Lehrermangel
NRW-Personalpolitik verhindert Unterrichtsqualität


In NRW treffen Lehrermangel und eine drastische Verschlechterung der Kompetenzen der Sechstklässler in Deutsch und Mathematik zu einem fröhlichen Stelldichein aufeinander. Die NRW-Schulministerin Feller will das Problem durch eine bessere Unterrichtsversorgung angehen – und verhindert dies durch die eigenwillige Art und Weise, mit der sie als Vertreterin des Dienstherrn die zu diesem Zweck angestellten Lehrkräfte behandelt.

Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) stellt in seinem IQB-Bildungstrend 2021 fest, dass es im Vergleich zu 2016 zu einer Kompetenzverschlechterung in den Fächern Deutsch und Mathematik gekommen ist. Von 1.547 Viertklässlerinnen und Viertklässlern in NRW, die vor den Sommerferien 2021 an entsprechenden Tests teilgenommen haben, verfehlen 21,6% den Mindeststandard im Lesen, 23,3% den Mindeststandard im Zuhören und 32,6% den Mindeststandard in der Orthografie. Im Fach Mathematik verfehlen von den 1.539 Getesteten 28,1% den Mindeststandard.

Dorothee Feller, seit dem 29. Juni 2022 Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, erklärt es in einem Interview mit der FAZ vom 11.11.2022 zu ihrer Aufgabe, zügig „konkrete Lösungen für die vielfältigen Probleme anzubieten.“ Dabei, so Feller, müsse das gesamte Schulsystem im Blick behalten werden; das A und O sei eine bessere Unterrichtsversorgung. Unkonventionelles Denken sei gefragt; auch in den sechs bis sieben Jahren, die die grundständige Ausbildung der zukünftigen Lehrkräfte dauere, „haben Kinder ein Recht auf Bildung.“

Die Beteuerung dieses Rechts auf Bildung hat im Land NRW Tradition; so hat zuletzt die Vorgängerregierung die mangelnde Unterrichtsversorgung als Problem erkannt und im Vierten Maßnahmepaket zur Gewinnung von Lehrkräften versprochen, „nichts unversucht (zu lassen), um die Schulen bestmöglich zu unterstützen.“ Jede Möglichkeit zur Einstellung von Vertretungspersonal könne genutzt werden, die Finanzierung solle durch freie Lehrerstellen erfolgen, deren Besetzung mangels fehlender grundständig ausgebildeter Lehrkräfte nicht erfolgen könne. So werden weiterhin Vertretungsstellen ausgeschrieben, um dem Lehrermangel zu begegnen – auch an weiterführenden Schulen, in deren sechsten Klassen sich die 2021 getesteten Schülerinnen und Schüler mittlerweile befinden.

Das Ziel der besseren Unterrichtsversorgung scheint den Personalverantwortlichen des Landes NRW allerdings nicht deutlich mitgeteilt worden zu sein. Statt einer in der derzeitigen Situation angebrachten Hege und Pflege der Lehrkräfte, die sich auf die Vertretungsstellen bewerben, besteht die Personalpolitik in Hinhaltetaktik, Erzeugung von Frustration und möglichst bereits vor Arbeitsantritt entstehender Demotivation.
So zeigt ein Beispiel für das Bemühen des Landes NRW um eine bessere Unterrichtsversorgung, wie grundständig ausgebildete Lehrkräfte, die sich auf eine der Vertretungsstellen verirren, davon abgehalten werden, zu engagierten und motivierten Bereicherungen der Schulkollegien zu mutieren und für die versprochene bessere Unterrichtsversorgung zur Verfügung zu stehen:
Eine Lehrkraft mit Erstem und Zweitem Staatsexamen und damit ein grundständig ausgebildeter sogenannter „Erfüller“ im Sinne des TV-L mit 22 Jahren lückenloser Berufserfahrung als Lehrkraft an allgemeinbildenden und beruflichen Ersatz- und anerkannten Ergänzungsschulen in NRW bewirbt sich Ende Juli auf eine zum 10. August ausgeschriebene Vollzeit-Vertretungsstelle an einem Gymnasium. Nachdem am 6. August mit der Mitteilung der beabsichtigten Einstellung in einem ausführlichen Personalfragebogen der berufliche Werdegang, der die lückenlose Beschäftigung an Schulen belegt, abgefragt wurde, hört die Lehrkraft nichts mehr, bis sie am 12. September einen Arbeitsvertrag zur Unterschrift vorgelegt bekommt, in dem auf genauere Angaben zum Gehalt verzichtet wird; allerdings erklärt die Bezirksregierung als Vertreterin des Landes Nordrhein-Westfalen mit Hinweis auf das „erhebliche zusätzliche Arbeitsaufkommen“ des Landesamtes für Besoldung und Versorgung (LBV), dass die Lehrkraft zunächst noch nicht mit einer Gehaltszahlung, dafür aber mit Abschlägen auf das ihr zustehende, in seiner Höhe aber immer noch unbekannte Gehalt rechnen könne. Mit Schreiben vom 12. Oktober begrüßt das LBV die Lehrkraft im Kreis seiner Bezügeempfänger, ohne die Höhe des Gehalts zu verraten; die darauf am 16. Oktober folgende Anfrage der Lehrkraft an die Bezirksregierung, in welche Erfahrungsstufe sie aufgrund der 22 Jahre Berufserfahrung eingeordnet worden sei und mit welchem Gehalt sie rechnen könne, wird am 25. Oktober mit der Bitte beantwortet, die Verträge mit den Schulen, an denen die Lehrkraft in den vergangenen 22 Jahren angestellt war, zu schicken, um die Erfahrungsstufe und damit das Gehalt berechnen zu können. Der Bezirksregierung war es somit in den zwei Monaten, in denen sie die Lehrkraft einzustellen beabsichtigte, nicht gelungen, aus dem eingereichten beruflichen Lebenslauf zu ersehen, dass es sich bei der Neueinstellung um eine Lehrkraft mit jahrzehntelanger Berufserfahrung handelt, die ohne jede Einarbeitungszeit in jeder beliebigen Klasse den Unterricht übernehmen kann und dafür ein entsprechendes Gehalt erwartet. Die Anforderung weiterer Beweise für die notwendige „einschlägige Berufserfahrung“ und die daraus resultierende ordentliche Berechnung des Gehalts innerhalb dieser zwei Monate hat aus diesem Grund verständlicherweise nicht erfolgen können. Auch Ende November wartet die Lehrkraft noch auf wenigstens eine Zwischenauskunft zum erwartbaren Gehalt - die Bezirksregierung prüft weiterhin die eingereichten Verträge, um eventuell das Gehalt neu zu berechnen. Vom LBV allerdings wurde mittlerweile eine erste Gehaltsabrechnung verschickt, aus der die Einstufung als Lehrkraft ohne jede Unterrichtserfahrung ersichtlich ist.

