Baulärm
Ein Märchen

Es war einmal ein junger Eigentümer, der hatte das Haus des alten Steinbeißers erworben, das bei uns schräg gegenüber auf der anderen Seite der Einbahnstraße steht.
Der Sohn des alten, griesgrämigen Steinbeißers hatte das Haus kurz nach dem Tod seines Vaters verkauft, und wollte in seinem Wohnwagen nun völlig losgelöst durch die Welt reisen.
"Steinbeißer" hatten wir den Alten genannt, weil er einst monatelang verbissen an einer festungsartigen Einfassung seines Vorgartens gemeißelt hatte und zum andern deshalb, weil er uns niemals grüßte.
Der Steinbeißersohn und seine Familie hatten das Haus nach wochenlangen gigantischen Sperrmüllanhäufungen kaum freigezogen, da klingelte eines schönen Tages ein netter junger Mann mit einem riesigen Blumenstrauß und stellte sich als zukünftiger Nachbar von schräg gegenüber vor. Wir luden ihn zu einer Tasse Kaffee in den Garten ein, wo er uns bereitwillig seine Pläne mitteilte.
Er informiere alle Nachbarn aus Respekt, weil sie ja schließlich seit etlichen Jahrzehnte hier wohnten und gewissermaßen auch ein Recht besäßen, zu erfahren, was in ihrer unmittelbaren Nähe für Veränderungen anstehen.
Er wolle im nächsten Monat damit beginnen, das in die Jahre gekommene Steinbeißerhaus gründlich zu renovieren. erklärte er uns. Dafür seien eine Reihe von Hoch- und Tiefbaumaßnahmen notwendig, und er entschuldige sich schon jetzt für den unvermeidlichen Lärm und die Einschränkungen durch notwendige Straßenabsperrungen, Stromabschaltungen usw. Unter anderem wolle er den alten Pool des Steinbeißers ausgraben lassen und den Garten im Übrigen tiefer legen und natürlich auch sämtliche Versorgungsleitungen zu den Anschlüssen unter der Straße erneuern lassen.
Die Arbeiten würden täglich nicht vor sieben Uhr morgens beginnen und wären immer um 16 Uhr beendet. Überhaupt wolle er die Arbeiter anhalten, zügig die einzelnen Maßnahmen durchzuführen, sodass keinesfalls der Eindruck entstehen soll, sie baggerten die Erde nur unnötig hin und her oder gingen allzu liebevoll mit den von ihnen verursachten Löchern um.
So gut wie nie würden wir deshalb von der Rüttelmaschine um sieben Uhr morgens mit Höllenlärm aus den Federn geschüttelt. Im Übrigen biete er an, dass eben nicht nur die Arbeiter an den lärmverursachenden Geräten durch hochwertigen Kapselgehörschutz versorgt würden, sondern auch jeder Nachbar und jede Nachbarin, sobald er oder sie auf die Straße tritt. Jedes Mal, bevor die Straße für neue Wasser-, Strom- und Gasanschlüsse aufgerissen würde, werde er zudem persönlich vorbeikommen. Die tagelange Abdeckung der Gräben mit Stahlblechen verursache beim Überfahren durch den Einbahnverkehr auch nachts kaum mehr Geräusche als sonst.
Falls wir in der Umgestaltungszeit lieber verreisen wollten, würde er sich gerne an den Kosten beteiligen, denn gute Nachbarschaft gehe ihm über alles.
Schon jetzt würden er und seine Familie uns zu einer Einweihungsparty einladen. Den Termin könne er allerdings noch nicht nennen.
Und als er sich schließlich verabschiedete, freuten wir uns regelrecht auf den Beginn der Arbeiten und sahen ihm dankbar nach, wie er mit glücklichem Lächeln die Straße zum ehemaligen Steinbeißerhaus überquerte.

Und wenn ...

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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