StraßenFeuer-Gala: Improvisation ist alles

Kabarettist Hagen Rether widmete sich humorvoll, aber umso tiefsinniger der aktuellen gesellschaftlichen Situation und machte schon ein wenig Angst davor, wohin der Weg uns führen könnte. Da blieb so manchem im Publikum das Lachen im Halse stecken... Foto: Gerd Kaemper
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  • Kabarettist Hagen Rether widmete sich humorvoll, aber umso tiefsinniger der aktuellen gesellschaftlichen Situation und machte schon ein wenig Angst davor, wohin der Weg uns führen könnte. Da blieb so manchem im Publikum das Lachen im Halse stecken... Foto: Gerd Kaemper
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Die fünfte Auflage der StraßenFeuer Spendengala ließ am Sonntag den Bürgersaal des Hans-Sachs-Hauses aus allen Nähten platzen. Und sie sorgte mit großartigen Improvisationsleistungen für einen rundum unterhaltsamen und anspruchsvollen Abend.

Die Gelsenkirchener haben wieder einmal bewiesen, dass ihr Herz nicht aus Stein ist, sondern sie Empathie empfinden für die, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Davon zeugte eine lange Schlange von Besuchern, die sich am Hans-Sachs-Haus entlang in einem großen Bogen über die Ebertstraße bis in den Eingang reihte.
Moderator Frank Bürgin fand auch gleich zu Beginn die passenden Worte, in dem er an die Kältewelle der letzten Zeit erinnerte und freimütig gestand: „Nur der Gedanke daran rauszugehen, hat mir schon Männerschnupfen bereitet.“ Gar nicht denken, wollte er an die, die auch ihre Nächte auf der Straße verbringen müssen. Und um diese Menschen ging es bekanntlich bei der Spendengala.

Improvisationstalent war immens gefragt

An diesem Abend hatte Frank Bürgin es auch nicht ganz leicht mit seiner Moderation. Denn er musste gleich zu Beginn bekannt geben, dass der Flamenco-Gitarrist Rafael Cortes, der bei den bisherigen vier Galas immer für Begeisterung sorgte, gegen 15 Uhr abgesagt hatte, weil er sich einen Finger verstaucht hatte und somit nicht spielen konnte. Doch er versprach, dass es mit der Jazz-Sängerin Daniela Rothenburg Ersatz geben würde.
Der nächste schwere Fall für den Moderator war die Tatsache, dass Michael Dahmen, ein Ensemblemitglied des Musiktheaters im Revier, der in diesem Jahr die Gala bereichern sollte, nicht anwesend war, als sein Auftritt eigentlich geplant war. Aber Frank Bürgin erwies sich als Improvisationstalent und überbrückte gekonnt.
Oberbürgermeister Frank Baranowski freute sich, dass das StraßenFeuer ein festes Obdach gefunden hat im Hans-Sachs-Haus und inzwischen als fixer Termin nicht mehr aus dem Veranstaltungskalender der Stadt Gelsenkirchen wegzudenken ist.
Gemeinsam mit den Gästen wünschte sich der Oberbürgermeister, dass Wohnungslose weniger ausgegrenzt werden aus der Gesellschaft als bisher. Stolz zeigte sich Baranowski darüber, dass in diesem Jahr der Verein Arzt Mobil sein 20-jähriges Bestehen feiert. Sein Dank galt den Mitstreitern von „Warm durch die Nacht - Gelsenkirchen packt an!“, dem Arzt Mobil und den Machern der „StraßenFeuer Spenden-Gala“.

