Wasserwirtschaft steht vor großen Herausforderungen, jährliche Versammlung des Lippeverbandes

HaLiMa
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Auf die großen Herausforderungen nicht nur der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, sondern auch auf die der Gegenwart und nahen Zukunft blickte der Lippeverband am Freitag in Unna im Rahmen seiner jährlichen Verbandsversammlung. Insbesondere die Modernisierung der Anlagentechnik sowie die kontinuierliche Verbesserung des Hochwasserschutzes erfordern hohe Investitionen, die sich aufgrund massiv gestiegener Preise und Kosten kurzfristig auch auf die Beiträge in 2024 auswirken.

Als sondergesetzlicher Wasserwirtschaftsverband erbringt der Lippeverband nicht nur mit der Abwasserbeseitigung und -reinigung wichtige Aufgaben der Daseinsvorsorge, sondern ist auch für den Hochwasserschutz in der Region verantwortlich. „Sauberes Wasser, gesunde Flüsse und Bäche, lebenswerte Räume an der Lippe und ihren Nebenläufen, die Anpassung an die Folgen des Klimawandels und der Schutz der Region vor Hochwasser bilden den Kern unserer Arbeit“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender des Lippeverbandes.

Als der Lippeverband

1926 gegründet wurde, geschah dies aus einer Krise heraus. Die durch den Kohleabbau in der Region verursachten Bergsenkungen machten den Bau von unterirdischen Abwasserkanälen unmöglich. Zahlreiche Nebenläufe wurden in der Folge zu offenen Schmutzwasserläufen. Der großen Herausforderung Abwasserentsorgung begegnete man seinerzeit mit einer technischen Überformung der Fließgewässer. Auch wenn die Lippe selbst nie so verschmutzt war wie zum Beispiel die Emscher im mittleren Ruhrgebiet, so war der längste Fluss Nordrhein-Westfalens auf weiten Strecken begradigt und durch Uferbefestigungen in einem Korsett gefangen. Dieser Umstand führte zu einer erhöhten Abflussgeschwindigkeit und damit verbunden zu einer Vertiefung der Lippe – mit negativen Folgen für die Artenvielfalt im Gewässer.

Vollständige Abwasserfreiheit

im Lippe-Gebiet seit diesem Jahr
Mittlerweile haben sich die Herausforderungen verändert. Bedingt durch die Europäische Wasserrahmenrichtlinie, die einen guten Zustand der Gewässer in der EU bis 2027 vorschreibt, macht der Lippeverband bereits seit Jahrzehnten die „ökologischen Sünden der Vergangenheit“ wieder rückgängig. Das Abwasser wird unter die Erde verbannt – denn seit der Nordwanderung des Bergbaus ist die Verlegung unterirdischer Kanäle möglich. Die einst zu offenen Schmutzwasserläufen degradierten Bäche werden renaturiert. Mit den letzten Kanalbaumaßnahmen in Hamm wurde in diesem Jahr die vollständige Abwasserfreiheit im Lippe-Gebiet erreicht. Zahlreiche Gewässer wie die Seseke sind bereits vollständig revitalisiert worden und bieten mittlerweile Freiraum für neues blaugrünes Leben in und an den Flüssen. Der Mündungsbereich des Schermbecker Mühlenbachs wurde ebenso ökologisch verbessert wie der Weierbach in Marl. Auch die Lippe ist an zahlreichen Stellen renaturiert worden: In Datteln und Olfen hat sie sogar neue Flussschleifen dazugewonnen, in Dorsten wurden die einst befestigten Ufer wieder entfesselt und der Fluss damit naturnaher gestaltet. Von der Lippe-Mündung bei Wesel ganz zu schweigen, sie ist heute – knapp zehn Jahre nach ihrem Umbau – ein wahres Eldorado für Flora und Fauna.

Große Aufmerksamkeit genießen auch die Großprojekte Erlebensraum Lippeaue in Hamm (gemeinsam mit der Stadt Hamm umgesetzt, in diesem Sommer fertiggestellt und eingeweiht) und HaLiMa: Bei letzterem handelt es sich um die Deichrückverlegung bei Haltern-Lippramsdorf und Marl. Der Neubau der Deiche ist bereits erfolgreich abgeschlossen worden. Die aktuelle Auengestaltung im sogenannten Bauabschnitt Nord I wird Ende 2024 fertiggestellt werden sein, dazu zählt auch der Rückbau der alten Deiche auf einer Länge von 1200 Meter. Die Sanierung der Brücke Oelder Weg soll bis Ende 2024 umgesetzt werden. Insgesamt wird das Bauprojekt bis Mitte 2026 dauern, der Lippeverband investiert knapp 95 Millionen Euro an Baukosten. „Mit unserem HaLiMa-Projekt verbessern wir nicht nur den Hochwasserschutz an der Lippe deutlich. Mit dem Neubau der Deiche und der Verbreiterung des Flussprofils sorgen wir für die Dämpfung von Hochwasserspitzen und Bildung einer flacheren Gewässeraue, die ganz erheblich zur Steigerung der Biodiversität in und an der Lippe beitragen wird“, sagt Dr. Frank Obenaus, Technischer Vorstand des Lippeverbandes.

