Mal bisschen nachgedacht
„Stummer Diener“

Ich habe das noch nicht wirklich überwunden, mache das jetzt schon 50 Jahre, aber habe es innerlich nie akzeptiert. Jedes Mal sträubt sich da was und ein säuerliches Empfinden von würdeloser Zumutung steigt auf. Aber offenbar macht es meinen Mitmenschen nichts aus. Oder denken sie im Stillen genauso? Zumindest die Älteren, die das noch anders kennen?
Jedenfalls spricht man nicht darüber, wohl weil man nicht als antiquiert gelten will, als meschugge gar, aus der Zeit gefallen, als hoffnungsloser Utopist. Es gäbe ja durchaus auch Vorteile, beruhigt man sich. Man muss z.B. vorher nicht wissen, was man haben will. Und das Handy am Ohr hilft einem bei der Entscheidungsfindung vor dem Regal.
Man darf sich nur nicht allzu klarwerden darüber, dass wir ja an sich doch freie Menschen sind und uns nicht ohne Weiteres mit einem klapprigen Drahtgestell auf vier Rollen auf die Wanderschaft begeben möchten. Und doch verrichten wir freiwillig die Arbeit des Anbieters, indem wir alles selbst zusammensuchen, uns wie Vieh entmündigt durch vorgegebene Gänge treiben lassen und dafür anschließend auch noch unser Geld abgeben.
Ich persönlich spüre hier die Entmündigung ähnlich wie beim Zahnarzt, wenn mein Mund notgedrungen unbeweglich offenstehen muss: Was ich sage und ob ich etwas sage, spielt keine Rolle und das ist im wörtlichen Sinn „Entmündigung“. Das ganze Einkaufen lässt sich taub und stumm erledigen.
Mit der Zeit bist du auf den Standort bestimmter Waren abgerichtet, die du dort findest und einsammelst. Der Supermarkt ist nicht der Warenhersteller, sondern nur der Warenhinsteller, ein gigantischer Futterplatz ohne Sofortverzehr. Wir sind es, die kostenlos den Abtransport erledigen und zahlen.
Und wie ist das eigentlich mit dem sonst so hochgehaltenen Datenschutz? Der von jedermann ein- und durchsehbare Einkaufswagen outet diskretionslos unsere Lebensgewohnheiten als Mitglieder der gläsernen Verbrauchergesellschaft.
Und das Ausbreiten der Waren auf dem Laufband? Ist das nicht ist eine horizontale Leibesvisitation ohne Leib, aber von dem, was in den Leib hineinsoll? Wir sind weite Wege gelaufen für die wenigen Sachen, die wir gerade brauchen. Vorbei an Sachen, die wir eigentlich gar nicht wollten. Jetzt liegt aber einiges davon auf dem Band. Dadurch wird alles, was wir ursprünglich nur wollten, teurer.
Ich denke auch an die unbemerkten Videomitschnitte unseres Nahrungsbeschaffungslaufes. Darf man mal reinschauen? Ach, die werden sowieso gelöscht!
Ja, wo sind die Alternativen zu den Supermärkten geblieben? Für die allermeisten gibt es sie nicht.
Als man noch bedient wurde, stand ich vor der Ladentheke des Lebensmittelgeschäfts. Ich las meinen Einkaufszettel vor, eben das, was ich wollte und erhielt genau das. Alles wurde zusammengetragen, verpackt und mir über die Theke gereicht. Nur nebenbei: Das Geld, das ich über die Theke reichte, war auf den Pfennig genau abgezählt.
Mit zwei leicht abgewandelten Zitaten möchte ich meine kritisch-überspitzte Betrachtung schließen:
Friedrich der Große: „Ich bin der erste Diener meines Einkaufs!“
Matthäus 16,26: „Was hülfe es dem Menschen, so er den ganzen Supermarkt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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