"Dümmer ist die Jugend heute nicht"

Otto Kentzler, Präsident des ZDH | Foto: ZDH
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Viele Handwerksmeister wagen es, Jugendliche mit schwachen Zeugnissen auszubilden. Mit Einstiegsqualifizierung oder ausbildungsbegleitenden Hilfen werden auch Jugendliche ohne notwendige Ausbildungsreife an eine Ausbildung herangeführt. "Einmal motiviert, kann aus Schulabbrechern auch ein Profi werden", so ZDH-Präsident Otto Kentzler gegenüber der WELT (5. Juni 2012).

Sollten die Unternehmen auch solchen jungen Leuten eine Chance geben, die keine erfolgreiche Schullaufbahn vorweisen können?
Otto Kentzler: Viele Handwerksmeister wagen es, Jugendliche mit schwachen Zeugnissen als Auszubildende aufzunehmen, wenn sie willens sind, den Beruf zu erlernen und ihr Engagement in einem Praktikum bewiesen haben. Das tun sie nicht erst, seit es aufgrund der demografischen Entwicklung weniger Bewerber gibt. Ich selbst habe auch Jungs mit einer 4 in Mathe zu guten Klempnern ausgebildet.

Doch das Problem hat heute eine gesellschaftliche Dimension erreicht. Es geht vor allem um Heranwachsende aus Stadtteilen mit sehr hohen Zuwandererquoten und um diejenigen, die in Familien aufwachsen, in denen es kein Vorbild mit einer regulären beruflichen Beschäftigung mehr gibt. Diese Jugendlichen müssen integriert werden. Ein ganz wichtiger Aspekt dabei ist die Intensivierung einer Berufsorientierung bereits im Schulalter. Die Jugendlichen müssen sich eigene Ziele setzen können, die sich von der bisher erlebten Erfahrungswelt unterscheiden. Nach Abschluss der Schule sind diese Jugendlichen schwieriger einzufangen. Doch wir machen mit der betrieblichen Einstiegsqualifizierung und weiteren unterstützenden Maßnahmen bereits gute Erfahrungen. Denn eins ist sicher: Dümmer sind die jungen Leute heute nicht. Einmal motiviert, kann aus Schulabbrechern auch ein Profi werden.

Wie können Handwerksbetriebe mit weniger beliebten Lehrstellen (etwa Bäcker oder Metzger) aktiv werden, um genügend Bewerber zu bekommen?
Kentzler: Unsere Umfragen haben ergeben, dass viele Jugendliche fürchten, mit einer Ausbildung im Handwerk die Zukunft zu verpassen. Doch dank umfassender Informationsarbeit und dem beharrlichen Werben der einzelnen Branchen hat die Jugend verstanden, dass das Handwerk schon in der Zukunft angekommen ist. Davon profitieren auch vermeintlich unattraktive Berufe. Metzger sind längst auch Cateringbetriebe und betreiben modernes Marketing im Internet. Bäcker buhlen darum, in die Liste der besten Handwerksbetriebe von Feinschmecker-Zeitschriften eingetragen zu werden. Gute Konditoren haben das Geschäft stets voll und sind Marken in ihrer Region. Wer sich so herausputzt, findet auch Nachwuchs.

Aber wenn es eng wird, haben die Unternehmen auch neue Ideen: Beispiele: Große Bäcker bieten Alleinerziehenden oft gezielt die Teilzeitausbildung zur Fachverkäuferin an, da gewinnen beide Seiten. Andere testen Arbeitslose der Generation 50plus, um sie für die Ausbildung in der Backstube zu gewinnen.
Riskieren Unternehmen, die einfach die Hände in den Schoß legen und nicht mehr ausbilden, langfristig ihre Existenz angesichts des drohenden Fachkräftemangels?

Kentzler: Eine Umfrage im Handwerk hat gezeigt, dass die Betriebe längst alle Register ziehen. Dazu gehören die Fort- und Weiterbildung auch für ältere Mitarbeiter, die Schaffung eines familienfreundlichen Umfeldes oder die Nachqualifizierung von angelernten Helfern zu Fachkräften. Und ich empfehle meinen Kollegen, noch mehr selbst ausgebildete Fachkräfte mit Karriereplänen an den Betrieb zu binden.

Aber viele kleinere Betriebe, die jahrzehntelang das Rückgrat der Ausbildung bildeten, finden in vielen Regionen keine Auszubildenden mehr. Sie leiden im Osten unter der drastisch gesunkenen Zahl der Schulabgänger, in anderen Regionen unter dem Trend weg von der Hauptschule hin zur Oberschule. Sie wollen ausbilden, finden aber keine Bewerber mehr – das könnte sich zum Problem auswachsen.

Interview: Dr. Dorothea Siems

Quelle: ZDH

Zu Handwerksthemen finden Sie ebenfalls Beiträge unter http://malerillu.de. , dem Online Magazin der Maler- und Lackierer-Innung Düsseldorf sowie unter http://maler-düsseldorf.de und http://energie-und-fassade.de

Autor:

Heiner Pistorius aus Düsseldorf

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