Adventskalendergeschichte: Das Lächeln des Rentieres (Tor 24)

Rentiermops Murphy wünscht frohe Weihnachten. | Foto: jape
  • Rentiermops Murphy wünscht frohe Weihnachten.
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Eine Weihnachtsgeschichte in 24 Teilen. Fast so glücklich machend wie Schokolade, aber dafür kalorienarm.

24.12.2013 | 13:00 Uhr
Über die Lautsprecher des Kaufhauses ertönt wohl zum letzten Male in diesem Jahr „Last Christmas“. Die Geschäfte schließen bald und die unzähligen Weihnachtsartikel werden die Regal verlassen. Sämtliche Plastiktannenbäume werden wieder in Lagerräume verstaut und aus Schokoladennikoläusen werden Schokoladenosterhasen.
Weihnachtsmann Norman muss nur noch eine Stunde in seiner Rolle verweilen, ehe er den Bart und das rote Gewand endgültig ablegen kann. Wobei sich das nun anders anfühlt, als die letzten Tage zuvor. Ein Teil von ihm möchte nicht aufhören, möchte nicht wieder zum Niemand werden. Am liebsten würde er auch direkt als Osterhase weitermachen, aber dafür ist es wohl noch zu früh.
Der ältere Herr, der ihn bereits im Laufe des Morgens ansprach, steht wieder vor ihm. In seiner Hand eine Tragetasche. Er scheint bestens gelaunt.
„Ich wollte mich schnell bedanken. Ohne den heißen Tipp wäre ich hier wohl verschütt gegangen“, sagt Gustav.
„Habe ich gerne gemacht. Zumal ich so oft nach dem Weg oder nach Geschäften gefragt werde, dass ich mir einiges merken musste. Was ist es denn geworden?“
„Oh, ich würde es gerne zeigen, aber es ist bereits verpackt. Ich habe ein Schachspiel gekauft. Ein edles, keine Plastikware. Mein Sohn kommt heute Abend zum Essen und ich hoffe, dass er sich zu einer Partie überreden lässt.“
„Klingt gut. Ich habe zwar keine Ahnung von Schach, bin dafür aber unschlagbar beim Mau-Mau.“
„Ha! Auch nicht schlecht. Ich wollte noch unbedingt loswerden, dass ich früher auch mal als Weihnachtsmann arbeitete. Nur war es ein kleiner Fotoladen und nicht so ein gewaltiges Kaufhaus.“
„Auch in so einem Kostüm? Acht Stunden am Stück das Gute in Person mimen, obwohl man manchen Leuten am liebsten … na, Sie wissen schon. Aber dafür wird man ja nicht bezahlt.“
Gustav lacht herzlich auf. Norman hätte nicht gedacht, dass er so witzig sein kann. Vielleicht sollte er neben Weihnachtsmännern und Osterhasen auch Clowns in Betracht ziehen.
„Ich hoffe, Ihr Sohn wird sich über das Geschenk freuen. Vor allem hoffe ich für Sie, dass er nicht heimlich geübt hat und Sie gnadenlos abzockt“, witzelt Norman weiter.
„Nein, nein. Das passt schon. Außerdem habe ich auch geübt. Und Sie? Feiern Sie mit der Familie?“
„Ich werde wohl alleine feiern. Meine zukünftige Frau hat sich noch nicht im meinem Leben blicken lassen und somit lässt der Nachwuchs auch noch auf sich warten.“
„Zu traurig. Ein Ratschlag von mir, wenn Sie erlauben: Nichts erzwingen. Weder zwanghaft suchen noch verzweifelte Versuche wie Speed-Dating. Es wird Sie finden und alles wird gut. Sie lachen!“
Norman lachte tatsächlich. Eigentlich wäre das sein Text, schließlich ist er der Weihnachtsmann und er müsste den Leuten kluge Weisheiten und Ratschläge mitgeben.
„Entschuldigung. Aber ich denke, sie haben recht. Nur im ersten Moment klingt es verdammt schwierig“, sagt Norman.
„Wenn es einfach wäre, wäre es eventuell ohne Wert. Bleiben Sie am Ball, sonst setzt man sie Schachmatt.“
Plötzlich dämmert es Norman, warum er nie das Durchhaltvermögen hatte, die Schachregeln zu lernen. Vielleicht bekommt man nicht alles geschenkt. Zumindest die wichtigen Dinge. Trotz Bescherung.
„Ich werde mal weiter. Das Abendessen muss noch gekocht werden. Und Sie haben bald Feierabend. Trotz allem ein paar wunderbare Feiertage!“ verabschiedet sich Gustav und zieht von dannen.

