Bewusstsein schärfen, Kriegspropaganda widerstehen - Rede zum Antikriegstag in Gelsenkirchen

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Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

ich freue mich, dass wir uns heute am Antikriegstag wieder so zahlreich zusammen gefunden haben. Ich sage bewusst Antikriegstag und nicht Weltfriedenstag, denn von Frieden in der Welt kann auch heute keine Rede sein. Daran ist Deutschland als drittgrößter Rüstungsexporteur weltweit nicht unschuldig.

Aber nicht nur deutsche Waffen mischen international in Konflikten mit.Seit Rot-Grün die Bundeswehr 1999 in den völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg geschickt haben, ist die deutsche Armee auch selbst als internationale Eingreiftruppe im Dauereinsatz. Kein Jahr, in dem die Bundeswehr nicht irgendwie an gleich mehreren bewaffneten Einsätzen beteiligt ist.

Derzeit sind über 6000 deutsche Soldaten international eingesetzt, davon über 5000 im und um den Nahen Osten.Und jetzt will die westliche Führungsmacht USA nach den Kriegen im Irak und in Afghanistan nun offenbar gegen Syrien einen weiteren Krieg in der Region vom Zaun brechen. Einen Krieg, der die instabile Region vollends ins Chaos stürzen kann.

Dabei ist noch völlig ungeklärt, ob wirklich der syrische Diktator Assad im Bürgerkrieg gegen das eigene Volk und internationale Dschihadisten Giftgas eingesetzt hat, oder ob das eine Aktion von Rebellengruppen war. Klar ist nur, dass militärisches Eingreifen keinerlei Perspektive für ein friedliches und stabiles Syrien bietet.

Aber aus Erfahrung wissen wir: Die Wahrheit ist nicht das erste Opfer im Krieg. Die Wahrheit stirbt in aller Regel vorher.

Beim zweiten Golfkrieg 1990 war es die sogenannte Brutkastenlüge. Heute wissen wir, dass die Geschichte vom Kindermord in Kuweit durch irakische Soldaten eine von einer PR- Agentur verbreitete Erfindung war.

Beim Kosovo-Krieg wurde der Angriff mit dem sogenannten „Hufeisenplan“ zur Vertreibung der Kosovo-Albaner durch die Serbische Regierung begründet. Heute wissen wir, dass der Hufeisenplan eine Erfindung auf Basis von zweifelhaften Geheimdienstquellen war.

Und der Angriff auf Afghanistan erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem der Tathergang des 11. September und die Verantwortlichen noch gar nicht feststanden. Danach wechselten die offiziell angegebenen Kriegsgründe fast wöchentlich. Die Ergreifung Osama Bin Ladens, die Vertreibung von Al Kaida, das Ende des Taliban-Regimes, der Schutz der Frauenrechte, das Bohren von Brunnen für die Zivilbevölkerung: Alles wurde und wird irgendwie zur Rechtfertigung des Krieges herangezogen.

Vor dem dritten Irakkrieg behaupteten die USA dann, dass im Irak Massenvernichtungswaffen hergestellt würden. Diese Massenvernichtungswaffen wurden nie gefunden. Es gab sie schlicht nicht.

Und im Falle des Eingriffs in den Bürgerkrieg in Lybien warf selbst der deutsche Entwicklungsminister Niebel der internationalen Allianz Heuchelei vor und unterstellte Öl-Interessen als Grund. Das konnte er deshalb, weil Deutschland sich bei der UN-Resolution enthalten hatte.

Wir sollten uns auch im Fall Syrien nicht von dem Gerede um angebliche Kriegsgründe verwirren lassen. Es sind Kriegsvorwände.

Heute ist es ja schon praktisch offiziell: Wir führen Wirtschaftskriege. Horst Köhler musste für das Aussprechen dieser Wahrheit noch zurücktreten. Inzwischen hat Verteidigungsminister de Maiziere in die verteidigungspolitischen Richtlinien aufgenommen, dass es eine wesentliche Aufgabe der Bundeswehr sei, Zitat: „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“ Da weiß man doch, woran man ist.

