Gesellschaft
Trotz seiner gestiegenen Bekanntheit wird das Asperger-Syndrom oft spät oder gar nicht erkannt

Foto: Feverpitched - istockphoto.com

Das Asperger-Syndrom wird heute zehn mal häufiger diagnostiziert als noch vor zehn Jahren. Dennoch bleibt die Dunkelziffer hoch - besonders unter Mädchen und Frauen.

Einer der bekanntesten Asperger- und Autismus-Forscher ist Dr. Tony Attwood. Er selbst ist ein Beispiel dafür, wie leicht es Eltern passieren kann, das Asperger-Syndrom bei den eigenen Kindern nicht zu erkennen. Der klinische Psychologe, Dr. Attwood, war bereits vor der Geburt seines Sohnes, William, auf Autismus spezialisiert. Dennoch realisierte der Forscher erst als sein Sohn bereits erwachsen war, dass dieser von dem sogenannten Asperger-Syndrom betroffen ist.

Dr. Attwood sagt in Interviews, dass der Drogenmissbrauch und die Inhaftierung seines Sohnes wegen einer begangenen Straftat vermutlich vermeidbar gewesen wären, wenn er bei seinem Sohn bereits in der frühen Kindheit das Asperger-Syndrom erkannt hätte.

Was ist Autismus und was ist das Asperger-Syndrom?

Autismus stellt ein breites Spektrum eines Syndroms dar. Jeder individuelle Fall des Asperger-Syndroms ist etwas anders als andere Fälle. Weiterhin tritt das Syndrom auf der einen Seite des Spektrums bei einigen Personen mit schwerwiegenden Symptomen in Erscheinung; während es auf der anderen Seite des Spektrums Personen gibt, die nur sehr subtile Symptome zeigen. Der Begriff Asperger-Syndrom bezieht sich auf sogenannten hochfunktionalen Autismus.

Das Wort “hochfunktional“ beschreibt dabei, dass die Betroffenen ein selbständiges Leben bestreiten können und darüber hinaus in vielen Fällen besondere Begabungen zeigen. Personen, die von schwerwiegendem Autismus betroffen sind, können an üblicher sozialer Interaktion nur sehr begrenzt teilnehmen und sind im Alltag auf Hilfe anderer angewiesen.

Personen mit hochfunktionalen Autismus, also dem Asperger-Syndrom, sind oft durch überdurchschnittliche Intelligenz ausgezeichnet sowie besonderem Fähigkeiten, die je nach Person unterschiedlich sein können. Beispiele für überdurchschnittliche Talente, die häufig bei Personen mit dem Asperger-Syndrom zu finden sind, können sein:

  • abstrakte Systeme leicht und mit Freude zu begreifen
  • sprachliches Talent: ein breiter, sehr differenzierter Wortschatz
  • mit Zahlen ungewöhnlich gut umzugehen
  • sich Formen oder Texte leicht zu merken
  • Musikalisches Talent
  • Talent im Bereich des Zeichnens und der Malerei

Gleichzeitig leiden insbesondere Kinder und aber auch Erwachsene, die vom Asperger-Syndrom betroffenen sind, gehäuft unter schwer zu ertragenen emotionalen “Achterbahnfahrten”. Abrupte Stimmungsumschwünge durch kleinste Auslöser sind typische Symptome. Wutanfälle und Depressionen sind typische Erscheinungen in Kindern, die mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert wurden.

Warum hat Dr. Attwood bei seinem eigenen Sohn das Asperger-Syndrom über Jahrzehnte nicht erkannt?

In einem Interview, welches auf English auf Youtube zu finden ist, beschreibt, Dr. Attwood, was die Gründe für seine späte Diagnose seines Sohnes sein könnten. Der Autismus Experte erläutert, dass vor rund 30 Jahren die psychologische Forschung noch immer auf den äußerten Extrem-Bereich des autistischen Spektrums fokussiert gewesen wäre.

Erst als die Experten besser darin wurden, zu begreifen, was Autismus sei, hätte sich die Forschung nach und nach auf dem Spektrum von den extremsten Erscheinungsformen bis zu weniger ausgeprägten Fällen entlang gearbeitet bis vor wenigen Jahren, der hochfunktionale Autismus, also das Asperger-Syndrom, in den Fokus der Forschung gefallen wäre.

