Unsere Mitbewohner werden „entführt“!

Frau Kaemper und Herr Kühne vom Bewohnerbeirat. Die Bewohner sagen:  "Unsere Mitbewohner werden "entführt"!"
  • Frau Kaemper und Herr Kühne vom Bewohnerbeirat. Die Bewohner sagen: "Unsere Mitbewohner werden "entführt"!"
  • hochgeladen von Dr. Volker Steude

Ein langjähriger Bewohner wird kaum bekleidet aus dem Stift abgeholt, für immer. Er weint, verzweifelt klammert er sich an die Pfleger und Betreuer des Heimes. Immer wieder bricht es aus ihm heraus „Ich will hier nicht weg.“ So schildern die Mitarbeiter die dramatischen Situationen, die sich aktuell im Antoniusstift abspielen.

Ohne Abschied nehmen zu können, werden demenzkranke, verängstigte Mitbürger aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und in andere Heime transportiert. Die Bewohner selbst sprechen immer wieder davon, dass ihre Mitbewohner „entführt“ werden.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Doch was hier geschieht ist menschenverachtend. Mitarbeiter sind am Ende, die Nerven liegen blank, manche können ihre Tränen kaum unterdrücken. Diejenigen, für die sie sorgen wollen, werden gegen ihren Willen abgeholt und sie können ihnen nicht helfen.

Wie konnte es zu dieser Eskalation kommen?

2008 gibt das Antoniusstift das alte Heim an der Bessemerstraße auf. Das Gebäude ist alt, es entspricht nicht aktuelle Pflege und Betreuungsstandards. Ein neues Heim soll unter Einbeziehung der Antoniuskirche gebaut werden. Um bis zum Bezug des neuen Heims den zukünftigen Bewohnern einen besseren Standard bieten zu können, zieht man um in das Gewerkschaftshaus an der Humboldtstraße. Insbesondere kann man dort jedem Bewohner ein Einzelzimmer anbieten.

Doch jetzt kommt die Bürokratie ins Spiel. Zum einen gelingt es nicht für das neue Heim eine Baugenehmigung zu erhalten. Die Bauverwaltung braucht über 2 Jahre, ehe nun endlich eine Gesamtgenehmigung vorliegt.

Zum Zweiten muss die Stadt den Betrieb des Heimes im Gebäude an der Humboldtstraße genehmigen. Dies tut sie immer nur kurzfristig für 2 Jahren. Für jede Genehmigung zieht die Stadt dabei die strengen Maßstäbe heran, die für den Neubau von Heimen gelten (insbesondere WTG und den entsprechenden Runderlass). Während alle Heime in Bochum sonst Bestandsschutz (Teil B) bis 2018 genießen und auf diese WTG und Runderlass bis 2018 nicht angewendet werden, wird das Antoniusstift gezwungen schon jetzt die Maßstäbe zu erfüllen, die alle anderen Bochumer Heime erst 2018 erfüllen müssen.

Das führt zu der paradoxen Situation, dass Bewohner das Antoniusstift verlassen müssen, weil dies die strengen Maßstäbe des WTG für Neubauten nicht einhält und dann in Heime umgesiedelt werden, die aufgrund des Bestandschutzes bis 2018, diese Anforderungen ebenfalls nicht erfüllen, sondern sogar den Bewohnern deutlich schlechtere Bedingungen bieten als das Antoniusstift.

Beispielsweise werden Demenzkranke in die Einrichtung Glockengarten überführt. Dort müssen die alten Menschen in Doppelzimmer untergebracht werden. Nach der Durchführungsverordnung zum WTG müssen bis 2018 mindestens 80% der Zimmer in Altenheimen Einzelzimmer sein. Diese Quote erfüllt kaum ein Heim in Bochum, auch der Glockengarten nicht, im Antoniusstift jedoch gibt es ausschließlich Einzelzimmer.

Das Antoniusstift erhielt für den Umgang mit demenzkranken Bewohnern vom MDK die Note 1.0 im Glockengarten war es die Note 1.7. Auch hier bedeutet der Umzug der Bewohner eine deutliche Verschlechterung.

Eigentlich sollte man erwarten, dass die Bürokraten in der Stadtverwaltung die Situation der Bewohner verbessern wollen, doch de facto führt ihr Vorgehen für die meisten Einwohner zu einer schlechtern Situation. Hinzu kommt noch, dass demenzkranken Bewohnern die Belastung eines Umzugs gesundheitlich eigentlich gar nicht zuzumuten ist.

Warum verweigert die Stadt den Weiterbetrieb des Antoniusstiftes? Angeblich gäbe es Sicherheitsmängel. Die Nachfrage welche, konnte die Stadt allerdings nicht beantworten. Jetzt erklärt der Leiter des Bauamtes Kröck, im Notfall – etwa einem Feuer – gebe es keine ausreichenden Flucht- und Rettungswege. Die Brandschutzschau im Dezember 2012 hatte allerdings ergeben, dass das Heim in Sachen Brandschutz keinerlei Mängel aufweist. Wie konnten in vier Monaten hier plötzlich Mängel auftreten?

Ein weitere Grund für die Schließung soll sein, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen dem Antoniusstift im Herbst 2012 zwar die Gesamtnote 1,3 erteilt habe, zwei Noten, eine für Hygiene und Körperpflege (Note 4,8), die andere für den Gesamteindruck (Note 5) seien aber dramatisch schlecht ausgefallen. Dies sind zwei von 82 erhobenen Noten, die auf der Befragung von 4! von 53 Bewohnern basieren. Auch wurden die Mängel umgehend nach der Prüfung durch den MDK abgestellt. Wer heute das Antonisstift besucht, kann sich selbst ein Bild machen. Der Gesamteindruck wird positiv sein.

