Sabbat-Jahr stellt das Leben völlig auf den Kopf

Eigentlich wollte Klaus Laireiter im Sabbatjahr das Land Bolivien erkunden.Hier eine Bergbesteigung eines 5.000er | Foto: Klaus Laireiter
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  • Eigentlich wollte Klaus Laireiter im Sabbatjahr das Land Bolivien erkunden.Hier eine Bergbesteigung eines 5.000er
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Vor 16 Jahren traf ich Klaus Laireiter zum ersten Mal. 50 Jahre war er seinerzeit. Voller Tatendrang und neugierig auf die Welt. Seine zweite Lebenshälfte begann. Ungewöhnlich und aufregend zugleich.

Er hatte sich für ein sog. „Sabbat-Jahr“ entschieden. Irgendwo in einem anderen Land, in einem anderen Kulturkreis der Welt. Wenn nicht jetzt, wann dann? Der Zeitpunkt war gekommen, seinen Jugendtraum zu verwirklichen. Gesagt, getan! Im Nachhinein betrachtet, hat diese "Auszeit" sein Leben völlig auf den Kopf gestellt. Sie hat ihn verändert.

Nichts in seinem Leben, glich nach dieser Zeit mehr dem, wie es vorher war.

Bestens vorbereitet, ließ er im August 1998 alles hinter sich. Für 2 1/2 Jahre zog es ihn nach Bolivien. Cochabamba, La Paz, El Alto, waren Ziele seiner Reise. Er lernte spanisch. Beschäftigte sich mit der Geographie und der Politik des südamerikanischen Landes. Kannte sich aus, in der Kultur und Geschichte. Studierte die bolivianische Mentalität und besorgte sich vorab eine Bleibe in einer sozialen Einrichtung der Steyler Missionare im Land.

Durchtrainiert als Judo-Sportler und mental fit, wie ein Turnschuh, freute er sich darauf, das Land mit all seinen landschaftlichen Schönheiten als auch mit seinen sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen kenenn zu lernen. Sein Ziel war es, einen der vier 6.000-er Berge zu erklimmen und mit dem Mountain-Bike die weltweit berüchtigte „Camino de la Muerte“, die sog. „Todesstraße“ hinunter zu radeln. Offen für alles, was ihm begegnete. Er stellte sich darauf ein, den Coca-Tee zu trinken, um das alltägliche Leben in der sauerstoffarmen Luft der Hochanden zu meistern. Von dem nahrhaften Getreide „Quinoa“ der Indios und ihren bunten Kartoffeln würde er sich ernähren und sich in sozialen Projekten engagieren.

Klaus Laireiter, ein Mensch, der die Ärmel hochkrempelt, etwas bewegt.

Zuschauen ist nicht sein Ding. Anpacken eher. Ja, so stellte er sich seine ganz persönlich „Auszeit“ vor. Der Kopf und das Herz sollten frei werden für einen Neuanfang in der Heimat. Klaus Laireiter trat eine weite Reise an und landete in La Paz, der Hauptstadt von Bolivien, 4.000 Meter über dem Meeresspiegel. Alles neu, alles fremd und unbekannt: die Geräusche, die Gerüche, die Menschen. Für ihn aufregend und spannend zugleich. Jede kleinste Anstrengung führte ihn körperlich an die Grenze. Schlapp, müde, matt; die dünne Luft forderte ihren Tribut. Klaus Laireiter war angekommen, im Land seiner Wahl. Voller Elan startete er in sein neues Leben. Gespannt auf die Abenteuer, die ihn hier erwarteten.

Der 19. April 1999 sollte sein persönlicher Schicksalstag werden. Er begegnete ihm buchstäblich auf der Straße von El Alto, dem Armenviertel von La Paz.

Dies Begegnung veränderte sein Leben von Grund auf, ohne dass er es ahnte.

Eine völlig verzweifelte Mutter beklagte den bevorstehenden Tod ihrer kleinen Tochter Tatjana. Die Diagnose: Offene TBC, eine Krankheit, die bei uns inzwischen sehr gut medikamentös heilbar ist. Niemand konnte dem Kind in El Alto helfen. Tatjana war dem sicheren Tod geweiht. Ihre Mutter sah keine Chance, das sterbende Kind ins rettende Hospital nach La Paz zu transportieren, geschweige denn, die Kosten der Behandlung zu bezahlen. Klaus Laireiter reagierte sofort, rief er ein Taxi herbei, lud Mutter und Tochter ein, trug das Mädchen ins Hospital und sicherte aus seinem persönlichen Budget die Finanzierung der ärztlichen Behandlung. Er bezahlte die notwendigen Medikamente, kümmerte sich um die traumatisierte Mutter, spendete Trost und Hoffnung und - dem Himmel sei Dank - Tatjana konnte gerettet werden.

