Immerwährende Totenruhe

Martina Strehlen an der Stelle, wo einst der Grabstein von Joseph Herz stand. 
Foto: Henschke
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Der Katholische Deutsche Frauenbund besuchte den Jüdischen Friedhof am Pastoratsberg

Ein wild-romantischer Ort mit verwitterten Grabsteinen, hebräischen und deutschen Inschriften. Der Jüdische Friedhof ist spannendes Zeitdokument und Mahnung zugleich.

Hoch oben auf dem Pastoratsberg trifft sich der Katholische Frauenbund. Hanslothar Kranz hat eingeladen und empfängt an der Jugendherberge: „Ich sage Shalom mit dem Friedensgruß unserer jüdischen Mitbürger.“ Die KDFB-Damen werden von Männern begleitet, die aus Respekt und Ehrerbietung den Toten gegenüber eine Kopfbedeckung tragen. Kranz schaudert es noch heute: „Am 7. Oktober 1966 bin ich zum ersten Mal hier gewesen. Jugendliche aus Oberhausen hatten 20 Grabmale umgestoßen.“ 2002 wurde der abseits liegende Friedhof erneut geschändet, 2007 von Orkan Kyrill total verwüstet, danach wieder hergerichtet.
Fundierte Informationen gibt Martina Strehlen von der Alten Synagoge Essen. Am 8. November wird sie in den Domstuben einen Vortrag über das jüdische Leben in Werden halten. Nicht zufällig soll das Datum auch an die Novemberpogrome 1938 erinnern. Der nicht besonders große Friedhof gehört dem Landesverband, der in Düsseldorf sitzt. Er ist terrassenförmig am Hang angelegt, ein breiter Weg teilt das Grundstück in zwei Felder. Das Stück Land für den Friedhof kostete die Gemeinde zehn Taler. Die erste Bestattung fand 1831 statt, Lazarus Salomon war im Zuchthaus verstorben. Wichtigstes Gebot im Judentum ist es, mit Kranken, Sterbenden und den Toten würdig umzugehen. Alle Juden haben ein Recht auf einen Grabstein und immerwährende Totenruhe. Daher ist es auch schlichtweg falsch, den Friedhof als „ehemalig“ zu bezeichnen. Es gab eigens Gesellschaften, die sich darum kümmerten, dass auch die Armen ein würdiges Begräbnis bekamen. Im Prinzip soll der Tote noch am selben Tag in ein Tuch gehüllt in der Erde bestattet werden. Die in Deutschland geltende Sargpflicht wurde mittlerweile in NRW für Juden aufgehoben. Ein jüdisches Grab wird nicht mit Blumen geschmückt, stattdessen legt man einen kleinen Stein darauf.

Wo ist der Grabstein geblieben?

Beerdigt wurde nicht chronologisch, sondern nach Familienzugehörigkeit. Im hinteren Teil des Friedhofes liegen große Felder der Familien Simon und Herz. Immer wieder tauchen ihre Namen auf. Erst nach der Säkularisierung der Reichsabtei Werden erhielt 1808 der Metzger und Viehhändler Joseph „Juspa“ Herz die Genehmigung, sich mit seiner Familie in Werden ansiedeln zu dürfen. Hanslothar Kranz hatte dafür gekämpft, dass dem Gründer der jüdischen Gemeinde im Neubaugebiet „Grüne Harfe“ eine Straße gewidmet wurde. Joseph Herz starb 1846, einen Stein gibt es nicht mehr. Martina Strehlen zeigt auf eine Bruchstelle und hält ein Foto hoch: „Dieses Bild ist 1987 entstanden. Da war der Grabstein noch da.“ Kopfschüttelnd fragen sich die Besucher: „Was macht man mit einem geklauten Grabstein?“ Martina Strehlen weiß es nicht, sagt aber: „Hier ist noch viel mehr verschwunden.“ Der älteste noch erhaltene Grabstein ist von 1845. Bella Baruch hatte acht Kinder und war die Stamm-Mutter der Simons. Ihr Sohn Herz eröffnete am Klemensborn ein Geschäft, Enkel Leopold Simon startete mit Wilhelm Döllken eine holzverarbeitende Firma, die weltweite Bedeutung erlangte. Der sozial höchst engagierten Else Simon wurde schon 1957 die Simonaue gewidmet: „Eine der ersten Straßen, die nach Juden benannt wurden. So wichtig war sie für Werden.“ Auf dem früheren Döllken-Gelände erinnert die Leopold-Simon-Straße an den Unternehmensgründer.

Schlimme Schicksale

Schlimme Schicksale sind dokumentiert. Minna und Salomon Rosenbaum besaßen zwei Kaufhäuser an der Brückstraße, Minnas Sohn Felix Steeg liegt neben ihr begraben, beging im Polizeigefängnis Selbstmord. Philip Baum besaß die Werdener Fischhalle in der Bungertstraße. Seine Frau Sophie und Tochter Ruth wurden nach der Kristallnacht von den Nazis in eines der drei „Judenhäuser“ in der Bungertstraße gezwungen, wo Stolpersteine an sie erinnern. Kurz vor Kriegsende wurden alle Bewohner in die Vernichtungslager deportiert. Etwas abseits sind Bewohner des Erholungs- und Altersheims „Rosenau“ bestattet. Es wurde von Otto und Käthe Fleck gegründet und von der Familie Hirschland finanziert. Einige Grabsteine sind sehr mitgenommen und drohen umzustürzen. Andere sind kaum noch zu erkennen. Überhaupt ist hier viel zugewachsen. Dürfte man das hier wuchernde Grün zurückschneiden? „Ja, zuständig ist hier die Stadt. Einmal im Jahr wird Hand angelegt.“ Das scheint den Gästen aber anders und Hanslothar Kranz stellt fest: „Hier ist schon länger nichts mehr getan worden. So geht das nicht. Ich werde mich an Grün und Gruga wenden.“

Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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