wurde die Stollenanlage mit Strom versorgt und das Wasser wurde abgepumpt“, weiß Helmut Pusch. Er ist im Besitz einiger Originaldokumente zu den Stollen der beiden Zechen Victor 3/4 und 1/2. Darunter sind handkolorierte Planwerke von 1944 und 1945 sowie Unterlagen zum späteren Rückbau der Stollen.

Alle vier Eingänge sind erhalten

Auch die beiden weiteren Eingänge zum Stollensystem der Zeche Victor 3/4 seien noch erhalten, so Pusch. „Der eine ist an der Recklinghauser Straße, etwas rechts von dem Autohändler, hinter den Häusern.“ Der andere sei im Bereich Lange Straße und Wannerbruchstraße.
Fast geradlinig seien die vier Eingänge des Stollens, in dem mehrere tausend Menschen Platz gefunden hätten, unterirdisch miteinander verbunden gewesen. „Dazwischen zweigten kleine Räume ab“, erklärt Pusch den Aufbau des Röhrensystems. Zudem kann er sich daran erinnern, dass es nach dem Krieg auch oberirdisch noch mehr als nur die vier Eingangsbauwerke zu sehen gab. „Verteilt zwischen den Eingängen standen kleine Luftgebäude, wie Pyramiden, in denen Lüftungslöcher waren.“ Er selbst habe als Kind Steine durch die Löcher geworfen, aber vergeblich auf das Geräusch des Aufpralls gewartet.
Das Stollensystem der Zeche Victor 1/2 sei etwas kleiner und nicht mit dem der Zeche Victor 3/4 verbunden gewesen, entnimmt Pusch seinen Unterlagen.
Mit der Stilllegung der Zechen sei die Verbindung zum Tiefstollensystem gekappt worden. „Anfang / Mitte der 1970er Jahre wurden die Stollen dann mit Beton verfüllt“, erklärt Pusch.

Publikationen

Mehrere Stadtanzeiger-Leser, darunter Rudolf Engel, Ursel Beushausen und Andrea Rettberg, verwiesen auf die beiden Publikationen „Bergbau ist nicht eines Mannes Sache. Das Bergwerk Victor-Ickern in Castrop-Rauxel“ von Tilo Cramm sowie „Castrop-Rauxel im Luftkrieg 1939-1945“.
Demnach hatte der Tief­stollen der Zeche Victor 3/4 im Oktober 1944 eine Länge von knapp 800 Metern erreicht.
„Mit elf 10 bis 12 m langen und 4 m breiten Kammern bot der Tiefstollen Schutz für rd. 8000 Personen“, heißt es im Buch „Bergbau ist nicht eines Mannes Sache“.

Den zweiten und dritten Artikel über den Bunker an der Holzheide lesen Sie hier: http://www.lokalkompass.de/castrop-rauxel/leute/immer-in-lebensgefahr-d407878.html und hier: http://www.lokalkompass.de/castrop-rauxel/leute/stempel-und-kappen-im-stollen-auswechseln-d410027.html

Autor:

Vera Demuth aus Bochum

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