Stadtarchiv Witten
Zum 76. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald

Emil Landau anlässlich der Übergabe des Gedenkbuchs der Stadt Witten am 5. Mai 1991 im Saalbau Witten. | Foto: Jörg Fruck, Stadt Witten
  • Emil Landau anlässlich der Übergabe des Gedenkbuchs der Stadt Witten am 5. Mai 1991 im Saalbau Witten.
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Das Stadtarchiv Witten veröffentlicht anlässlich des 76. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 11. April 1945 Auszüge aus einem Interview mit dem Shoah-Überlebenden Emil Landau von 1990 mit Martina Kliner-Fruck.

Emil Landau, geboren 1925 in Witten als erstes von zwei Kindern der Eheleute Alex und Sidonie Landau, wohnte mit seinen Eltern und seiner Schwester Helga im Haus Ruhrstraße 6 in der Wittener Innenstadt. Emil Landau ging vier Jahre in Witten zur Schule, ab 1937 besuchte er das jüdische Landschulheim Herrlingen bei Ulm. Nach der Reichspogromnacht, in der die Familie in ihrer Wohnung von Nazis überfallen, Alex Landau in sogenannte Schutzhaft genommen und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt worden war, mussten die Landaus, weil sie Juden waren, ihr Geschäft für Schneiderbedarfsartikel aufgeben, ihre Wohnung und Witten verlassen. Im März 1939 zogen sie nach Dortmund. Emil Landau besuchte dort zunächst die jüdische Volksschule und musste Zwangsarbeit für eine Dortmunder Tiefbaufirma leisten. Im Sommer 1942 wurde er im Alter von 16 Jahren mit seinen Eltern und seiner Schwester in das Ghetto von Theresienstadt deportiert. Zwei Jahre später verschleppte ihn die SS in das Konzentrationslager Auschwitz. Nach wenigen Wochen gelangte er in das Nebenlager Tschechowitz (Czechowice), ein Außenkommando von Auschwitz. Emil Landau überlebte den Todesmarsch von Tschechowitz, der am 18. Januar 1945 zunächst als Fußmarsch in Richtung Konzentrationslager Buchenwald begann. Die letzten Überlebenden gelangten nach einigen Tagen schließlich auf offenen Güterwaggons das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar.

„Was machen wir, wenn wir frei sind?“

"…Wir waren dann 400 oder 500 Personen auf diesem Zug. Da waren auch andere Leute aus anderen Lagern. Bis wir nach Buchenwald kamen, waren von unseren vielleicht noch 100 Menschen übriggeblieben. Viele waren auf dem Zug erfroren oder sind erschossen worden. Wenn ich an die Ironie denke, die ich immer so gerne sehe: gerade vier oder fünf Stunden vor Buchenwald kam ein amerikanisches Flugzeug. Die Wächter saßen in den Ecken mit ihren Maschinengewehren und fingen an zu schießen. Und die Amerikaner beschossen den Zug. Man weiß nie, von wem man gerade erschossen wird, wenn man nicht in der richtigen Truppe ist. Wir hatten vier Wächter, in jeder Ecke einen. Die hatten so viel Angst wie wir. Der Zug fuhr und die hatten ihre Bajonetts. Sie standen in Position mit ihren Bajonetts und die Leute, die zu nah kamen, wurden erstochen. Die wurden in dieser Kälte sehr schnell steif. Die Leichen wurden die Barrikaden für die Wächter. Das war die Zeit, die am schlimmsten war bis zum Ende des Krieges. Wir kamen dann in Buchenwald an und kamen unter die Entlausungsdusche. Meine Zehen wurden schwarz von dem Frost. Ich spürte das warme Wasser und der Fuß schmerzte. Es war aber keine Zeit, sich das anzusehen, für sich selbst zu sorgen und Selbstmitleid zu entwickeln. - Von Buchenwald kam ich in die Schweiz, dann nach Deutschland, dann nach Amerika.

Wie lange waren Sie in Buchenwald?