Das Thema Krieg ist dieser Tage so aktuell, dass ich den Antikriegstag für einen Moment nicht als Gedenktag, sondern als Mobilisierungstag begreifen möchte. Wir müssen uns den gegenwärtigen Kriegsvorbereitungen im Falle Syrien entgegenstellen. Wenn man jetzt noch Öl ins Feuer des syrischen Bürgerkrieges gießt, wird sich die Lage in Syrien weiter verschlimmern. Es droht ein Flächenbrand über die Grenzen des Landes hinaus.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde: Bomben schaffen keinen Frieden!

Was wir stattdessen brauchen ist eine ernstgemeinte Friedenskonferenz, mit all den Welt- und Regionalmächten am Tisch, die derzeit in Syrien ihre Stellvertreterkriege austragen. Wir brauchen die Bereitschaft zu Zugeständnissen auf allen Seiten, internationale Garantien, Demokratisierung und Wiederaufbauhilfe. Das geht nicht mal eben so. Aber ohne Druck von der Straße für eine friedliche Lösung des Syrienkonfliktes, wird das Morden nicht enden. Es wird weitergehen wie im Irak, in Libyen und in Afghanistan bis heute.

Deshalb ist der Antikriegstag als Gedenktag umso wichtiger. Vor 74 Jahren hieß es „seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen“, eine Propagandalüge, mit der die Nazis der Bevölkerung weismachten, dass Polen den Krieg begonnen hätte.

Viele Lehren gibt es zu ziehen aus der Katastrophe des deutschen Faschismus, viel an historischer Verantwortung zu übernehmen. Zum Antikriegstag wünsche ich mir, dass wir nie wieder auf die Lügen der Kriegspropaganda hereinfallen. Nie wieder der Verlockung vermeintlich einfacher, aber in Wirklichkeit nur zerstörerischer Lösungen erliegen. Dafür gilt es, das Bewusstsein zu schärfen. Und dazu gehört eben auch die Erinnerung. Dazu gehört das würdige Gedenken an diejenigen, die sich in der finstersten Zeit der Deutschen Geschichte dem Morden entgegengestellt haben.

Heute gibt es in Gelsenkirchen eine erfreuliche Anzahl an Straßen und Plätzen, die nach Widerständlern benannt wurden. Und es gibt Denkmäler und Stolpersteine. Dafür möchte ich besonders dem Verein Gelsenzentrum Anerkennung zollen, die seit langem daran arbeiten und sich unermüdlich engagieren.

Demnächst sollen einige dieser Plätze neu gestaltet werden. Ich hoffe sehr, dass man in dem Zuge auch die Denkmäler entsprechend herrichten wird. Damit die Menschen nicht vergessen, warum ihre Plätze nach Margarethe Zingler, Heinrich König und Fritz Rahkob benannt wurden.

Gleich wird uns Bettina das Gedicht „Der Graben“ von Kurt Tucholsky vortragen. Das ist auch so eine Erinnerung an die Zeit, als das Grauen des ersten Weltkrieges noch nicht lange her war und sich schon das des nächsten abzeichnete.

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit und gebe weiter.

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!

Im Anschluss an die Rede trug Bettina das Gedicht "Der Graben" von Kurt Tucholsky vor:

Kurt Tucholsky: Der Graben, Gedicht, 1926.

Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?
Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?
Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,
und du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn dir weggenommen haben.
Für den Graben, Mutter, für den Graben.

Junge, kannst du noch an Vater denken?
Vater nahm dich oft auf seinen Arm.
Und er wollt dir einen Groschen schenken,
und er spielte mit dir Räuber und Gendarm.
Bis sie ihn dir weggenommen haben.
Für den Graben, Junge, für den Graben.

Drüben die französischen Genossen
lagen dicht bei Englands Arbeitsmann.
Alle haben sie ihr Blut vergossen,
und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.
Alte Leute, Männer, mancher Knabe
in dem einen großen Massengrabe.

Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker!
Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit!
In die Gräben schickten euch die Junker,
Staatswahn und der Fabrikantenneid.
Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,
für das Grab, Kameraden, für den Graben!

Werft die Fahnen fort!
Die Militärkapellen spielen auf zu euerm Todestanz.
Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen -
das ist dann der Dank des Vaterlands.

Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.
Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
schuften schwer, wie ihr, ums bißchen Leben.
Wollt ihr denen nicht die Hände geben?
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
übern Graben, Leute, übern Graben!

Autor:

Ingrid Remmers aus Gelsenkirchen

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