Ein Bild - Eine Geschichte
Zu Grabe getragen

„Oh Mann, Lisa! Das ist doch nicht dein Ernst! Es ist zu heiß, lass uns ein Eis essen.“ Lukas wandte sich demonstrativ um, doch Lisa folgte ihm nicht. Sie schaute noch einen Moment auf das Schild mit den Eintrittspreisen und stellte sich dann an der Kasse an. Lukas seufzte ergeben und gesellte sich zu ihr. „Nächstes Jahr suche ich unser Urlaubsziel aus und ich verspreche dir, es wird keine Sehenswürdigkeit zu finden sein!“ Er verzog schmollend das Gesicht.
Lisa drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Du wirst schon nicht von ein bisschen Kultur sterben. Du magst doch Gruselgeschichten, hier kannst du eine ganze Menge Gräber bestaunen.“
Sie kaufte zwei Eintrittskarten, nahm sich einen Prospekt und langsam gingen sie den mit Steinsärgen gesäumten Weg entlang.
„Sind da noch welche drin?“ Lucas versuchte etwas durch ein Loch in einem der Deckel zu erkennen.
„Nein, die wurden schon vor langer Zeit geleert.“ Lisa studierte den Prospekt und sah dann prüfend zur Kirchenruine, zu welcher der Weg führte.
„Hier ist aber was drin!“ Lukas ließ sich nicht beirren und begann unter Ächzen und Stöhnen den Deckel zur Seite zu schieben.
„Lukas, was machst du denn da?“ Lisa schaute sich um, doch niemand achtete auf sie.
„Doch nichts.“ Lukas verschnaufte enttäuscht. „Hey, du legst dich rein und ich mach ein Bild. Das wird cool!“
„Nein, spinnst du?“ Lisa machte einen Schritt zurück.
„Komm schon. Du hast mich hierhergeschleppt, also tu mir den Gefallen.“ Er sah sie mit dem Hundeblick an, dem sie nie widerstehen konnte.
„Na schön.“ Sie gab ihm ihre Tasche und zwängte sich durch das Loch.
„Bitte lächeln!“ Lukas lachte sie an und machte ein Foto. „Warte, ich schiebe den Deckel noch ein Stück weiter zu, dann wird es noch besser!“
„Untersteh dich, Lukas. Ich komme raus!“ Doch bevor Lisa aus dem Sarg klettern konnte, wurde der Deckel ganz über den Sarg geschoben. Nur noch ein dünner Lichtstrahl drang durch das kleine Loch in der Ecke.
Lisa fing zu schreien an. „Lass mich hier raus! Lass mich hier raus, du Idiot!“ Nichts geschah. Kein Geräusch drang in den Sarg. Hörte man sie überhaupt? Wo war Lukas? Er war zwar ein Spaßvogel, aber dieser Scherz ging auch für ihn zu weit. „Hilfe! Hört mich irgendjemand?“ Tränen erstickten Lisas Stimme und schnürten ihr die Kehle zu. Panik machte sich in ihr breit. Sie stemmte sich gegen den Deckel, doch er bewegte sich keinen Millimeter. Leiser Gesang drang an ihr Ohr. Er hörte sich wie Mönchsgesang an.
„Hilfe! Holt mich hier raus!“
Der Deckel machte ein schabendes Geräusch, als er zur Seite geschoben wurde. Doch anstatt in Lukas‘ grinsendes Gesicht zu schauen, starrte ihr ein kahlköpfiger, bärtiger Mönch entgegen. Seine harten Hände packten sie und zogen sie aus dem Sarg. Verwirrt schaute Lisa sich um. Es war dunkel und im Schein der Fackeln, konnte sie zwei Scheiterhaufen vor der Kirche erkennen. Eine Prozession führte auf die Kirche zu, die merkwürdigerweise keine Ruine mehr war. In der Mitte der Prozession zog ein Ochse einen Karren, auf dem eine schmutzige, blutverschmierte Frau saß.
„Was haben wir denn hier?“ Lisas Kopf fuhr herum. Ein zweiter Mönch hatte sich vor ihr aufgebaut. Sein wilder Blick verhieß nichts Gutes.
„Wie Ihr gesagt habt, ehrwürdiger Marthes. Die zweite Hexe finden wir auf dem Weg zum Scheiterhaufen.“
www.sabine-kalkowski-schriftsteller.de

Autor:

Sabine Kalkowski aus Bergkamen

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