Lena konnte sich nicht entscheiden. Von daher schenkte sie sich selbst eine Handvoll Gutscheine einiger Geschäfte, die sie nach und nach einlösen kann, wenn ihr danach ist. Sie schlendert die immer leerer werdenden Gänge des Kaufhauses entlang und versucht, die Gedanken der Leute um sie herum zu deuten. Sind sie wirklich happy? Oder verfluchen sie den heutigen Tag? Lena hat mit ihrem erzwungenen Lächeln zwar einiges an Glücksgefühl gewonnen, doch sie ahnt, dass nichts mit „Schenken“ mithalten kann. Geschenke erhalten ist sicherlich auch schon großartig. Besonders, wenn es groß, selten und vor allem teuer ist. Aber insgeheim wissen die meisten, dass es das Schönste ist, geliebten Person etwas zu schenken. Leider hat sie diese beim Shopping nun nicht gefunden.
Zu gerne würde sie mit so manchem Paar tauschen, welche an ihr vorbeigehen. Dieses Glücksgefühl macht Tage und Zeiten wie diese aus. Ärgerlich nur, dass die gesamten Singles sich um Weihnachten herum in ihrem Heim verschanzen und in ihrer Einsamkeit nicht auffallen wollen. Lena würde sich über Gleichgesinnte freuen. Bestimmt würde sie sogar einen der erworbenen Gutscheine einlösen, insbesondere den einen für ihr Lieblingsweingeschäft. Weihnachten hat für Lena nichts Bedrohliches mehr, der Schrecken scheint besiegt. Wobei ihr gerade einfällt, dass sie den „Endgegner“ höchstpersönlich noch gar nicht gefunden hat. Den Weihnachtsmann.

Eine Durchsage erschallt aus den Lautsprechern:
„Sehr verehrte Kunden, so langsam müssen wir unsere Pforten leider schließen. Wir hoffen, dass Sie ihre Wünsche bei uns verwirklichen konnten. Falls nicht, können Sie auch nach Ladenschluß unserer Website aufsuchen. In jedem Falle wünsche wir Ihnen ein frohes Fest und erholsame Feiertage. Guten Tag!“
Frank Sinatra singt den letzten Song des Tages - „Have Yourself A Merry Little Christmas“.

Norman singt ein paar Worte mit. Es ist sein liebster Weihnachtssong. From now on, our troubles will be far away. Er winkt den letzten Einkäufern freundlich zu und ruft ein letztes Mal „Frohe Weihnachten!“; es wird ihm fehlen, er ahnt es bereits. Leise singt er weiter: „And have yourself a merry little Christmas now“.
Eine junge Frau biegt um die Ecke. Sie trägt ein wirklich albernes Rehgeweih auf dem Kopf, aber wirft Norman direkt ein Lächeln zu. Niemand scheint sie zu begleiten. Er bleibt wie versteinert stehen und lächelt zurück.
„Ich war nicht artig, Weihnachtsmann“, sagt Lena.
„Oh, ich auch nicht. Sag es keinem weiter, aber ich habe eine Pistole im Sack.“
Da war es endlich.
Das Lächeln des Rentieres.

Autor:

Oliver Peters aus Dinslaken

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