Überwindung der Wohnungsnot
Lebhafte Diskussion in Haltern: "Mit sozialen Programmen Wohnraum besser nutzen"

Foto:  Vortragsredner "Wohnwendeökonom" Dr. Daniel Fuhrhop in Haltern (Foto: Bonnie Bartusch)

HALTERN AM SEE. Die 60 Anwesenden erlebten gestern im Halterner KönzgenHaus einen lebendigen Vortrag mit einer Fülle an Ideen und Praxisbeispielen  für innovative Problemlösungen am angepannten Wohnungsmarkt. Ulrike Doebler von der grünen Ratsfraktion konnte den bekannten Bestsellerautor und "Wohnwende-Ökonom" Dr. Daniel Fuhrhop aus Potsdam begrüßen.

Er überzeugte die ZuhörerInnen mit seinen praktikablen Vorschlägen zur Nutzung des "unsichtbaren Wohnraumes", mit denen auch in Haltern eine vierstellige Zahl an Wohnungen im Bestand ohne Neubauaktivitäten klimaneutral und flächensparend geschaffen werden könnten.  Allein über die Beratung für meist ältere EigentümerInnen, die nach Auszug der Kinder alleine im zu groß gewordenen Haus wohnen, das sie nicht mehr bewältigen können, ließe ich ein Drittel des bisherigen Neubauvolumens abdecken.

"Wir brauchen Wohnraum, aber Bauen belastet das Klima: Der Wohnungsneubau eines Jahres verursacht ähnlich viele Treibhausgase wie die Nutzung sämtlicher 43 Millionen Altbauwohnungen", stellte Dr. Fuhrhop als Ergebnis seiner Dissertation vor. Er hatte Projekte und Beratungsprogramme in Göttingen und Tübingen begleitet, mit denen allein durch besserer Raumnutzung eine Vielzahl an Wohnungen geschaffen werden konnten. "Der unsichtbare Wohnraum bietet Antworten auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit", lautet seine Feststellung.

In seinem Projekt für die Stadt Paderborn habe sich ein theoretisches Potenzial an "unsichtbarem Wohnraum" für 20.000 Personen ergeben, da dort fast 8.000 Einpersonen-Haushalte auf über 80 qm Wohnfläche leben sowie fast 7.500 Zweipersonenhaushalte über 100 qm Wohnfläche belegen. Wären davon nur 10% bereit, sich zu verkleinern, wäre ein Potenzial von 2.000 Wohnungen praktisch abzuschöpfen. In Haltern dürften es noch mehr sein, da hier die beanspruchte Wohnflächengröße der 1-und 2-Personenhaushalte noch deutlich über dem Landes- und Bundesdurchschnitt liegt.

Fünf Werkzeugen ermöglichen bessere Wohnraumnutzung

Fuhrhop nannte fünf Werkzeuge, Wohnraum besser zu nutzen: Untermieter vermitteln, Umzug in kleinere Wohnung, Umbau und Wohnungsteilung, Vermittlung leerstehender Wohnungen an Sozialmieter und schließlich gemeinschaftliches und flächensparendes Wohnen. Besonders erfolgversprechend sei das Vermittlungsprogramm für ein „Zusammenwohnen der Generationen“ (Homeshare, in Deutschland „Wohnen für Hilfe“): Wohnpaare von Jung und Alt werden zusammengebracht und helfen sich gegenseitig. In belgischen Städten konnten durch derartige "Wohnpartnerschaften" jährlich eine dreistellige Zahl an  Wohnpartnerschaften für Generationen über eine Vermittlungsstelle erreicht werden.

Erfolgsmodell "Soziale Wonraumvermittlung"

Als zweites Erfolgsmodell gibt es „soziale Wohnraumvermittlung“ – Vermieter erhalten Mietgarantien, Begleitung des Mietverhältnisses und einen Zuschuss. "Dadurch trauen sie sich wieder, zu vermieten, und leerstehende Wohnungen werden dem Wohnungsmarkt zugefügt. Diese beiden Vermittlungsmodelle kann man durch weitere Werkzeuge ergänzen und eine Wohnraumagentur gründen, die Eigentümerinnen unterstützt", erläuterte der Referent. Ergänzend sollte ein Förderprogramm jeden Quadratmeter „unsichtbaren Wohnraum“ fördern, der nutzbar gemacht wird. In Karlsruhe konnten durch "soziale Wohnraumvermittlung" jährlich 60 leerstehende Wohnungen mit teilweiser Umwandlung in geförderte Sozialwohnungen für Mieter zugänglich gemacht werden. In Göttingen wurde hierfür eine professionelle Wohnraumagentur eingerichtet. (Dr. Fuhrhop bietet interessierten Kommunen hierzu Beratungen und  Workshops sowie Potenzialanalysen etc. an).