Anforderungen steigen

Auch in der nahen Zukunft sieht sich der Lippeverband mit großen Herausforderungen konfrontiert, z.B. durch die Klimawandelfolgenanpassung, die durch die Europäische Wasserrahmenrichtlinie bedingten erhöhten Anforderungen an die Klärtechnik (4. Reinigungsstufe), durch einen Zyklus von Re-Investitionen und anspruchsvolleren Anforderungen an den Hochwasserschutz. Die Entwicklung der Energiepreise ist zudem kaum vorhersehbar. Auch die Baupreise und die Bauzinsen steigen erheblich, es sind die größten Steigerungen seit über 50 Jahren. Aufgrund der hohen Investitionen des Lippeverbandes in der Region haben diese Steigerungen eine überdurchschnittliche Wirkung. Um die Wahrnehmung der Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Kritischen Infrastruktur trotz der massiv gestiegenen Preise und Kosten regelkonform und zuverlässig gewährleisten zu können, ist für 2024 eine Beitragssteigerung um zehn Prozent vorgesehen. Dabei dürfen die Beiträge der Mitglieder an den Lippeverband nicht mit den Abwassergebühren der Bürger*innen verwechselt werden – denn der Anteil der Beiträge an den finalen Gebühren beträgt im Durchschnitt lediglich rund ein Drittel.

steigenden Energiepreise

will der Lippeverband gleichzeitig mit einer weiteren Verstärkung der Eigenenergieerzeugung entgegentreten. Zu den bereits angestoßenen Projekten gehören u.a. Photovoltaik-Dächer auf Betriebsanlagen, Freiflächen-Photovoltaikanlagen, Windenergieanlagen sowie Wärmegewinnung aus Abwasserkanälen (Aquathermie).

Ausblick:

Geplante und aktuelle Investitionsprojekte
Zahlreiche Investitionsprojekte zur Ertüchtigung der Anlagentechnik hat der Lippeverband bereits angestoßen bzw. befinden sich in der Planung. Die Kläranlagen etwa sind maßgeblich für die gute Gewässerqualität in der Lippe verantwortlich. Sie reinigen das Abwasser aus der Region auf einem hohen technischen Niveau. Insgesamt 65 Millionen Euro investiert der Lippeverband in die Ertüchtigung seiner Kläranlage Hamm-West. Die Anlage ist für 252.000 Einwohnerwerte ausgelegt, stammt von 1998 und ist zuletzt 2004 ertüchtigt worden. Bereits abgeschlossen ist die Gebäudesanierung der Rechenhalle und der Gebläse-Station. Der Sandfang- und Fettfangräumer sind genauso in Betrieb wie das Turbogebläse für die sogenannte Belebung im Bereich der biologischen Abwassereinigung. Noch in der Planung ist der Bau einer 4. Reinigungsstufe zur Eliminierung von Spurenstoffen wie z.B. Medikamentenresten. Der Baubeginn ist für 2026 geplant.

Ertüchtigt wird vom Lippeverband auch die Kläranlage Werne (54.000 EW, von 1967, 2004 zuletzt umgebaut) – und zwar unter anderem im Bereich der Abwasser- und Schlammbehandlung, des Hochwasserpumpwerks, der Blockheizkraftwerke und der Heizungsanlage. Der Lippeverband rechnet mit Gesamtkosten von rund 7,7 Millionen Euro.

Vor dem Abschluss steht dagegen bereits der Komplettumbau der Kläranlage Dattelner Mühlenbach (105.800 EW, von 1973, 2001 zuletzt ertüchtigt). Die Zulaufschnecken wurden in 2022 umfassend saniert, die Vorreinigung wurde in diesem Jahr erneuert. Die Optimierung der Belüftung läuft noch bis 2024. 12,5 Millionen Euro investiert der Lippeverband insgesamt in die Modernisierung seiner Anlagentechnik auf der Kläranlage in Datteln.

Autor:

Siegfried Schönfeld aus Marl

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