Entwickelt sich der 1. Maifeiertag zum Seniorenhappening?

„Heraus zum 1. Mai !!!“ heißt es heute immer noch in Sozialistischen- und Gewerkschaftskreisen, obwohl beide doch so gar nichts miteinander zu tun haben wollen. Die Gewerkschaften als Pufferzonen zwischen Ausgebeuteten und der besitzenden herrschenden Klasse haben sich die Enteignung der Produktionsmittel genauso wenig auf die Fahnen geschrieben, wie die sozialistischen Gruppierungen die Förderung des Unternehmertums.

Aber am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, stehen sie im Düsseldorfer Hofgarten seit Jahrzehnten einträchtig nebeneinander an ihren Ständen und es herrscht Ideologienstillstand.

Seit rund 120 Jahren gilt der 1. Mai als Kampftag der Arbeitnehmerschaft und viele der Besucher machten den Eindruck, als seien sie von Anfang an dabei gewesen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter vom Motorradclub Kuhle Wampe, den beiden cubanischen Freundschaftsgesellschaften, der Linken, der CDA, der AWO, der Verdi-Gewerschaft, der Gewerkschaft der Polizei, der Naturfreunde, der Grünen, des Tauschringes, der Caritas und Diakonie und des ZAKK u.a., waren alle schon erwachsen, als Raumschiff Enterprise über den Bildschirm schwebte und die Beatles und die Stones ihren musikalischen Feldzug durch die Welt antraten.

Erfahrene Profikämpfer gegen das Kapital flößen Respekt ein. „Schön, das Du da bist !“, werde ich denn auch von einigen der kampferprobten ProtagonistInnen begrüßt. So als seien sie höchstpersönlich der Gastgeber, dessen Einladung man nicht zu widersprechen hat. „Warst Du im letzten Jahr eigentlich auch hier ?“, lautet die lauernde Frage. Schuldbewußt senkte ich den Kopf und fange an zu weinen. „Nein“, hauche ich.
„Warst Du denn heute mit bei der Demo vom DGB-Haus zum Hofgarten ?“ „Nein“, hauche ich wieder und der Kopf fällt mir von der Brust auf den Bauch und zum Schluchzen kommt ein ängstliches Zittern. „Ja, hast Du denn die Rede vom Gewerkschaftsvorsitzenden auch nicht gehört !?“, knallt es mir ins Ohr. Ich schüttele nur zart den Kopf und lutsche am Daumen. Oh, mein Gott, wäre ich doch nur zu Hause geblieben.

Die Gehirnwäsche nimmt ihren sozialistischen Lauf. Ich müsse doch wissen, das jeder Einzelne mitwirken müsse, wenn wir etwas verändern wollen. Durch meine passive Haltung fördere ich die Entwicklung der Rechten, die nur darauf warten, das Leute passiv werden. Immerhin habe ich doch ein politisches Bewußtsein und es sei unverständlich, wie ich die Arbeiterbewegung so verraten könne. Verraten durch Inaktivität, jawohl, das müsse man mir mal sagen !

Weinend und mit hängenden Schultern begebe ich mich zum Kuba-Stand und schleudere mir einen Muchito in den Hals und eine Zigarette zwischen die Lipppen. Ich finde Platz und eine Grüne setzt sich neben mich mit einem Obstsalat, eingefüllt in eine Biowaffel, die die Form eines Bechers hat. Wir unterhalten uns über den Zuzug der vielen Völker in die BRD. Die Grüne meint, es sei eine Notwendigkeit, all
diesen armen Menschen der Welt zu helfen und das könne man am besten, wenn man wieder lerne, zu teilen. In der BRD sei genug Geld und Raum vorhanden, um all diese armen Menschen aufzunehmen und sie sähe nicht die Notwendigkeit einer Einwanderungsbeschränkung. Deutschland habe sich im zweiten Weltkrieg schuldig gemacht und sei deshalb auf immer verpflichtet, Tür und Tor für alle MigrantInnen offen zu halten.

Auf den Einwand eines Zuhörers, es komme doch auch viel „Lumpenproletariat“ nach Deutschland, einzig in der Absicht, hier von Sozialhilfe zu leben, drohte die Grüne mit einer Anzeige wegen Diskriminierung. Während sie auf ihrem Handy die Polizei anrief, damit der Unhold festgenommen werde, suchte dieser allerdings den Stand des binationalen Zentrums auf, wo er einer alten Frau eine Spende von tausend Euro in die Hand drückte für den Multi-Kulti-Chor. Das Gutsein im praktischen kleinen Lebensbereich zählte hier allerdings nicht – er hatte ein Unwort gewählt und wurde kurz danach von der Polizei abgeführt zur Wache, wo er sich für den Ausdruck „Lumpenproletariat“ ausweisen mußte. Eine gesonderte Vorladung würde in den nächsten Tagen folgen.

Der Waffelbecher der Grünen hatte sich bei dem Gefecht aufgelöst und es fielen auf die weisse Hose rote Früchte jeglicher Art, eingelegt in Holundersaft und hinterließen eine Spur so rot, wie die Revolution.

Beim zweiten Muchito rauchte ich eine kubanische Havanna. Eine rot-grüne Frau, zwei grüne Frauen und eine linke Frau redeten unablässig auf mich ein, wie schädlich Rauchen und Trinken sei. Aber ich hielt mich wacker an die ganz wenigen alten Arbeiter, die noch zugegen waren und die sich seit 120 Jahren erlauben, zur Maifeier am hellen Mittag schon Bier zu trinken. Meine Zuneigung zum sozialistischen Kuba rechtfertigt meinen Muchito, sage ich mal. Immerhin gehen die 4,50 Euro in ein kubanisches Projekt und so kann man für einen guten Zweck auch mal was Gutes trinken.

Das Hofgartenfest wird musikalisch untermalt von einer Art Schuhplattlermusik – beim näheren Hinsehen entpuppt es sich als eine Sambagruppe, bunt bekleidet mit roten Perücken auf dem Kopf.

Die Kurden spielen etwas virtuoser auf ihren Blasinstrumenten, begleitet von metallischen Trommeln, die den Hüften ein Zucken entlocken.

Ach, wäre der 1. Mai-Feiertag im Hofgarten doch nur doppelt so lang. Ich kann mich nicht satt sehen an den WeggefährtInnen der letzten Jahrzehnte. Manche sind so hellhaarig geworden, das ich sie auf Anhieb nicht identifizieren kann – es interessiert mich, wo sie ihre Falten haben. Sehe ich ihnen ähnlich ? Heimlich fotografiere ich mich selbst mit dem Smart-phone und erschrecke. Es muß am Licht liegen oder auch am Apparat. Das bin ich nicht. Dennoch erkennen mich einige wieder und werden nicht müde, mir zu beteuern, wie schön es sei, das ich zum Fest gekommen bin.

Das finde ich auch schön, aber noch schöner wäre es, wenn wesentlich mehr junge Leute diesen wichtigen Tag feiern würden. Weltweit setzt er ein Symbol für Lohngerechtigkeit und humane Arbeitsbedingungen. Schade, das die kommenden Maifeiern wohl immer mehr besucht werden von Leuten, die auf dem Rollator ihre Kampfschriften nach Hause bringen.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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