In Jahres-Chronik spielt Wasser wichtige Rolle

Eva Böde, eine TTW-Sportlerin aus der Wasserstadt Witten, ist „Nordseewoman“ geworden.
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  • Eva Böde, eine TTW-Sportlerin aus der Wasserstadt Witten, ist „Nordseewoman“ geworden.
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Ein nicht ganz ernst gemeinter Blick auf Dinge, die uns beschäftigt haben - Politiker liefern den Stoff, aus dem Rückblicke sind

Wieder geht ein Jahr vorbei – nicht ohne einen nicht ganz ernst gemeinten Rückblick auf Dinge, die uns beschäftigt haben oder beschäftigt haben könnten, in dieser kleinen Chronik aber auf jeden Fall beschäftigen werden.

Die Anlässe sind vielfältig, und wie so oft im wirklichen Leben liefern die hiesigen Politiker den Stoff, aus dem die Rückblicke sind. Allerdings fragt man sich angesichts mancher Kapriolen dennoch gelegentlich: Ist das tatsächlich das wirkliche Leben?
Doch beginnen wir zunächst mal mit einer erfreulichen Meldung. Die Anzahl der jugendlichen Komasäufer in Witten ist, entgegen dem Landestrend, rückläufig. Ein unmittelbarer Zusammenhang damit, dass die Zahl der Einbrüche in Witten angestiegen ist und viele Jungendliche den gut gemeinten Rat der Eltern „Such dir doch endlich mal einen Job“ missverstanden haben, wurde allerdings weder von Komasäufern und Einbrechern, noch von der Polizei bestätigt.
Grundsätzlich, und das wird auch von der Polizei bestätigt, sollte man möglichst kein Bargeld zu Hause bunkern. Dass es nicht nur hilfreich, sondern sogar lebensrettend sein kann, auch kein Bargeld am Mann zu haben, macht das Beispiel eines Wittener Türstehers deutlich, auf den mehrfach eingestochen wurde. Man stelle sich das mal aus der Sicht des Täters vor: Der sticht wie ein Berserker auf sein Gegenüber ein, doch das vermeintliche Opfer steht da wie der Terminator höchstpersönlich und will einfach nicht umfallen. Und warum nicht? Weil er statt Bargeld etwa 20 Plastikkarten in der Brieftasche hatte, die dem Messerstecher widerstanden wie die untere Bahnhofstraße dem Einzelhandel.
Letzterer soll nun vom Berliner Platz aus angekurbelt werden. Dort wird im Frühjahr ein großes Café mit Außengastronomie „das Bindeglied zwischen oberer und unterer Bahnhofstraße“, so Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke, darstellen. Genauer betrachtet, stellt es auch das Bindeglied zwischen Nicht-Wittenern und noch mehr Nicht-Wittenern dar. Denn nicht nur in der Stadtgalerie mangelt es an Einzelhändlern aus der eigenen Stadt. Auch das Café ist Teil einer Gastronomie-Kette, die ihren Hauptsitz an einem Ort hat, der allenfalls dann im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, wenn der dortige Fußballverein in der ersten Runde des DFB-Pokals zweistellig abgefertigt wird.
„Immerhin nur zweistellig“, mag man angesichts der wachsenden Verschuldung der Stadt denken. Um dem entgegenzusteuern, kommt alles, was nicht mehr gebraucht wird oder nicht mehr saniert werden kann, unter den Hammer. Auch das Rathaus ist marode und bedarf dringend einer Sanierung. Rund 20 Millionen Euro würde eine Komplettsanierung kosten. Dass, laut Stadtkämmerer Matthias Kleinschmidt, eine Teilsanierung sogar teurer werden könnte, spricht nicht wirklich für die bauliche Substanz. Mein Tipp: Eine Bündelung der Kompetenzen – also rapiden Personalabbau und den anschließenden Umzug in ein kleineres Gebäude wie das Standesamt. Ups, geht ja gar nicht, das ist ja auch schon verkauft worden. Der Käufer war selbstverständlich kein Wittener.