Die Gala zugunsten der Obdachlosenhilfe

Wie wichtig die Arbeit der Ehrenamtler von „Warm durch die Nacht - Gelsenkirchen packt an!“ ist, schilderte Petra Bec: „Die Kältewelle sorgte für einen Großeinsatz. Wir haben neben unseren üblichen vier bis fünf Touren in der Woche noch unsere Problemfälle intensiv betreut. Damit meine ich die Draußenschläfer, die wir direkt vor Ort an ihren uns bekannten Schlafplätzen aufgesucht haben, um sicher zu gehen, dass es ihnen den Umständen entsprechend gut geht. Und wir sind froh, dass wir in diesem Winter keinen Gast verloren haben.“
Auf die Frage, wie es überhaupt zur Gründung von "Warm durch die Nacht" kam, schildert sie mit einfachen Worten: „Wir haben gemacht, was nötig war und den richtigen Nerv gefunden. Unser Engagement geht über die heiße Suppe und Getränke hinaus. Viel wichtiger ist den 40 bis 80 Menschen im Alter von 17 bis 85 Jahren, die an unseren Bollerwagen kommen, dass wir immer ein offenes Ohr für sie haben und uns auch kümmern. Wir helfen bei Amtsgängen, dem Ausfüllen von Anträgen und bieten einfach niederschwellige Hilfen an. Und wie man sieht, kriegen wir alles hin - irgendwie.“
Der „Zeremonienmeister“ und Initiator der Spendengala, Norbert Labatzki, sorgte gemeinsam mit dem Gitarristen Roger van Triel für eine musikalische Einlage und führte dabei ein wenig durch sein musikalisches Leben. So spielte Labatzki die Klezmerklarinette und sang das jiddische Lied „Bei Mir Bistu Shein“. Dazu erzählte er voller Stolz, dass er am schönsten Opernhaus im Revier, dem heimischen MiR, im Musical „Anatevka“ mitwirken durfte, weil er die Klezmerklarinette beherrscht.
Ein wenig zurück in seiner Geschichte ging er mit seiner Vertonung eines Gedichtes des Arbeiterdichters Kurt Küther „Ein Bergmann vor der Himmelstür“, dem er sich verbunden fühlt durch den Werkkreis der Literatur und Arbeiterwelt, der aus der Schreibwerkstatt der VHS entstanden war. In seiner Zeit als Duo Zündholz hatte der Musiker einige der Texte des Arbeiterliteraten vertont und dargeboten. Labatzki erinnerte sich schmunzelnd: „Mein Vater hat mich auch mit dem Gummischlauch verprügelt. Das war damals so. Aber ich muss gestehen, ich hatte vorher unseren Kaninchenstall angezündet.“
Vor nicht ganz so langer Zeit entstand das Lied „Wann wird es endlich Frühling?“ wie Labatzki erzählte: „Im Herbst vor sechs Jahren hat mir Tanja Oppermann geholfen und ist mit mir jeden Tag in eine andere Ruhrgebietsstadt gefahren bei dem Versuch ein Straßenfeuer im Ruhrgebiet zu entzünden. Dabei haben wir die Ausstellung „Terrakotta-Armee der Stadtnomaden“ gezeigt, die Alexandros Ahmet, der ehemals obdachlos war und heute die Obdachlosenzeitung Paperboy in Essen herausgibt, fotografiert hat. Und ich habe dazu gesungen. Alexandros hat mich auch drei Monate lang begleitet, als ich auf der Straße gelebt habe.“ Damit ist klar, dass Norbert Labatzki weiß, wovon er redet, wenn er sich für die Wohnungslosen einsetzt.
Ebenfalls sehr bewandert in dieser Szene ist Dr. Wolfgang Nolte, der seit 20 Jahren Vorsitzender des Vereins Arzt Mobil ist und erinnerte sich: „Es war im Frühjahr 1998 als die damalige Gesundheitsdezernentin Vera Kestermann-Kuschke, mein Kollege Dr. Grütters und ich überlegten, wie man Obdachlosen helfen könnte. Denn diese sind nicht diejenigen, mit denen man befreundet sein möchte. Es entstand die Idee, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg zum Propheten und in diesem Fall das Arzt Mobil zu den Obdachlosen. Und so haben wir langsam eine Vertrauensebene aufgebaut und mit dem fahrbaren Sprechzimmer einen Ort der Ruhe für Gespräche geschaffen, in dem das gleiche Arztgeheimnis gilt wie in allen anderen Praxen.“
Neben der medizinischen Hilfe bietet der Verein aber auch sozial-therapeutische Hilfe im Quartier in direkter Nachbarschaft zum Männerübernachtungsheim an der Caubstraße. Hier sind immer drei Ansprechpartnerinnen vor Ort, während zwei Streetworkerinnen vor Ort dort sind, wo die Betroffenen anzutreffen sind.
„Rund 350 Menschen werden so von unserem Team betreut. Zwischen 200 und 250 dieser Menschen kennen die Damen auch namentlich. Sie haben ein Netzwerk aufgebaut, um Kontakte zu Ämtern, der Justizvollzugsanstalt und den Krankenhäusern zu pflegen und so den Menschen auf der Straße bestmöglich zur Seite stehen zu können“, schildert Dr. Nolte, der darauf hinwies, dass eine Mitgliedschaft im Verein Arzt Mobil 25 Euro im Jahr kostet.
Denn der Verein wird von der Stadt unterstützt und arbeitet im Bereich Streetwork auch mit der Caritas zusammen, aber um alle Kosten für Personal, Fahrzeuge und Equipment decken zu können, ist der Verein auf Spenden angewiesen.