Aktuelle Krisen stellen Neubau als geeignete Problemlösungen in Frage

Eingangs hatte Dr. Fuhrhop die drei aktuellen Krisen benannt: Wohnraummangel, demografische Krise und ökologische Krise. Der Mangel an Bauland, Baustoffen und Fachkräften sowie steigende Kosten haben die Wohnungsneubauziele der Bundesregierung zum Erliegen gebracht. Da die geburtenstarken Boomer-Jahrgänge nunmehr in Rente gehen, werden demnächst 45% der Bevölkerung in Haltern im Seniorenalter sein und seniorengerechte Wohnungen benötigen oder Hilfe und Unterstützung brauchen, da sie teilweise einsam sind oder oft allein auf viel zu großen Wohnflächen wohnen. Weiterer Neubau wiederum erzeuge Ressourcen- und Flächenverbrauch mit negativen ökologischen Folgen, Verkehrsbelastungen und Klimaschädigungen. Das Neubauziel der Bundesregierung würde zig Millionen Tonnen CO² zusätzlich bedeuten. Deshalb seien geeignetere Problemlöungen viel stärker in den Blick zu nehmen.

Erhebliche Potenziale in der Nutzungserweiterung von Altbauten

Durch Aufstocken, Anbau und Umbau von vorhandenen Altbauten oder deren Umnutzung statt Abriss sowie durch Aufspüren von Leerständen, Zweckentfremdung oder ungenutzten Räumen als "unsichtbarer Wohnraum" würden sich bundesweit über 160.000 Wohnungen schaffen lassen, hat Dr. Fuhrhop hochgerechnet. Da in Haltern über 56% der Wohngebäude Altbauten sind, schlummern hier auch viele Potenziale zur Erschließung von zusätzlichem Wohnraum, betonten die Vertreter des  Arbeitskreises "Bezahlbares Wohnen" im Halterner Forum als Initiatoren und Mitveranstalter des Vortrags- und Diskussionsabends. Sie wollen deshalb mit den örtlichen Bauunternehmen und allen anderen Akteuren am Halterner Wohnungsmarkt darüber ins Gespräch kommen und zu einem "Blick über den Tellerrand" der eigenen Kommune auf vorbildhaftes Vorgehen bei der Beschaffung bezahlbaren Wohnraumes in anderen Kommunen wie z.B. in der Stadt Münster ermuntern.

Lebhafte Diskussion mit weiteren Anregungen

Dem lebendigen Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion der Teilnehmerrunde an, die diese Ideen und Anregungen für eine "Wohnwende" allzu gerne auch in Haltern angewendet sehen würde. Unter anderem wurde der einerseits bestehende eklatante Mangel an öffentlich geförderten Wohnungen für Normalverdiener in Haltern beklagt, andererseits nach Abfrage im Saal der Überhang an ungenutzten Hobbyräumen etc. in übergroßen Eigenheimen festgestellt, die anderweitiger Wohnnutzung entzogen werden.

Auf die im Kreis Recklinghausen bereits vorhandenen Beratungseinrichtungen für soziales Wohnen verwies David Schütz von der Zentralen Fachstelle für Wohnungssicherung der Caritas Ostvest und vom Halterner Netzwerk "bezahlbares Wohnen", die für eine "Wohnwende" intensiver mit genutzt werden könnten. Und dass gemeinschaftliche Wohnprojekte mit reduzierten Wohnflächen zukunftsweisend sind, konnte Christop Holbein-Munske von der Münsteraner Genossenschaft "Grüner Weiler" berichten. Ermuntert durch den Vortrag und die Praxisbeispiele von Daniel Fuhrhop  wird die Halterner Forums-Arbeitsgruppe "Bezahlbares Wohnen" mit Nachdruck an diesen Themen dranbleiben, anknüpfend an ihre bereits durchgeführte wohnungspolitische Experten-Tagung im vergangenen Oktober in Haltern.  

Mit einem "Halterner Appell - Wohnen für alle" sollen auch alle Akteure am Halterner Wohnungsmarkt sowie die gesamte Stadtgesellschaft in die "Wohnwende" einbezogen werden, um den angespannten Wohnungsmarkt in der teuren Wohnstadt Haltern am See auf solidarische Weise mit innovativen Ideen und Initiativen zu entspannen.

Wilhelm Neurohr, 21. Februar 2024


Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

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