Zur Buchpremiere die Nationalhymne

Zum Tod des Nobelpreisträgers Gabriel Garcia Márquez

„Ich habe einfach aufgehört zu schreiben. Das Jahr 2005 war das erste in meinem Leben, in dem ich nicht eine Zeile zu Papier gebracht habe“, bekannte der kolumbianische Autor in einem Interview mit der chilenischen Tages „La Tercera“. Seine Agentin Carmen Balcells hatte damals schon erkannt: „Ich glaube, García Márquez wird nie mehr schreiben.“

So lebte „Gabo“, wie er von seinen Fans liebevoll genannt wurde, seit seiner Krebserkrankung zurückgezogen in Mexico City. Das Telefon hatte er inzwischen abgemeldet und mied öffentliche Auftritte. „Mit der Erfahrung, über die ich verfüge, könnte ich ohne Probleme einen neuen Roman schreiben. Aber die Leute würden merken, dass ich nicht mit dem Herzen bei der Sa­che bin“, begründete der Nobel­preisträger von 1982 seinen litera­rischen Rückzug.
In seinen opulenten Romanen war Gabriel Garcia Márquez zumeist um Detailgenauigkeit und größt­mögliche Authentizität bemüht, wie er im er­sten Band seiner Autobio­grafie „Le­ben, um davon zu er­zählen“ (2002) einräumte. Die mei­sterliche Gratwan­derung zwischen hart recherchierten Fakten und leicht exotisch anmuten­der Poesie hatte Márquez zum Ur-Va­ter des so­genannten „magischen Realismus“ werden lassen.
Mit der eigenen Biografie nahm er es stattdessen nicht ganz so ge­nau. Vor knapp zwanzig Jahren lüftete der Publizist Dasso Saldivar ein gut gehü­tetes Geheimnis. Durch vorgelegte Kopien der Geburtsurkunde konnte der Márquez-Biograf nachweisen, dass der kolumbianische Romancier bereits 1927 geboren wurde. Über Jahrzehnte hinweg galt der 6. März 1928 in allen Nachschlagewerken als Marquez' Geburts­tag.
Erst spät fand Márquez nach einem abgebrochenem Jurastudium und Tätigkeiten als Auslandskorrespondent und Filmkritiker diverser ko­lumbianischer Zeitungen zur Literatur. Er hatte die Vierzig bereits überschritten, als ihn seine Frau drängte, das Manuskript der „Hundert Jahre Einsamkeit“ zur Veröffentlichung anzubieten. Der Roman über den Zerfall der Familie Buendia wurde bekanntlich zu einem Welter­folg, und mit dem fiktiven Örtchen Macondo (der Name eines tropi­schen Baumes) hatte Márquez einen Handlungsschauplatz geschaf­fen, der seinem Geburtsort Aracataca an der kolumbianischen Kari­bikküste nachempfunden war und der in vielen späteren Werken wieder auftauchte.
Márquez' literarische Wurzeln liegen in der Kindheit verborgen. Seine Großmutter, bei der er aufwuchs, soll eine leidenschaftliche Ge­schichtenerzählerin gewesen sein und ihn mindestens ebenso stark geprägt haben wie die Werke des von ihm verehrten William Faulkner. Seine durch die literarischen Erfolge gewonnene Popularität ver­suchte Márquez auch politisch zu nutzen. 1978 vermittelte er als Prä­sidentschaftskandidat der Linken zwischen der Guerilla-Bewegung „19. April“ und der Regierung in Bogotá. Mit seinem politischen Enga­gement, das von den literarischen Arbeiten kaum zu trennen war, hatte Garcia Márquez sich allerdings nicht nur Freunde gemacht. Der kon­servative Mario Vargas Llosa geißelte ihn 1986 auf dem Internationa­len PEN-Kongress als „Kurtisane Castros“. Nicht ganz zu Unrecht, denn Márquez hatte nicht nur für die staatliche kubanische Nachrich­tenagentur gearbeitet, sondern gehörte viele Jahre auch zu den per­sönlichen Freunden des kubanischen „Revolutionärs“. Mit etwas Fantasie lässt sich in seinem Roman „Der General in seinem Laby­rinth“ in der Figur des Freiheitskämpfers Simon Bolivar auch ein la­tentes Portrait Fidel Castros erkennen.
Dennoch war Márquez' Popularität ungebrochen. 2002 war in Ko­lumbien der erste Band seiner Autobiografie in der Originalausgabe mit einer Startauflage von einer Million Exemplaren erschienen - und das in einem Land, in dem die Literatur immer noch ein Privileg der Oberschicht ist. In einigen Buchhandlungen Bogotás erklang zur Premiere die Natio­nalhymne, und Staatspräsident Alvaro Uribe rühmte Márquez pathe­tisch: „Die Präsenz der kolumbianischen Geschichte in der Erinnerung der Menschheit ist gesichert.“
Gabriel Garcia Márquez hat mit seinen in die Weltliteratur eingegangenen Romanen „Chronik ei­nes angekündigten Todes“ (1981), „Die Liebe in den Zeiten der Cho­lera“ (1986) und dem über 30 Millionen Mal verkauften und in 35 Sprachen übersetzten Roman-Evergreen „Hundert Jahre Einsamkeit“ (1967) der lateinamerikanischen Literatur in Europa erst den Durch­bruch ermöglicht. Es ist die ausgewogene Mischung aus exotischer Bildhaftigkeit und dem Wechselspiel von Mythos und Realität, die den Reiz der Márquezschen Werke ausmacht - zuletzt noch einmal zu er­leben gewesen im Alterswerk „Erinnerungen an meine traurigen Hu­ren“ (2004).
Das gigantische Werk von Gabriel Garcia Márquez (sämtliche Titel sind in deutscher Übersetzung bei Kiepenheuer und Witsch erschie­nen) lässt sich kaum treffender charakterisieren als mit den Worten von Heinrich Böll: „Er ist eine einmalige Erscheinung, weil bei ihm das, was wir Engagement nennen, mit dem, was wir Poesie nennen, vollkommen übereinstimmt.“ Am Donnerstag (17.04.) ist Garcia Márquez, einer der Giganten der spanischsprachigen Literatur, in Mexico City im Alter von 87 Jahren gestorben.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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