Ein musikalischer Gruß aus dem MiR

Michael Dahmen stellte sich und seine Begleitung am Klavier, Yura Yang, als „Gruß aus dem MiR“ vor und bot einen Querschnitt aus Produktionen des Opernhauses. So gab er aus „Comedian Harmonists“ den Song „In der Bar zum Krokodil“ zum Besten. Aus der „Lustigen Wittwe“ sang er als Graf Danilo Danilowitsch „Da geh ich zu Maxim“ und schließlich als Freddy Hill in „My fair Lady“ den Song „On the street where you live“. Mit seinem wunderbaren Gesang und den schauspielerischen Einlagen eroberte er die Herzen der Besucher im Sturm.
Wie in den Vorjahren wurde auch bei dieser Gala wieder ein Bild einer Gelsenkirchener Künstlerin versteigert. Dabei handelte es sich um ein Werk von Stephanie Albers, das bereits das Cover von Norbert Labatzkis Buch „Herzl Biberkopf ermittelt“ zierte und das Musiktheater im Revier zeigt. Die Künstlerin erklärte, dass ihr Motto laute: Malen macht glücklich. Noch glücklicher war die Gelsenkirchenerin aber, als ihr Kunstwerk am Ende für 500 Euro versteigert wurde. „Ich bin froh, dass Norbert Labatzki so tolle Sachen macht und ich bin glücklich darüber, dass ich jetzt ein Teil davon sein darf“, strahlte Stephanie Albers.

Eine Weltpremiere bei der StraßenFeuer-Gala

Mit den Worten „der Improvisation Teil 32 oder eine Weltpremiere“ kündigte Moderator Frank Bürgin die Darbietung des seit 30 Minuten bestehenden Daniela Rothenburg-Trios an. Dieses bestand aus der genannten Jazz-Sängerin, die extrem kurzfristig für Rafael Cortes eingesprungen war, dem Gitarristen Roger van Triel und Norbert Labatzki.
Die Sängerin, die erst um 15 Uhr erfuhr, dass sie die Gala retten musste, hatte kurz ihren Mann und die Kinder versorgt und sich auf den Weg nach Gelsenkirchen gemacht. Hier begeisterte sie mit Songs wie „My baby don‘t care for me“, Ain‘t he sweet“, „My funny Valentine“ und „Lady is a tramp“. Bei „Glitzer“ spitzen die weiblichen Besucher ihre Ohren und stimmten zu, als Daniela Rothenburg sang: „Diese Hand braucht 'nen Diamant“.
Der letzte Programmpunkt des Abends war dann überhaupt nicht improvisiert, sondern voll eingeplant und hier begeisterte Hagen Rether mit seiner bitter-bösen Abrechnung mit der Gesellschaft. Und auch wenn Hagen Rether sich an eine Zeitvorgabe halten musste, erklärte er: „Man darf dankbar sein über Menschen, die so was wie das heute hier auf die Beine stellen.“
Denn der Kabarettist sieht schweren Zeiten entgegen für die Demokratie und das Miteinander der Menschen: „Wir brauchen eine Imprägnierung gegen Rassismus, um unsere Demokratie zu schützen.“
Rether gab zu bedenken, dass wir uns mehr Nichtwähler an der Wahlurne gewünscht hatten und jetzt als Folge eine rechtspopulistische Partei, die „Angstbeißer für Deutschland“, im Bundestag haben. Hier sieht er einen „Stresstest für Labertaschen bei der Behandlung der AfD“ auf die Abgeordneten zukommen.
Er erinnerte an den Merkel-Besuch bei Donald Trump: „Da traf der Klassenschläger auf die Vertrauenslehrerin“ und nahm die von CDU/CSU propagierten christlichen Werte und die Leitkultur aufs Korn.
Als „linksliberaler, multi-kulti Ökospinner-Humanist“ stellte er fest, dass die Menschen nicht reif sind für eine Revolution: „Da gewinnen nur die, die am ehesten Waffen haben und am lautesten sind“. Und so musste er sich bei der Wahl entscheiden zwischen Pest und Cholera. „Da nehm' ich doch Cholera, so nen Durchfall bekommt man ja weg.“
Rether befürchtet, dass das „Weimar-Gefühl um sich greift“ und erklärte das mit diesem Dreisprung: „Erst wird abwertend gedacht, dann wird abwertend gesprochen und am Ende wird die Tat abgewertet“. Dabei dachte er an die 200 Toten, die seit der Wiedervereinigung auf das rechte Konto gehen.
„Das einzige was dagegen hilft, dass sich Geschichte wiederholen kann, ist Bildung“, gab Hagen Rether den Besuchern mit auf den Weg.

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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