Existenzvernichtung geht auch ganz ohne Sanktionen (Teil 3)
Gefangen zwischen zwei Aktendeckeln – die Scheuklappen der Richter

Am 17.05.2015 war in der Süddeutschen ein Artikel über Fehlurteile in Deutschland erschienen. Der Autor Wolfgang Janisch hatte seinen Artikel betitelt: „Ohne jeden Zweifel“ Einleitend schreibt er: „Ralf Eschelbach, Richter am Bundesgerichtshof, schätzt, dass jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil sei.“

Im vorliegenden Beitrag möchte ich skizzenhaft nachweisen, wie sich auch die Sozialgerichtsbarkeit in diesem konkreten Fall der Existenzbedrohung/vernichtung schuldig macht.

Mit Beschluss S 60 AS 2091/18 ER vom 05.06.2018 lehnte Richterin Wilschewski (SG Dortmund) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für die Zeit 01.11.2017 bis 30.04.2018 ab. In der Begründung schreibt sie:

„Ein Anordnungsanspruch hinsichtlich des Regelbedarfes besteht nicht, da die Antragstellerin diesen aus ihrem Renteneinkommen decken kann."

Ein Fehlurteil: Die zeitlich befristete EU-Rente war amtsbekannt nachgewiesen zum 31.01.2018 ausgelaufen. Diese Informationen sind in der Leistungsakte dokumentiert. Aus den mit gesandten Anlagen war ersichtlich, dass bereits von Mai bis Juni 2016 Leistungen der Unterkunft verweigert worden waren und auch, dass der hinzugezogenen Anwalt, irregeführt worden war, denn dem Anwalt war mitgeteilt worden, dass seinem Widerspruch in vollem Umfang entsprochen wurde.“ – Eine weitere Lüge. Denn anstelle der Leistungen ab 01.11.2017 bis 30.04.2018 wurde ein neuer Versagungsbescheid in gleicher Sache erlassen.

Noch am 16.05.2018 hatte „Niemand“ von der Widerspruchstelle des Jobcenters MK die Klageabweisung beantragt und der Richterin vorgegaukelt, es mangele an der Eilbedürftigkeit indem „Niemand“ behauptete die Antragstellerin könne ihren Regelbedarf aus einer Erwerbsminderungsrente in Höhe von 479,40 EUR sicherstellen. Außerdem ignorierte „Niemand“ die offene Mietforderung . . .

Niemand ist so blind wie der, der nicht sehen will

So manches Mal verliert der geübte Blick auf das Detail den Gesamtzusammenhang aus den Augen.
Mag man auch der Vorsitzenden der 60. Kammer Richterin Wilschewski die Möglichkeit zugutehalten, das Fax vom 05.06.2018 von 08:13 Uhr hätte ihr zum Zeitpunkt der Abfassung ihres ablehnenden Beschlusses noch nicht vorgelegen, so ist der Hinweis auf die ausgelaufene EU-Rente als Beweis der völligen Mittellosigkeit so gravierend, dass spätestens mit Abgabe der Akte an das LSG der Hinweis in der Akte hätte markiert werden müssen.

Am 16.08.2018 hatte der 19. Senat des LSG NRW durch die Vorsitzende Richterin Straßfeld, den Richter Dr. Saitzek und den Richter Landessozialgericht Dr. Kemper beschlossen die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Existenzminimum wird verweigert, weil die Richter den nachgewiesen falschen Tatsachenbehauptungen der Jobcenter-Mitarbeiter mehr glauben wollen, als den vorgetragenen Fakten . . .

Dass sie sich damit offen gegen eine beigefügte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellen, wirkt geradezu anmaßend.

„(2) Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden

Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.“
Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 569/05, 12.05.2005

Die Vollstreckung der kompletten Verweigerung existenzsichernder Leistungen im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren kommt einer Vorwegnahme einer Hauptsacheverhandlung gleich, allerdings ohne hinreichende Faktenprüfung!
Während 100%-Sanktionen auf drei Monate begrenzt sind,  kann eine Vertröstung auf weitere Jahre unwiederbringliche Schäden auslösen.

- Ich habe Respekt vor jeder Uniform – die im Schrank hängt. Aber sobald mich jemand in Uniform anspricht, sehe ich auf die Person, die sie trägt. -

klage107

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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