Das Ergebnis der auf Kommunikations- und Tatenlosigkeit setzenden Personalpolitik des Landes NRW ist die Beschäftigung einer grundständig ausgebildeten Lehrkraft mit 22 Jahren Berufserfahrung, die in Vollzeit an einem Gymnasium Kurse in der Oberstufe und Klassen in der Unterstufe unterrichten, geflüchteten Schülerinnen und Schülern in Willkommensklassen die deutsche Sprache beibringen und im Förderunterricht die aufgrund verfehlter Personalpolitik in Grundschulen entstandenen Lücken schließen soll. Dafür zahlt das Land NRW ein Nettogehalt von 1990,54 Euro pro Monat, von dem noch 73,74 Euro für eine Rentenpflichtversicherung abgezogen werden, aus der nach fünfjähriger Beitragszeit Leistungen zu erwarten sind – deutlich mehr, als die Lehrkraft mit dieser Bezahlung an einer öffentlichen Schule zu verbringen gedenkt.

Worin das Ziel der Personalpolitik des Landes NRW bestehen mag, ist nicht vollständig durchsichtig. Sicher scheint, dass es sich bei den Bemühungen des Landes nicht um den Versuch handelt, das Recht der Kinder auf Bildung mithilfe möglichst vieler qualifizierter Lehrkräfte zu sichern. Neben der ohne jede Scheu zugegebenen Ungleichbehandlung in der Bezahlung, die den verbeamteten Lehrkräften ein deutlich höheres Nettogehalt zugesteht als den angestellten Lehrkräften, macht das Land NRW als Arbeitgeber keinen Hehl aus seiner Geringschätzung der angestellten Vertretungslehrkräfte. Kritiker könnten versucht sein, eine proportionale Beziehung zwischen schlechter Behandlung durch den Arbeitgeber und dem Grad an Motivation der angestellten Beschäftigten herzustellen; derart bösartiges Gedankengut ist allerdings bei der Landesregierung nicht vorgesehen, womit ein Grund zum Handeln nicht existent ist. In der Folge unterrichten hochqualifizierte, aber demotivierte und frustrierte Lehrkräfte an den Schulen des Landes, die auf der Suche nach einem anderen Arbeitgeber sind, während ihr Engagement Schülerinnen und Schüler gelten sollte, die der hohen Motivation ihrer Lehrkräfte dringend bedürfen.

Um Frau Fellers ausdrücklichem Wunsch nach unkonventionellem Denken zu entsprechen, könnte das Land NRW die konventionelle Ungleichbehandlung der Lehrkräfte aufgeben und gleiches Gehalt für gleiche Arbeit zu zahlen – dann klappt’s vielleicht auch mit der Unterrichtsversorgung. Eventuell wären dann auch grundständig ausgebildete Lehrkräfte an Privatschulen, die über langjährige Unterrichtserfahrung verfügen, bereit, den Schritt an eine öffentliche Schule zu wagen und eine qualitativ hochwertige Unterrichtsversorgung zu gewährleisten.

Autor:

Heike Jankowski aus Bochum

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