Womit wir wieder bei den Komasäufern wären und einer neuen Theorie: Die Zahl ist deshalb rückläufig, weil durch die ganzen Nicht-Wittener, die unsere Stadt vor dem drohenden Verfall retten, die Anzahl der Wittener statistisch sinkt, und demzufolge auch die der theoretisch möglichen Komasäufer.
Obwohl – Gründe zu trinken, auch übermäßig viel, sei es aus Heiterkeit oder Frust über die realsatirischen Possen unserer Politiker, gibt es genug. Geradezu sinnbildlich dafür, dass die ihr eigenes Süppchen kochen und die Bürger halt unmündige Deppen sind, steht in Wort und Tat eine Aktion in der Straße „Am Borchholz“ auf dem Sonnenschein. Dort wurden zunächst Halteverbotsschilder aufgestellt und den Bürgern kurze Zeit später nicht etwa bloß Steine, sondern direkt Baumstämme buchstäblich in den Weg gelegt, um dort das Parken, dass 40 Jahre problemlos möglich war, zu unterbinden. Die Begründung spricht Bände, hieß es doch offiziell „um eine Ausweichmöglichkeit bei Begegnungsverkehr zu schaffen“.
Wenn die Politiker uns also ausweichen möchten, wenn sie uns begegnen – lassen wir sie doch einfach. Und seien wir doch mal ehrlich: Manchmal möchte man ihnen auch gar nicht begegnen. Wie etwa der CDU-Fraktion, die vehement eine Umbenennung des Karl-Marx-Platzes gefordert hat. Auf die Idee, sich mit derartigen Belanglosigkeiten zu beschäftigen, kann man eigentlich nur kommen, wenn man ansonsten kein Parteiprogramm hat. Da lobe ich mir doch die Piratenpartei. Die wurde deswegen kritisiert, weil sie zu vielen Themen noch keine Inhalte hat. Aber wenn ich mir das Gefasel mancher hohen Herren so anhören muss, komme ich zum Schluss, dass der einzige Unterschied zu den etablierten Parteien ist, dass die Piraten das wenigstens offen zugeben.
Und wo fühlen sich Piraten am wohlsten? Richtig, im Wasser. Darüber, dass es auch davon in Witten genug gegeben hat und die Stadt nicht nur finanziell „Land unter“ melden musste, lesen Sie auch in dieser Chronik, in der Wasser eine gewichtige Rolle spielt. Davon gab es in diesem Jahr mehr als genug.
Denken wir nur an den Sommer. Viele Veranstaltungen fielen zwar nicht direkt ins Wasser, blieben aber auch nicht von selbigem verschont. Und selbst bei Wittens größter Veranstaltung, dem Zeltfestival, das unsere Bochumer Nachbarn fälschlicher- und dreisterweise als „ihr“ Festival ausgeben, wurde im Vorfeld wegen des Regens ein 24-stündiger Baustopp verhängt.
Das zeigt, dass auch bei einer perfekten Vorbereitung nicht immer alles nach Plan läuft. „Perfekt“ und „nach Plan laufen“ sind im Lexikon der Stadtverwaltung zwar nur als Unterpunkte unter „W“ wie „Wunschdenken“ zu finden, aber fürs Wetter können ausnahmsweise auch die Stadtoberen nichts.
Waren es im Winter 2010/2011 noch Schnee- und Eismassen, die aufgrund logistischer Verfehlungen von Betriebsamt und Streusalzlieferanten zum Chaos führten, sorgte im vergangenen Winter die Schneeschmelze dafür, das vielerorts „Land unter“ gemeldet werden musste. Straßen standen unter Wasser, Keller mussten ausgepumpt werden, und der Campingplatz in Bommern glich stellenweise einem Freizeitbad.