Heute, zehn Jahre später, genießt Tatjana ihr Leben, geht zur Schule und kann sich kaum noch an Details dieser lebensbedrohlichen Situation erinnern. Und das ist gut so! Eine innige Freundschaft und enge Verbundenheit sind geblieben. Etwas Unvorhersehbares war geschehen: Klaus Laireiter hatte von jetzt auf gleich, völlig unvorbereitet, „seine Aufgabe“ gefunden. Er besuchte regelmäßig die keine Tatjana und ihre Mutter, baute einen vertrauensvollen Kontakt zu Ärzten und Pflegern auf. Er ging im Hospital aus und ein. Doch es sollte nicht das einzige, einschneidende Erlebnis bleiben, was seine Zukunft nachhaltig bestimmte und veränderte:

Hinter der Tür einer Krankenstation im Hospital in La Paz hörte er während seiner zahlreichen Besuche, verzweifelte, ängstliches Schreie, lautes Weinen und Wimmern von Kindern. Entsetzt und neugierig geworden, entdeckte er dort die „verbrannten Kinder“, hilflos ihrem Schicksal ausgeliefert. Sie waren Opfer von Verbrennungen, Verpuffungen, Verbrühungen durch kochendes Wasser, durch defekte Gasleitungen und explodierende Gaskocher, mit denen die Familien der Landvevölkerung in Bolivien heizen und kochen. Babys, Kleinkinder, Jugendliche, allesamt von Schmerzen gepeinigt. Klaus Laireiter erstarrte. Er empfand unendliches Leid. Es gab für die Kinder keine Betäubungsmittel, keine Narkotika. Auch schmerzstillende Medikamente, die lindernd wirkten, waren nicht vorhanden. Nur traurige und apathische Gesichter schauten ihn an. Eltern und Großeltern, verzweifelt neben den Betten ihrer Kinder und Eltern. Ein Bild des Grauens.

Er kaufte alle zur Verfügung stehenden schmerzstillenden Medikamente auf, die er in den Apotheken von La Paz auftreiben konnte. Er brachte sie in das Hospital und bat die Ärzte und Pfleger diese sofort einzusetzen. Koste es, was es wolle. Finanziell waren die Grenzen seiner persönlichen Möglichkeiten schnell erreicht. Doch es musste irgendwie weiter gehen! Fragen über Fragen peinigten ihn. An einen ruhigen Schlaf war nicht mehr zu denken! Was sollte er nur tun, um die Leiden der Kinder erträglich zu machen? Wie könnte er den Ursachen vorbeugen, um derartige entsetzliche Unfälle in den Familien zu verhindern? Wie konnte er nachhaltig sichern, dass die medizinische Versorgung gerade der Kindern und Jugendlichen in diesem Teil der Welt verbessert wird? Ihm schwirrte der Kopf. Ein Fass ohne Boden, das war ihm klar. Allein würde er es nicht schaffen. Er brauchte Mitstreiter. Menschen, die sich der Sache zusammen mit ihm annehmen!

In seiner Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit berichtete er seinen Freunden und Bekannten in der Heimat von der Not der Kinder in Bolivien. Spontan starteten diese eine Medikamenten- und Spendenaktion. Ärzte, Apotheker, Pressevertreter, Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Vereine, Kirchengemeinden und Privatpersonen „packten sofort mit an“. Sie waren emotional berührt von den Dingen, die sie aus erster Hand erfuhren. Sie organisierten Benefizkonzerte, berichteten in der Presse. Kurze Zeit später reisten bereits vier seiner Freunde nach Bolivien, um diese Spenden persönlich abzugeben und um sich ein Bild von der Situation im Kinderhospital von La Paz zu machen. Das war die "Geburtsstunde" des Kinderhilfswerkes „para-niños“, für Kinder in Bolivien!

Nach 2 1/2 Jahren, zurück in der Heimat, zerrissen zwischen zwei Welten, fand Klaus Laireiter Menschen, die mit ihm zusammen, die gute Idee weiter entwickelten. Netzwerker, die in Bolivien und Österreich verlässliche Strukturen aufbauten und ihr Expertenwissen ins Land transportieren. Ärztliche Kenntnise aus den unterschiedlichsten Fachdisziplinen kamen zum Einsatz, um Kinderleben zu retten und -leiden zu lindern. Privatpersonen übernahmen Patenschaft für einzelne Operationen. Ärzte, Pfleger, Psychologen und Sozialarbeiter wurden vor Ort qualifiziert. Es fanden sich Freunde und Gönner, die regelmäßig nach Bolivien reisten und Pressevertreter, die die Öffentlichkeit informierten.

Aus der persönlichen Betroffenheit eines einzelnen Menschen entwickelte sich allmählich eine Bewegung, die seinesgleichen sucht und jeder Unterstützung würdig ist. Aus der Einzelfallhilfe wurde ein Gesundheitssystem an einem anderen Ende der Welt.

"PARA NIÑOS" - auf deutsch - "FÜR KINDER". Ein Name mit Symbolcharakter!

Es zeigt, dass eine gute Idee immer einen engagierten Kümmerer braucht, der sich begeistern und berühren lässt. Der mit Herz und klugem Verstand die Sache in die Hand nimmt. Der den Stein ins Wasser wirft, damit er Kreise zieht, sich als Netzwerk weiterentwickelt, verselbständigt und nachhaltig wirken kann.

Mein Interview mit Klaus Laireiter, dem Gründer des Kinderhilfswerkes

http://www.lokalkompass.de/arnsberg/leute/wir-haben-nur-die-eine-welt-d293429.html

http://www.lokalkompass.de/arnsberg/leute/ein-sabbat-jahr-stellt-das-leben-voellig-auf-den-kopf-d293559.html

http://www.pater-klaus.at

http://patenschaft-aktiv.de/media/30413744d2ce4b9cffff8104fffffff0.pdf

Alles Große in unserer Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut, als er muss.

(Hermann Gmeiner)

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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