Geht man nach dem Prüfbericht des MDK, schneiden die meisten Heime in der Umgebung des Antoniustiftes deutlich schlechter oder genauso gut wie das Stift ab:

Heim und MDK-Note
Meridias Ruhrstadtpflegehaus Barbaraneum 2,5
Martin-Luther-Haus 1,9
Seniorenzentrum Am Ostring 1,6
St. Marienstift 1,5
Buchen-Hof 1,4
St. Mauritius-Stift 1,3
Haus "Am Glockengarten" 1,3
St. Anna Stift 1,3
St. Antoniusstift 1,3
Stella Vitalis Seniorenzentrum 1,1
Katharina-von-Bora-Haus 1,1

Gemäß MDK-Prüfbericht gibt es nur zwei Heime im 2 km-Umkreis des Antoniusstiftes, die besser bewertet wurden.

Warum will die Stadt das Antoniusstift schließen und nicht das Barbaraneum, das wirklich bedenklich schlecht bei dem MDK Prüfbericht abschneidet?

Der Prüfbericht des MDK enthält die Feststellung, dass das Antoniunsstift sich in einem Gebäude befindet, dass nicht mehr den baulichen Anforderungen einer stationären Pflegeeinrichtung entspreche, aber ein Neunbau geplant sei. Damit unterscheidet sich dieses Heim von den meisten in Bochum, für die gilt grundsätzlich zwar genau dasselbe, allerdings ist ein Neubau nicht absehbar. Während die Bewohner des Antoniusstiftes vermutlich bereits 2015 in ein neues Heim umziehen können, werden die Bewohner der anderen Heime vermutlich noch bis 2018 in den alten Gebäuden verbleiben.

Es gibt akute keine Gefährdungslage, die gegen einen Weiterbetrieb des Antoniusstiftes spricht. Für die meisten Bewohner bedeutet der Auszug individuelle Verschlechterungen statt Verbesserungen.

Die Behörden haben sich verrannt, in dem sie an das Antoniusstift exklusiv die Maßstäbe anlegen, die eigentlich nur neue Heime erfüllen müssen, die alle anderen aber Heime nicht erfüllen müssen. Dass sie das Antoniusstift an den Pranger stellen, ohne auf diese besondere Anwendung der Normen hinzuweisen, ist unredlich.

Regelrecht Menschenverachten bei der Betrachtung des Sachverhaltes durch die Stadtverwaltung ist, dass dabei vorsätzlich die Bedürfnisse und das Selbstbestimmungsrecht der Bewohner unbeachtet bleiben.

Und das obwohl das WTG in §15 ausdrücklich ein Abwägungsgebot enthält. Dort heißt es: "Rechtsvorschriften, die auf die Lebenswirklichkeit älterer, pflegebedürftiger und behinderter volljähriger Menschen in Betreuungseinrichtungen Auswirkungen haben und Ermessen einräumen, sollen so angewandt werden, dass den Bewohnern ihrem Hilfe- und Betreuungsbedarf entsprechend eine selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft möglich ist. Die Rechtsanwendung soll sich an den Maßstäben des Alltags eines häuslichen Lebens orientieren. Bei Verwaltungsentscheidungen ist darzulegen, wie der Gesichtspunkt der selbstbestimmten Teilhabe berücksichtigt wurde."

Wie sich die Sachlage darstellt, hat man die Vorschriften stumpf nach dem Wortlaut ausgelegt und jede Abwägung mit den Bedürfnissen der Bewohner, denen ein Umzug eigentlich nicht zuzumuten ist, unterlassen.

Auch im WTG (§11) wird ausdrücklich festgelegt:
"Ist dem Betreiber einer Einrichtung die Erfüllung einer Anforderung zur Wohnqualität technisch nicht möglich oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar, kann die zuständige Behörde auf Antrag ganz oder teilweise Befreiung erteilen, wenn die Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohner vereinbar ist. Ist das Einverständnis des Bewohners zu Abweichungen von Anforderungen an die Wohnqualität erteilt und sind diese Abweichungen mit den Maßstäben des Alltags eines häuslichen Lebens vereinbar, soll die zuständige Behörde keine gegenteiligen Anordnungen erlassen, sofern dies nicht im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist. Der Betreiber einer Einrichtung ist vom Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung über den Antrag für die beantragten Tatbestände von der Verpflichtung zur Umsetzung der Anforderungen an die Wohnqualität vorläufig befreit."

Die Bewohner wollen im Antoniusstift bleiben, eine gegenteilige Anordnung darf in diesem Fall von den Behörden nicht erlassen werden. Doch der Wille der Bewohner wird von den Bürokraten in der Stadt ignoriert.

Auch die Vorgehensweise der Stadt ist bezeichnend: Wochen bevor das Stift überhaupt einen Bescheid hat, warum der Antrag auf Weiternutzung abgelehnt wird, wird den Betreuern der Bewohner nahe gelegt ihre Betreuten in andere Heime umzusiedeln. Auch die Presse wird vorab informiert ohne die Gründe für die Ablehnung des Antrages im Einzelnen darzulegen. Überdies hat der Bewohnerbeirat auf seine Bitte, die Gründe zu nennen bis heute keine Antwort.

Der Eindruck verfestigt sich, die Art wie die Bürokratie ohne auf die Bedürfnisse der Betroffenen in irgendeiner Weise Rücksicht zu nehmen nutzlose Entscheidungen trifft ist menschenverachtend.

Jetzt ist die Politik am Zug die Bürokraten in ihre Schranken zu weisen und die Bewohner des Antoniusstiftes, die unsere Mitbürger sind, vor den Handlungen der überforderten Technokraten zu schützen.

Volker Steude, BÄH - Bochum ändern mit Herz
(ruhrblogxpublik)

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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