1. Dinslakener Literatur-Hotel-Preis 2010: Jess Geiger - Das lila Tablett -

Das lila Tablett

Der Wetterbericht sagt den heißesten Tag des Jahres voraus. 34 Grad im Schatten. Grandios! Ich nehme spontan einen Tag frei. Begin-ne um 10.00 Uhr, den Garten vorzubereiten, d.h. Gartenmöbel abwa-schen, kurz etwas Unkraut jäten, ein gutes Buch heraussuchen, gegen 12.00 Uhr ist es dann soweit. Ich muss kurz erklären, dass es nicht so einfach für mich ist, mal eben zum Relaxen raus zu gehen. Normaler-weise ist gutes Wetter nur an Tagen angesagt, an denen ich zu lange arbeiten muss oder überhaupt nicht da bin. Ist es mal trocken, schreit der Garten nach Arbeit. An Wochenenden regnet es hier immer, eben-so an Feiertagen. In den acht Jahren, in denen ich hier wohne, habe ich noch kein einziges Buch draußen gelesen. Mittlerweile kommt es mir so vor, dass das Wetter sich gegen mich richtet. Ich stelle sogar inzwischen einen kausalen Zusammenhang zwischen meiner Arbeit und dem Wetter her. Kennen Sie eigentlich Ben Wettervogel, den sym-pathischen Wetter-Propheten aus dem Fernsehen? Der sollte mich mal kennen lernen! Und immer kurz anrufen, bevor er auf Sendung geht.
„Na“, würde er fragen, „musst du morgen arbeiten?“
„Ja“, würde ich antworten, „bis um neun. Furchtbar.“
„Okay“, würde er säuseln, „dann gibt’s also morgen Sommerwetter, mit richtig viel Sonne.“
„Ich hasse dich“, wär mein Kommentar.
„Und“, könnte er weiter fragen, an einem Freitag, oder vor einem Fei-ertag, „hast du morgen schon was vor?“
Und ich könnte hoffnungsvoll antworten: „Nee, nicht wirklich. Ich könn-te mich ja endlich mal mit einem Buch in den Garten legen.“
„Okay“, würde er daraus schlussfolgern, „dann gibt’s morgen Regen oder wahlweise Gewitter mit Hagelschlag. Danke.“
„Bitte, gern geschehen.“
Gibt es eigentlich eine Steigerung für Hass?
Um 12.00 Uhr empfängt mich strahlender Sonnenschein und brütende Hitze. Ich ziehe mich sommerlich um, ein Blick aus dem Fenster verrät strahlend blauen Himmel, soweit das Auge reicht. Das Haar sitzt, wür-de die Werbung noch dazutexten. Ich gehe in die Küche und bepacke mein Tablett. Dabei wird mir immer etwas mulmig, denn wirklich schuld daran, dass ich in acht Jahren noch nicht im Garten entspannt habe, ist eigentlich dieses Tablett. Sobald ich es bepacke, geht die Welt irgend-wie unter. Versinkt in alptraumhaftem Unwetter. Sie glauben ja gar nicht, wie schnell aus kleinen weißen Wölkchen große schwarze Re-genwolken werden können. Um 12.30 Uhr steht allerdings der Strom-ableser vor der Tür. Um 13.30 Uhr ruft meine Freundin an, ihr geht’s hundsmiserabel. Um 14.00 Uhr ist mir nach einem kleinen Likörchen nach diesem Gespräch, einfach so, zur Stimmungs-Aufhellung. Gegen 14.15 Uhr gehe ich mit meinem Tablett raus. Über mir ist es bewölkt. Wo kommen die auf einmal her, all diese weißen aufgetürmten Wol-ken? Ich beschließe, den Himmel zu ignorieren und mache es mir auf der Liege gemütlich. Kaum habe ich die zweite Seite gelesen, fallen die ersten Regentropfen darauf. Die unscheinbaren Wölkchen haben sich mal wieder schwarz verfärbt. Ich könnte vor Wut heulen. Die 34 Grad im Schatten bleiben, das Wärmegewitter haben sie verschwiegen. Fluchend packe ich mein Zeug und flüchte auf mein Sofa, der Tag ist gelaufen. Ben Wettervogel kann einpacken gegen mich und mein Tab-lett – ha!
Ach ja, da fällt mir noch was ein: Mitte August, im so genannten Jahr-hundertsommer, mitten in der größten Hitzewelle, habe ich mein Tablett mal fertig bepackt auf dem Küchentisch über Nacht stehen gelassen. Wie leichtsinnig! Am nächsten Morgen gab’s Unwetter, Jahrhundert-Regen, Unfälle und mehrere Tote. Sie wissen jetzt, warum.
Also wenn sich ihre Schwiegermutter oder sonst wer ankündigt, sich einfach so zum Grillen einlädt ohne auf ihre Zustimmung zu warten, kann ich Ihnen gerne mal mein Tablett leihen. Es wirkt, garantiert!

Autor:

Günter Hucks aus Dinslaken

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