Bis zum 11. April 1945. Da war die Befreiung. Zwei Tage später hatte ich Typhus. Die sagten alle, ich hätte das schon vorher gehabt. Aber derzeit war der Überlebenswille stärker als die Krankheit. Vielleicht ist es das, warum ich heute noch hier bin. Das hat sich dann erst zwei, drei Tage nach der Befreiung gezeigt. Also hatte ich Typhus und eine Form von Rippenfellentzündung. Das ist so eine Krankheit, die nach Typhus kommt, wenn man nicht widerstandsfähig ist. Man könnte natürlich noch so viele Details erzählen. Das ist einfach eine lange Geschichte.

Sie sind also nach der Befreiung krank geworden und sind danach in die Schweiz gegangen?

Ich war schon in Buchenwald krank, schon als wir ankamen. Das war, als meine Zehen schwarz wurden. Die Sanitäter im Lager waren Bibelforscher, die auch in jedem Krieg auf der falschen Seite sitzen. Wir lagen da in den großen Baracken und da kamen sie und sahen sich meinen Fuß an. Da sagte einer: „Emil, du musst entweder sterben oder ins kleine Revier“. Für jemanden, der gerade von Auschwitz kam, war das kein Platz, an dem man sich niederlassen wollte. Er sagte: „Nein Emil, hier ist ein junger Russe im Krankenrevier, ein alter deutscher politischer Gefangener. Die lassen das laufen. Du bist darin okay.“ Ich habe ihm geglaubt und bin hingegangen. Dort hatte ich den größten Schmerz meines Lebens, denn die waren nicht sehr gut ausgestattet. Eines kannten sie sehr genau: Frostbein. Das hatten sie schon sehr oft behandelt, weil das fast jeder hatte. Sie konnten nur nicht amputieren. Heute sagt man mir beziehungsweise schon sechs Monate später in der Schweiz: „Das hätte amputiert werden müssen.“ Ich habe es immer noch heute. Die haben einfach das Fleisch bis auf die Knochen abgezogen und in einer Flüssigkeit getränkt. Das war der schmerzlichste Moment meines Lebens, den Fuß in das Wasser zu stellen. Sie hatten Verbände aus Papier und die wurden so hart wie Gips, wenn man ein Bein gebrochen hatte.
Vor der Befreiung konnte ich aus dem Krankenrevier. Ich konnte laufen. Ich war in Buchenwald und dann wurde Buchenwald gesäubert. Wir marschierten hinaus, weil die Amerikaner zu dieser Zeit von Westen kamen. Ich wusste, was für ein Marschieren es auch immer war, ich könnte es nicht länger als ein oder zwei Stunden ertragen. Ich hatte eine Meinung: „Ich bleibe, wo ich bin.“ Als die alle abmarschierten, habe ich mich zwischen eine Wand und eine Baracke gelegt. Das war aber gar nicht nötig, denn sie haben den Gefangenen nichts getan. Die sehr verhassten SS-Leute gingen hinaus und ließen die alten SS-Leute, die weniger auf dem Buckel hatten, zurück…

Am Tag der Befreiung

Die Amerikaner kamen am 11. April. Das Lager hatte sich zu der Zeit schon selber befreit. Ich hatte dann Typhus und war vier oder sechs Wochen im Lazarett. Wie sich die Dinge ändern: Ich hatte dann meinen eigenen Kriegsgefangenen als Betreuer. Eine unserer größten Sorgen war: „Was machen wir, wenn wir frei sind? Wohin gehen wir?“ Wir waren nun dreieinhalb Jahre daran gewöhnt, dass Andere für uns denken. „Können wir denn überhaupt noch denken?“ Das waren unsere Gedanken und nicht nur Gedanken, sondern auch Gespräche…“."

Hintergrund

Am 18. Januar 1945 verließen etwa 450 Häftlinge um 19 Uhr das Nebenlager Tschechowitz, bewacht von bewaffneten SS-Männern. Am 20. Januar erreichten sie nach einem Marsch über Dziedzice, Goczalkowice, Pszczyna den Bahnhof von Wodzislaw in Schlesien. Diejenigen, die nicht das Marschtempo einhalten konnten, wurden erschossen. Vom Bahnhof Wodzislaw wurden sie zusammen mit Häftlingen aus anderen Nebenlagern in offenen Güterwaggons durch Schnee und Kälte zum Konzentrationslager Buchenwald transportiert. Von 450 Männern, die Tschechowitz verlassen hatten, überlebten ungefähr 300 die Verlegung.

Autor:

Nicole Martin aus Witten

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