Projekt "Durchstarten" hilft geduldeten Menschen in Hattingen und Niedersprockhövel
Hoffnung auf ein normales Leben

Geflohen, geduldet und voller Hoffnung auf ein normales Leben. Beratungsangebote für Flüchtlinge gab es zwar, aber das Programm "Durchstarten" hilft zum ersten Mal auch Menschen mit Duldungsstatus. Für Hattingen und Niedersprockhövel hat ein Team der Caritas Ennepe-Ruhr das Einzel-Coaching der Männer und Frauen übernommen.

"Durchstarten in Ausbildung und Arbeit - Gemeinsam klappt's" heißt eine neue Initiative der Landesregierung NRW. Im Mittelpunkt des Programms mit einem gesamten Fördervolumen von 50 Millionen Euro stehen Geflüchtete im Alter von 18 bis 27 Jahren. Die Integrations-Chancen sollen erhöht werden. Ein Baustein des Projekts ist individuelles Coaching der jungen Erwachsenen. In Hattingen und Niedersprockhövel übernimmt diese Beratung ein Team der Caritas Ennepe-Ruhr.

Beratungsstelle "Migration und Integration"

Zwar gab es schon zuvor ein Coaching-Angebot der Caritas für Flüchtlinge in der zur Beratungsstelle "Migration und Integration" umgebauten ehemaligen Tankstelle an der Bahnhofstraße 64 in Hattingen. Neu ist allerdings durch das Förderprojekt des Landes, dass auch geflüchtete Männer und Frauen mit Duldungsstatus jetzt Rat und Hilfe bei der Caritas suchen können.
Zum Teil wird diese Duldung, also die Aussetzung der Abschiebung, nur um jeweils drei Monate verlängert", sagt Christina Große Munkenbeck (34), Sozialarbeiterin, Trauma-Fachberaterin und seit 2012 beim Caritasverband mit der Spezialisierung auf junge Erwachsene. "Aber viele dieser Menschen leben schon seit Jahren in Hattingen und viele von ihnen in der Sammelunterkunft an der Werksstraße", ergänzt Diplompädagoge und Familientherapeut Branko Wositsch (55), der nach seiner 25-jährigen Tätigkeit als Leiter des Caritas-Suchthilfezentrums in Hattingen seit Januar 2019 den Bereich Migration und Integration abdeckt.

Frust nach vielen Jahren des Vertröstens

Im Einzel-Coaching erleben Wositsch und Große Munkenbeck, wie sie berichten, deshalb bei ihren Klienten "ein großes Maß an Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit nach Jahren des Wartens und Vertröstens". Jeden der Flüchtlinge individuell dabei zu unterstützen, ihre Hindernisse zu überwinden, ist das gemeinsame Ziel, um im besten Fall eine Ausbildung, eine berufliche Tätigkeit und auch eine eigene Wohnung zu finden. Es ist der Wunsch eines "normalen und sicheren Lebens, der in uns allen steckt", sagt Branko Wositsch.
"Ich höre so oft in den Gesprächen: 'Ich würde einfach nur gerne arbeiten gehen, mich selbst finanzieren, eine Wohnung haben, aus Verhältnissen herauskommen, die keine Privatsphäre zulassen.'", erzählt Christina Große Munkenbeck. "Manche hätten Jobs bekommen können, durften aber nicht arbeiten, andere finden nichts. Es ist ja auch eine Herausforderung für Arbeitgeber, wenn jemand vielleicht immer wieder nur für drei Monate sicher geduldet ist." Es gebe Duldungen, bei denen eine Arbeitserlaubnis bestehe, bei anderen wiederum nicht.
Die Probleme und Voraussetzungen der Menschen, die in die Beratung kommen, sind einerseits so unterschiedlich. Aber in einer Hinsicht gleichen sich ihre Erfahrungen als Flüchtlinge ganz oft. "Da ist viel Frust und Ohnmacht, weil sie immer wieder woanders hingeschickt worden sind", sagt Branko Wositsch. Durch das Coaching-Programm des Landes NRW ändert sich für die Klienten auch das. "Wir sind die einzige Anlaufstelle vor Ort. Die Männer und Frauen haben durch uns nun feste und konstante Ansprechpartner. Wir gehen Schritt für Schritt mit ihnen durch, wie es weitergehen kann, was nötig ist, was möglich ist."

Keine Stolpersteine, sondern Felsbrocken

Als Erstes sichtet das Berater-Team immer die Unterlagen ihrer Klienten. Oft fehlen Papiere. Es gibt zum Beispiel keinen Pass. Wositsch: "Bis die Identitätsangaben sicher sind, geht so vieles nicht." Berufs- oder Schulausbildungen in den Heimatländern sind mit hiesigen Standards oft nicht vergleichbar oder es müssen Dokumente beschafft werden. "Eine Anerkennung einer Ausbildung durch die zuständige Stelle kann sehr viele Monate dauern." Oft gebe es nicht nur Stolpersteine, sondern ganze Felsbrocken im Weg. "Die Brocken können wir nicht beiseite räumen, die müssen wir dann vielleicht umschiffen und arbeiten ansonsten Stein, Körnchen, Stein, Körnchen ab", sagt der Diplom-Pädagoge. Immer müsse man dabei bedenken, dass "diese Menschen nicht in ein Flugzeug gestiegen sind und woanders wieder ausgestiegen sind, sondern einen langen Weg hinter sich haben, der einen zeichnet".
Ganz wichtig ist dem Team bei allen Klienten, "sie anzulernen, es selbst tun zu können", sagt Wositsch. "Manchmal reicht es zum Beispiel auch einfach nur, wenn wir bei einem wichtigen Telefonat daneben sitzen", erzählt seine Kollegin Große Munkenbeck. Wichtig auch für den Schritt in Ausbildung und Arbeit seien selbstverständlich Deutschkenntnisse. Der Zugang zu Integrationskursen hängt allerdings vom Status ab. Und andere Angebote wie Erzählcafés, Müttercafés und ähnliches, die beim Erwerb der Sprachkenntnisse helfen, sind seit Beginn der Corona-Pandemie nicht möglich.

Klienten müssen Deutsch lernen

Branko Wositsch und Christina Große Munkenbeck arbeiten mit Blick auf den Spracherwerb als wichtige Grundlage für die weitere Entwicklung deshalb bei Beratungen nicht mit Dolmetschern. "Draußen in der Realität haben unsere Klienten die auch nicht", sind sich die beiden einig. Wenn es auf Deutsch mal nicht klappt, wechselt die Kommunikation ins Englische, Französische oder zu Händen und Füßen. "Aber dann holen wir das Gespräch auch immer wieder zurück ins Deutsche."
Im besten Fall steht, wenn Stein um Stein beiseite geräumt werden konnte, ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch. Auch dabei unterstützen die beiden Coaches ihre Klienten im Vorfeld. "Dann sind wir sehr weit gekommen, wenn man bedenkt, dass wir mit unseren Klienten an einem ganzen Berg von Problemen starten", sagt Große Munkenbeck, "da ist jeder kleiner Schritt für uns ein Erfolg, insbesondere, wenn wir im späteren Verlauf merken, dass sie den Mut und das Vertrauen finden, sich mehr und mehr zu öffnen und schlimme traumatische Erlebnisse bei uns ansprechen können."

Autor:

Lokalkompass Hattingen aus Hattingen

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