BUCHTIPP DER WOCHE: Angst und Schrecken

Isaac Rosa: Im Reich der Angst. Roman. Aus dem Spanischen von Luis Ruby. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 316 Seiten, 21,95 Euro

Äußerst selten bringt ein Romantitel die Handlung so präzise auf den Punkt wie beim neuen Erzählwerk des Spaniers Isaac Rosa.

Die Angst ist das dominierende Handlungssujet. Und wenn diese Angst beinahe krankhafte Züge annimmt und mit extrem ausgelebten Machtfantasien konfrontiert wird, dann entsteht eine gefährliche zwischenmenschliche Spannung.
Carlos, ein überaus ängstlicher Familienvater, der mit seiner Frau Sara und seinem 12-jährigen Sohn Pablo zurückgezogen in einer spanischen Stadt lebt, wird von schlimmen nächtlichen Albträumen heimgesucht, Irgendwann greifen seine nächtliche Angstattacken auch auf den Tag über. Sein Sohn Pablo wird von einem Mitschüler erpresst, geschlagen und nicht unerheblich verletzt. Pablo stiehlt das Geld, um den Forderungen seines Mitschülers nachkommen zu können. Ein Teufelskreis, in den nach einiger Zeit auch noch der Vater Carlos eintritt. Zunächst sucht er das Gespräch mit den rat- und machtlosen Lehrern, dann stellt er Pablos Peiniger Javier zur Rede und wird daraufhin von dem aus zerrütteten Familienverhältnissen stammenden Teenager übel zugerichtet.
Der Schriftsteller Isaac Rosa (37), dessen letzter Roman „Die Farbe Rot“ (dt.: 2008) zur Zeit in Spanien verfilmt wird, bevorzugt die indirekte Rede und lässt den Leser an ellenlangen Reflexionen teilhaben, die weit über die eigentliche Romanhandlung hinausreichen. Die theoretischen Abhandlungen über unterschiedliche Formen der Angst und das Thema innere Sicherheit sind eigentlich überflüssig, da sie der spannenden „Story“ um Vater und Sohn zwischenzeitlich den „Drive“ rauben.
Die ständig wiederkehrenden Bedrohungen und Erpressungen führen sogar zu handfesten innerfamiliären Streitigkeiten. Mutter Sara, die eigentlich nur im ersten Romandrittel eine gleichberechtigte Rolle spielt, stimmt eine tiefgehende Klage an: „Mein Kind, sagt sie, schau dir doch an, was sie meinem Kind angetan haben“. Das Vermeiden des Possessivpronomens „unser“ dokumentiert eine ganz scharfe Trennlinie.
Aus der Allgegenwärtigkeit der Angst, der wachsenden Ohnmacht gegenüber den Forderungen des machtbesessenen Schülers Javier und seiner Kumpanen und dem Binnendruck in der Familie entwickelt sich ein kaum noch zu steuerndes Gemisch aus Fürsorgepflicht und einer gehörigen Portion Hass. Nachdem Carlos in seinem Auto von Javier mit einem Messer bedroht wurde, bittet er seinen Schwager um Hilfe. Ihm gelingt es, Javier bei einer verabredeten Geldübergabe zu stellen. Er zerrt ihn in sein Auto, fährt mit ihm davon, und fortan taucht der jugendliche Erpresser Javier nicht wieder auf. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden.
„Im Reich der Angst“ ist trotz einiger erzählerischer Längen im Mittelteil ein äußerst spannendes, bewegendes, ja geradezu unter die Haut gehendes Buch - mitten aus unserem täglichen Leben gegriffen. Isaac Rosa ist es darin gelungen, die zerstörerische Kraft der Angst, die Verzweiflung und Panik körperlich spürbar zu machen. Das schaffen nicht viele Romanciers.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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