Neue Erzählungen zum 80. Geburtstag von Peter Härtling am 13. November*

Seine Bücher schreibt er immer noch auf einer alten Schreibmaschine, den Computer benutzt er lediglich für die Korrespondenz mit seinen Enkelkindern. Peter Härtling liebt und pflegt das etwas unzeitgemäße, traditionelle Schriftstellerleben von gestern. Hinter dieser durchaus sympathischen Rückständigkeit verbirgt sich zweifellos auch Härtlings seit ewigen Zeiten gepflegtes Faible für die unterschiedlichsten Künstlerexistenzen vergangener Epochen.

Auch in seinem jüngst erschienenen Band „Tage mit Echo“ widmet er sich zwei (gescheiterten) Künstlern: dem in die Jahre gekommenen, gesundheitlich angeschlagenen Schauspieler Brodbeck, der sich am Handlungsschauplatz in Mecklenburg-Vorpommern als unermüdlicher Vorleser von Uwe Johnsons opulentem Meisterwerk „Jahrestage“ versucht, und dem hochtalentierten, künstlerisch frühreifen Heidelberger Landschaftsmaler Carl Philipp Fohr (1795 – 1818), der in Rom bei einem tragischen Badeunfall im Tiber ums Leben gekommen ist. Das Scheitern beider Figuren erzählt Härtling mit solch starker Empathie, dass es einem als Leser bisweilen die Tränen in die Augenwinkel treibt.
"In jedem von uns steckt ein Riesenfaulpelz, auch in mir. Der Weg vom Frühstückstisch zum Schreibtisch ist der längste, den ich kenne." Ein aufrichtiges Bekenntnis des Schriftstellers Peter Härtling, der dennoch zu den vielseitigsten und produktivsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur zählt.
Überdies scheint die Literatur für Peter Härtling wie eine Art Jungbrunnen zu wirken. Trotz großer gesundheitlicher Probleme (zuletzt im hervorragenden Band "Lebenslinie", 2005, auf literarisch anspruchsvolle Weise dokumentiert) hat sich der Autor durch das Schreiben eine souveräne Gelassenheit - auch im Umgang mit dem Tod - angeeignet, und er sprüht gar wieder vor Lebensfreude, wie sein 2008 erschienenes, seinem Enkel gewidmetes Buch "O'Bär an Enkel Samuel" nachhaltig beweist. "Was ich brauche, ist Ruhe und meine Umgebung, meinen Schreibtisch, das allerdings brauche ich wirklich", klärt Peter Härtling über seine Arbeitsbedingungen zum Schreiben auf.
Peter Härtling, der heute* vor 80 Jahren in Chemnitz geboren wurde, hat Romane über die alternative Energiegewinnung ("Das Windrad"), über seine bewegte Vita ("Nachgetragene Liebe", "Hubert", "Zwettl", "Herzwand"), über das kollektive jüdische Leiden ("Felix Guttmann", "Bozena"), und nicht zuletzt über bekannte und vergessene Größen der Kunstgeschichte geschrieben.
Zudem erschienen in unterschiedlichen Intervallen seit den 50er Jahren vielbeachtete Lyrikbände. Auch als Kinder- und Jugendbuchautor (stellvertretend seien "Krücke" und "Ben liebt Anna" genannt) errang er große Verdienste. Seine literarische Vielseitigkeit sucht in der Generation der Nachkriegsautoren ihresgleichen.
Härtlings Jugend war durch die Wirren der Zeit von Flucht, Vertreibung und unzähligen Umzügen geprägt. Schon früh war er allein auf sich gestellt; der Vater starb, die Mutter beging Selbstmord. Nach dem vorzeitigen Verlassen des Gymnasiums und einem Volontariat arbeite Härtling als Zeitungsredakteur, dann als Verlagsleiter bei S. Fischer, ehe er Anfang der 70er Jahre sich ganz seinen eigenen literarischen Arbeiten widmete.
Da war bereits der erste Roman erschienen - ein Markstein für die spätere Entwicklung des Autors. 1964 hatte Härtling ("Mein Dauerlieblingsbuch ist Theodor Fontanes "Stechlin" - je älter ich werde, umso lieber wird mir das Buch.") als Romancier mit einer Romanbiographie über den österreichischen Spätromantiker Nikolaus Lenau ("Niembsch oder der Stillstand") debütiert. Härtlings poetische Annäherungen an Künstler vergangener Epochen (u.a.
auch noch Hölderlin, Schubert, ETA Hoffmann) sind - bei allem Respekt vor seinen übrigen Werken - die schönsten seiner Bücher. In diesen "historischen" Romanen präsentiert der Autor eine Synthese aus Literatur- bzw. Kunstgeschichte und imaginierter Realität.
Als Peter Härtling 1987 der Hölderlin-Preis verliehen wurde, bekannte Marcel Reich-Ranicki zutreffend in seiner Laudatio: "Härtling hat sich die Sache der Literatur wie kaum ein anderer Zeitgenosse zu eigen gemacht."
Dennoch bewegt sich Härtling, der seit 54 Jahren mit seiner Ehefrau Mechthild einer Psychologin, verheiratet ist und in Walldorf (vor den Toren Frankfurts) lebt, keineswegs im berühmt-berüchtigten Elfenbeinturm. Er hat sich immer eingemischt, hat auf Schriftstellertagungen, Kirchentagen, Demonstrationen oder in Fernsehdiskussionen leidenschaftliche Plädoyers für eine menschlichere Zukunft gehalten. Genau wie in seinen vielen Erzählwerken, in denen Peter Härtling als am Alltag geschulter Geschichtenerzähler immer auch in die Rolle des Bewahrers von Geschichte schlüpfte.
„Das Schreiben ist für mich wie eine aus dem Innern kommende Lebensbewegung. Längst ist es notwendige Gewohnheit geworden, das wie das Atmen zu meinem Leben dazugehört“, meinte Härtling kürzlich in einem Interview.


Lesetipp:

Peter Härtling: Tage mit Echo. Zwei Erzählungen. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2013, 245 Seiten, 18,99 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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