Zum 30sten Todestag von Papa
Mein Papa war Bergmann auf Lothringen

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Ein kleiner Junge namens „Utal“

Ende der „Zwanziger“ kam in einem winzigen Dörfchen in Ostpreußen ein kleiner Junge zur Welt, der liebevoll von seiner Mama „Utal“ genannt wurde. Was auch immer sich Oma bei der Namensgebung dachte, bestimmt meinte sie es gut. Sicherlich auch, dass ihrem Jungen die Stallung hinterm Haus als Laufstall dienen sollte. Schon damals wusste Oma die positive Entwicklung eines Kindes im Umgang mit Tieren nicht nur zu schätzen. Somit konnte ihr „Utal“ bereits im Kindesalter Kuh und Ziege melken und die Gänse hüten; und dafür, dass er den Hennen ständig die Eier unterm Hintern stahl, bekam er öfters eine Abreibung. In Erinnerung an die Masuren-Zeit erzählte Papa mir und meiner Schwester nur zu gern von ehrlich gesagt, unglaublichen Lausbubenstreichen.

Nachdem „Utal“ den Kinderschuhen entwachsen war, nannte ihn „Mutter“ bei seinem richtigen Namen „Gustav“. Spätestens von da an begann auch für ihn der Ernst des Lebens, erinnerte er sich so manches Mal. Lange hatte er unter der „Knute“ seines Stiefvaters gelitten, wobei auch der Weg in die Jugend nicht auf Rosen gebettet war. Der Einzug mit knapp sechzehn Jahren in die Marine versperrte ihm zusätzlich den eingeschlagenen Weg zur Ausbildung als Zimmermann. Dem U-Boot-Kommando nicht Folge leistend, wollte er viel lieber zu den „Fliegern“, diente aber später in der Panzereinheit. Von englischer Kriegsgefangenschaft sollte er nicht verschont bleiben, schaffte es aber, zu Fuß von Schleswig-Holstein über Bonn und dem Ruhrgebiet im Jahre 1950 in Bochum ansässig zu werden. Als Bergmann fand er Arbeit auf Zeche Lothringen, bis im Mai 1952 ein schwerer Unfall in Schacht Drei ihn für längere Zeit ans Krankenbett fesselte. Seine junge Ehefrau bangte nicht nur einmal um das Leben ihres Mannes, da sich die Grubenunfälle bis zum Jahre 1958 häuften. Versorgung und die Erziehung zweier Kinder, meiner derzeit in USA lebenden Schwester und mir, war für Mama bestimmt nicht immer leicht. Von Unfallfolgen gezeichnet, entschied sich Papa seinem Hobby, der naiven Malerei zuzuwenden. Absolut begabt war er imstande, sich über Bergbauerlebnisse in Gemälden auszudrücken, was man heute noch bestaunen kann. Ebenso brachte er etliche Heimaterinnerungen, masurische Landschaften auf Hartfaserplatten und Zeichenkartons. Seine Fähigkeiten reichten von Bleistiftskizzierungen über Radierungen bis hin zur Ölmalerei und kein leeres Blatt Papier blieb mehr vor ihm sicher.

Mit Wandmalereien innerhalb der Umschulungsräume des DGB an Wittener Straße überzeugte er durch künstlerisches Talent, wobei auch die Zeitung öffentlich von ihm schwärmte.

Sogar ein privater „Kundenkreis“ konfrontierte ihn mit Aufträgen. Ganz besonders erinnere ich mich an Gemälde mit herrlichen Segelschiffen und historischen Gebäuden, womit Papa für meine Begriffe Meisterwerke schuf.

Mit der Schließung der Zechen, wurde er nach siebzehnjähriger Bergbautätigkeit als angelernte Fachkraft bei der Firma Jahnel eingestellt. Unheilbar erkrankt ließen seine Kräfte nach, was ihn aber keineswegs von der geliebten Malerei abhielt. Nachdem sich das Krankheitsbild unaufhaltsam verschlechterte, trat er im Jahr 1983 die Früh-Invalidität an.

Die Malerei und den Pinsel legte er am 17.2.1993, im Alter von 63 Jahren für immer nieder.

Autor:

Hildegard Grygierek aus Bochum

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