Bis zum Hals steht das Wasser auch in der Stadtbücherei. Sinnbildlich für den Zustand des Gebäudes ist ein Gesteinsbrocken, der sich aus dem Dach löste und auf den Bürgersteig fiel. Sollten sich die Diskussionen um das denkmalgeschützte Gebäude noch weiter hinziehen wie bisher, hat sich das Thema ohnehin bald von selbst erledigt.
Erledigt hat sich auch ein Thema, bei dem sich Politiker und Bürger ausnahmsweise mal einig waren: Fracking. Die umstrittene Erdgasförderung in der Ruhrstadt ist vom Tisch, und Heven wird nun aufgrund des „Schutzgutes Wasser“ doch nicht zur Bohrinsel.
Schuld daran, dass der neue Busbahnhof nicht wie geplant im Oktober eröffnet wurde, war natürlich ebenfalls das Wasser. Zum einen das von oben, zum anderen das von unten in Form eines alten, unbekannten Kanals. Wasser hier, Wasser da - und so verwundert es auch nicht, dass mit Eva Böde eine TTW-Sportlerin aus der Wasserstadt Witten den Titel „Nordseewoman“ erringen konnte.
Einen Rekord ganz anderer Art gab es am 19. November. An diesem Tag sorgte ein Unwetter gleich für drei Feuerwehr-Großeinsätze innerhalb von sechs Minuten. „Wasser marsch!“ lautete auch die Devise beim Brand der ehemaligen Turnhalle der Reichwein-Realschule, die trotz des Einsatzes von 148 Feuerwehrleuten komplett abfackelte. Und wenn es gerade mal nichts zu löschen gibt: Kein Problem, auch hier hilft die Feuerwehr: Ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr legte gleich fünf Brände. Sein Motiv: Er wollte löschen.
Dass Feuerwehrleute mitunter nicht nur bei Einsätzen, sondern auch auf dem Weg dorthin gefährlich leben, stellten einige „Scherzbolde“ in der Silvesternacht unter Beweis, indem sie mit Feuerwerkskörpern gezielt auf Einsatzfahrzeuge schossen. Einen Scherz ganz anderer Art leistete sich ein 36-Jähriger, der vorsorglich, offenbar in Erwartung eines strengen Winters, in einem Wittener Baumarkt gleich 825 Kilogramm Streusalz klaute. Ein anderer böser Bube trieb Schindluder mit dem Fahrgastschiff „Schwalbe“, indem er den Motor lahm legte und das Schiff zum Unmut vieler Bürger vorzeitig in den Winterurlaub schickte.
Überhaupt geht es uns Wittenern nicht wirklich gut. Während ein Wittener im Schnitt weniger als 20 000 Euro pro Jahr verdient, kommt der durchschnittliche Wetteraner auf mehr als 26 000 Euro. In Sprockhövel und Herdecke sind es mehr als 27 000 Euro, und in Ennepetal fast 31 000 Euro. Was sind wir doch für arme Schweine!
Noch dazu, wo wir bildungsmäßig auch hinterherhinken. Zumindest besagt das eine Studie. Beim „Bix“, der jährlichen Hitparade des Bibliotheksindex, hat Witten auf freiwilliger Basis zum ersten Mal teilgenommen. Aber wie man’s macht, macht man’s verkehrt. Denn bei den Punkten „Gesamtrang nach Größenklassen“ und „Kundenfreundlichkeit“ belegte Witten unter 160 Teilnehmern abgeschlagen den letzten Platz. Und das dürfen wir bald sogar wieder stolz überall zeigen. Denn schon bald werden wir uns aussuchen können, ob wir bei einer Fahrzeug-Neuzulassung „EN“ oder lieber „WIT“ auf dem Nummernschuld stehen haben möchten. Auch in anderen Kreisstädten sollen die Kennzeichen, die im letzten Jahrtausend im Zuge der Gebietsreform abgeschafft wurden, wiedereingeführt werden. Auch wenn ansonsten alles andere den Bach runtergeht: Wir sind wieder wer!

Autor:

Walter Demtröder aus Witten

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