Buch der Woche: Haikus und die Allgegenwart des Todes

Richard Flanagans mit dem Booker-Preis ausgezeichneter Roman „Der schmale Pfad durchs Hinterland“

Dieser Roman ist hammerhart und eignet sich nicht für zartbesaitete Gemüter. Der australische Autor Richard Flanagan, der hierzulande lediglich mit seinem 2002 erschienenen Roman „Goulds Buch der Fische“ für Aufmerksamkeit gesorgt hatte, konfrontiert uns in seinem gewaltigen Epos mit einem nur wenig bekannten dunklen Kapitel der südostasiatischen Geschichte.

Der 2014 mit dem Booker-Preis ausgezeichnete und inzwischen in mehr als dreißig Sprachen übersetzte Roman kreist um ein japanisches Kriegsgefangenenlager im Grenzgebiet zwischen Thailand und Birma. Die Gefangenen – darunter auch viele Australier – sollen zwischen 1943 und 1945 unter unmenschlichen Bedingungen eine Eisenbahnverbindung zwischen Bangkok und Rangun bauen.
Der Vater des 54-jährigen australischen Autors Richard Flanagan war einst selbst Insasse eines solchen Lagers. Man fühlt sich sogleich an den jüngst erschienenen Roman „Im Frühling sterben“ von Ralf Rothmann erinnert, dem eine ähnliche Konstellation zugrunde liegt. Hier wie dort stellt sich die Frage, inwieweit der Versuch einer biografischen Rekonstruktion in die Handlung eingeflossen ist.
Flanagans Protagonist Dorrigo Evans hat wenig mit dem Vater des Autors gemein – sieht man einmal von der Herkunft aus Tasmanien ab. Er ist Chirurg, im Gefangenenlager für die medizinische Versorgung zuständig und bringt es nach dem Krieg in Melbourne als Mediziner zu respektablem Ansehen.
Richard Flanagans auf diversen Zeitebenen alternierender Roman umfasst einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert und springt von Tasmanien in den südostasiatischen Dschungel und ins Nachkriegstokio. Die Hauptfigur erlebt in jungen Jahren eine stürmische Liaison – ausgerechnet mit der Ehefrau eines Onkels -, heiratet später die gleichermaßen langweilige wie vermögende Ella, stumpft aber emotional mehr und mehr ab. Wahrscheinlich als Spätfolge der erlebten Grausamkeiten.
Dorrigo wurde im Lager zum nahezu kühlen Pragmatiker, der sich heftigen Anfeindungen eines australischen Offiziers ausgesetzt sah, der auch unter den unmenschlichen Bedingungen britische Tugenden wie Disziplin, Gehorsam und Selbstachtung einforderte.
Hinrichtungen, Folterungen, sowie schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten prägen den Lageralltag, der körperliche und geistige Verfall verläuft parallel, der Tod ist allgegenwärtig.

Ehrlich bleiben bei den Figuren
Auf der anderen Seite stehen sadistische „Schlächter“ wie der drogensüchtige Japaner Nakamura, der zwischen rezitierten Haikus zum brutalen Mörder wird. Immer wieder (ähnlich wie in Ralf Rothmanns Roman) wird Bezug genommen auf feinsinnige Lyrik. Die Grausamkeiten werden dadurch allerdings nicht erträglicher. Richard Flanagan lässt in seiner Beschreibung nichts aus, in der schlimmsten Sequenz erleben wir eine Beinamputation, die ohne die üblicherweise notwendigen medizinischen Hilfsmittel durchgeführt werden muss. Waren all die Details wirklich zwingend notwendig?
„Man muss bei der Geschichte und ihren Figuren nur ehrlich bleiben und die Arbeit so gut gestalten, wie es einem möglich ist“, hat Autor Flanagan vor einiger Zeit sein schriftstellerisches Credo beschrieben. Seine Hauptfigur Evans, die die Hölle des Lagers überlebt hat, stirbt später – recht betagt – an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Nicht einmal ein spätes Glück war dem Mediziner beschieden. Aber es war nicht anders zu erwarten.
Richard Flanagans Roman ist eine literarische Höllentour - schmerzhaft, kompromisslos und bisweilen so grausam, dass man sich an mancher Stelle gerne eine Auszeit zur Erholung genommen hätte. „Der schmale Pfad durchs Hinterland“ erfordert vom Leser ein gigantisches Leidenspotenzial. Nicht jedermanns Sache.

Richard Flanagan: Der schmale Pfad durchs Hinterland. Roman. Aus dem australischen Englisch von Eva Bonné. Piper Verlag, München 2015, 438 Seiten, 24 Euro.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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