Diese Entwicklung könnte auch erklären, warum heute die Diagnose des Asperger-Syndrom zehnmal häufiger ist als noch vor zehn Jahren. Doch auch wenn das Asperger-Syndrom heute häufiger erkannt wird als früher, heißt das nicht, dass jeder Fall erkannt wird.

Das Beispiel des Sohnes von Dr. Attwood zeigt, dass es insbesondere für Eltern schwer sein kann, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen. Wer sein Kind von Geburt an täglich betreut, neigt dazu, alle Eigenheiten des Kindes, die sich sehr langsam über Jahre entfalten als individuelle Charaktereigenschaften wahrzunehmen und somit nicht als Symptome des Asperger-Syndroms.

Es erfordert häufig den Blick eines außenstehenden Experten, um individuelle Charaktereigenschaften eines Kindes oder Erwachsenen von Symptomen des Asperger-Syndroms zu unterscheiden.

Vorteile der Früherkennung

Wird das Asperger-Syndrom bei einem Kind frühzeitig erkannt, lassen sich durch Therapie problematische Nebeneffekte des Syndroms lindern. Weiterhin begünstigt eine Diagnose des Asperger-Syndroms für Eltern und Kinder mehr Verständnis und Änderungen im eigenen Verhalten, die unnötige Konflikte vermeiden.

Auch wenn eine Diagnose in späteren Lebensabschnitten erfolgt, kann dies viel Erleichterung bringen. Das Migros-Magazin berichtet über ein Ehepaar, welches erst Jahrzehnte nach der Heirat erfuhr, dass der Mann des Paares Symptome des Asperger-Syndroms zeigt. Die Diagnose half dem Paar einander zu verstehen und Gefühle des Zorns und Missverständnisse zu überkommen.

Sind von dem Asperger-Syndrom mehr Jungen und Männer betroffenen oder wird es in Mädchen und Frauen seltener erkannt?

Laut Dr. Attwood, seien die Symptome das Asperger-Syndroms in Mädchen und Frauen oft deutlich schwerer zu erkennen. Der Grund dafür sei, dass Mädchen und Frauen eher dazu veranlagt seien, sich auf soziale Interaktion zu fokussieren. Zwar würden weibliche wie auch männliche Personen, die vom Asperger-Syndrom betroffen seien, übliche Intuition im sozialen Kontakt missen.

Personen, die nicht von Autismus betroffnen sind, wüssten intuitiv, wann welches Verhalten angemessen ist. Personen, die vom Asperger-Syndrom betroffenen seien, hätten zum Beispiel Schwierigkeiten zu erkennen, wann sie in einem Gespräch reden sollten und wann sie aufhören sollten zu reden und beginnen würden andere zu langweilen. Sie hätten außerdem Schwierigkeiten Gesichtsausdrücke korrekt zu deuten.

Mädchen und Frauen, die vom Asperger-Syndrom betroffenen seien, würden häufiger dazu neigen andere Frauen als Vorbild zu imitieren. Auch sie hätten wie Jungen und Männer Schwierigkeiten zu wissen, wann im sozialen Kontakt, welches Verhalten angebracht ist.

Aber sie würden mit höherer Wahrscheinlichkeit erlernte, Verhaltensmuster, die sie bei anderen Mädchen und Frauen beobachtet haben, kopieren. Dieser Umstand würde die Symptome des Asperger-Syndroms bei zahlreichen betroffenen Mädchen und Frauen sozusagen tarnen. Ob mehr Jungen und Männer vom Asperger-Syndrom betroffenen sind als Mädchen und Frauen, sei deshalb noch unklar.

Weitere Informationen zu dem Asperger-Syndrom und Autismus in Essen und Region können sie z.B. hier finden:

Autismuszentrum Essen

LVR-Klinikum Essen: Frühkindlicher Autismus und Asperger-Syndrom

Beobachter.ch: Asperger-Syndrom

Lokalkompass.de: Betroffene vom Asperger-Autismus melden sich zu Wort

Autor:

Gabriele Lindner aus Essen

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