"Schicksalsort Gefängnis. Opfer der NS-Justiz in der Krümmede" - Ausstellung im Stadtarchiv

Der Honselhof mit Einmannbunker. | Foto: Stadtarchiv
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„Unser Ziel ist es, an Gefangene zu erinnern, die zwischen 1933 und 1945 aus nicht-kriminellen Gründen in der Krümmede einsaßen“, sagt Alfons Zimmer, Pastoralreferent in den Justizvollzugsanstalten Bochum. Die Ausstellung „Schicksalsort Gefängnis. Opfer der NS-Justiz in der Krümmede“ wird am Donnerstag, 16. Juni, im „Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte – Stadtarchiv“ eröffnet. Sie basiert auf Informationen, die Zimmer, der seit 24 Jahren in den beiden Bochumer Strafvollzugsanstalten tätig ist, in privater Initiative zusammengetragen hat. „Bis vor drei Jahren“, blickt Zimmer zurück, „wusste ich selbst nichts über die politischen Häftlinge im damaligen Strafgefängnis Bochum-Krümmede. Über diese große Gruppe sind in Bochum kaum Informationen zu finden.“ Eindrücklich formuliert er das zentrale Problem, vor dem er zu Beginn seiner Recherche stand: „Wie sollte ich Namen und Gesichter von betreffenden Personen finden, wenn es im Gefängnis Bochum keine und im Landesarchiv Münster fast keine Gefangenenakten gibt?“ Zur Hauptquelle wurde deshalb das Internet. Die Gefangenen, die Zimmer ungern als Opfer und lieber als Politische, also Handelnde, bezeichnet, stammten durchaus nicht alle aus Bochum oder der näheren Umgebung. Viele von ihnen erlebten eine wahre Odyssee durch 20 und mehr Strafanstalten des Deutschen Reiches, die einige nicht überlebten. An einige von ihnen wird in den jeweiligen Heimatstädten durch Stolpersteine, Straßenbenennungen und Gedenktafeln erinnert.
Aber wer waren diese politischen Gefangenen genau? „Es waren viele Kommunisten und andere Mitglieder der Arbeiterbewegung darunter. Ihnen wurde Wehrkraftzersetzung oder Hochverrat vorgeworfen. Einige wurden nach dem Heimtückegesetz verurteilt“, gibt Zimmer Auskunft. Das Heimtückegesetz wurde bereits 1933 erlassen, um Kritik an der NS-Führung zu unterbinden. Als Hochverrat wurde jede auch nur ansatzweise organisierte Form von Widerstand verfolgt. Andere wurden aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen verfolgt. „Darunter“, so Zimmer, „waren ebenso Zeugen Jehovas wie zahlreiche – oft katholische – Kleriker. Fünf Priester sind in Bochum verstorben:“ Vermutlich gibt es eine ganze Reihe von deutschen politischen Gefangenen, die die NS-Zeit überlebt haben oder während der Haft zu Tode gekommen sind, die längst in Vergessenheit geraten sind. „Ihre Geschichte kann nicht mehr rekonstruiert und aus der Vergessenheit hervorgeholt werden“, bedauert Zimmer. In Bochum gebe es keine angemessene Erinnerungskultur.
Dagegen werden politische Gefangene der NS-Zeit in den Benelux-Ländern sehr geehrt. Zimmer sagt anerkennend: „Dort gibt es eine ausgeprägte Erinnerungskultur.“ Einige von ihnen führte ihr Leidensweg auch nach Bochum. „Informationen zu ihnen findet man auf den Internetgedenkseiten ihrer Heimatländer“, gibt Zimmer Einblick in seine Recherche. Bei dieser Häftlingsgruppe handelt es sich um „Nacht-und-Nebel-Gefangene“, häufig als NN-Gefangene bezeichnet. Hitler erließ den NN-Erlass im Dezember 1941. Er wurde gegen Tausende Verdächtige angewandt, denen Spionage, Sabotage und Widerstandshandlungen aller Art vorgeworfen wurden. Sie stammten aus Nordfrankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden und wurden heimlich in Strafgefängnisse und Zuchthäuser im Westen des Deutschen Reiches verbracht. Der heimlichen Deportation folgte ein Geheimverfahren vor einem Sondergericht, zum Beispiel in Bochums Nachbarstadt Essen, wo die Beschuldigten abgeurteilt wurden. „Ihr spurloses Verschwinden sollte der Abschreckung in den besetzten Ländern dienen“, erklärt Zimmer. Die Ungewissheit über das Schicksal der Verhafteten muss für die Angehörigen besonders quälend gewesen sein. Zimmer macht die Dimensionen dieser Abschreckungsaktionen deutlich: „Im Bochumer Strafgefängnis mit seinen vier Außenkommandos befanden sich 1943 über 1.100 dieser NN-Gefangenen.“ In den Sterbebüchern des Standesamtes Bochum-Mitte, die im Bochumer Stadtarchiv aufbewahrt werden, sind für den Zeitraum zwischen 1941 und 1945 117 Todesfälle von Franzosen, Belgiern und Holländern vermerkt. Bei den verstorbenen deutschen Häftlingen lässt sich dagegen nicht in allen Fällen sagen, ob es sich um Kriminelle oder politisch Verfolgte handelt.
Die Ausstellung im Stadtarchiv soll helfen, eine Lücke im Wissen über die NS-Zeit zu schließen. „Es geht um Ehrung und Anerkennung der politischen Gefangenen“, stellt Zimmer heraus. Er hofft, damit einen Anstoß für die weitere Beschäftigung mit dem Thema zu geben. Das Stadtarchiv ist mit dem Vorschlag auf ihn zugekommen, die Ausstellung in seinen Räumen zu zeigen. Dabei erinnern 60 Porträtfotos an Häftlinge, die so in ihrer Individualität erkennbar werden. Dr. Ingrid Wölk, Leiterin des Bochumer Zentrums für Stadtgeschichte, erklärt: „Hintergrundinformationen erleichtern die Einordnung. Es gibt auch eine Gesamtliste der von Alfons Zimmer ermittelten Häftlinge.“ Die Ausstellung wird voraussichtlich bis Anfang 2017 zu sehen sein. Im Herbst wird es ein Begleitprogramm geben, welches die biographischen Informationen wissenschaftlich-historisch einbettet. „Es ist ein Überblicksvortrag geplant. Daneben wird es Vorträge zu einzelnen Opfergruppen, zur Rolle der Polizei und zu den Prozessen gegen die Täter in der Nachkriegszeit geben.“

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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