Die Pandemie mal von einer anderen Seite sehen
Die „vergessene“ Generation

Schülerinnen und Schüler sind von den Corona-Maßnahmen besonders betroffen.
  • Schülerinnen und Schüler sind von den Corona-Maßnahmen besonders betroffen.
  • hochgeladen von Jens Steinmann

Die Impfungen gegen das Coronavirus schreiten voran. Immer mehr Ältere und Risikopatienten haben bereits ihre zweite Impfung erhalten und bekommen somit einen Teil ihrer Freiheiten zurück. Sie können sich wieder mit anderen treffen und ebenso problemlos wie sorglos in den Urlaub fahren. Es geht also wieder in Richtung „Normalität“. Doch Moment mal...war da nicht noch jemand?

Richtig - was ist mit den ganzen Kindern und Jugendlichen, die seit gut einem Jahr solidarisch auf alles verzichten um ältere Menschen zu schützen und nur davon träumen können, wieder normal zur Schule gehen zu dürfen, ganz zu schweigen davon, sich mit Freunden zu treffen.

Die jungen Menschen unserer Gesellschaft sind wohl die Gruppe, die mit am härtesten von den Corona-Regeln betroffen waren und auch immer noch sind. Die meisten Schulen waren nicht für den Distanzunterricht ausgestattet, als es am 13.03.2020 hieß: „Die Schulen werden zur Eindämmung des Coronavirus geschlossen“. Darüber hinaus bedeutete es keine Freunde mehr treffen, kein Vereinssport und kein Präsenzunterricht mehr. Die Kinder mussten sich den Stoff zu Hause größtenteils selber erarbeiten, da es während des ersten Lockdowns in den meisten Schulen noch kein technisches Material für Videokonferenzen gab. Die Aufgaben und das Unterrichtsmaterial wurden also per Mail zugeschickt. Lehrer und Eltern waren bemüht zu helfen, doch die Lehrer standen vor dem Problem, dass sie hunderten von Schülern nacheinander die Fragen beantworten und das abgegebene Material kontrollieren mussten. Die Eltern hingegen mussten oft selber arbeiten gehen oder waren im Homeoffice und konnten den Kindern teilweise gar nicht bei dem Schulstoff helfen. Die Schüler waren daher also größtenteils auf sich alleine gestellt. Als es nach den Sommerferien wieder losging und man sich nach sechs Monaten das erste Mal wieder sah, war die Freude der Schüler natürlich groß. Allerdings nahmen sie im Präsenzunterricht nicht weniger Strapazen auf sich als im “Homeschooling“. Bei mitunter 35°C saßen die Schüler also mit Maske bis in den Nachmittag in der Schule. Als es schließlich kälter wurde wendete sich die Situation auch nicht gerade zum Positive. Die Fenster mussten wegen der Durchlüftungsvorschriften weit auf sein, egal wie kalt es draußen war. Die Schüler saßen teils mit Schal, Mütze, Handschuhen und Skiunterwäsche im Unterricht und kamen nach Schulschluss durchgefroren nach Hause. Die Lehrer brachten ihren Kursen in den Klausuren heißen Tee, damit sie sich die Finger wärmen konnten und diese nicht vollständig beim Schreiben durch die Kälte verkrampften. Im Sportunterricht wurde mit Maske Badminton gespielt, um die Sportabiturienten wenigstens einigermaßen auf ihre Abituprüfung vorzubereiten. Wie angenehm das ist, kann man sich wahrscheinlich vorstellen.

Als es im neuen Jahr wieder in den Distanzunterricht ging, gab es endlich auch Videokonferenzen. Leider konnten auf Grund von überlasteten Servern und zusammenbrechenden Portalen, die sogar teilweise von der Bundesregierung für das Homeschooling entwickelt wurden, manche Unterrichtsstunden nicht stattfinden. Die Kinder hatten bereits immense Lücken im Lernstoff, die man in den nächsten Jahren aufarbeiten muss und dann gab es ja auch noch einen Jahrgang, der das Abitur 2021 bestehen musste, trotz monatelangem Unterrichtsausfall.

All dies haben Kinder und Jugendliche getan, da es für sie ein Zeichen des Zusammenhaltes der Gesellschaft ist, sich solidarisch zu verhalten und somit war es für sie das Selbstverständlichste auf der Welt, ihr Leben auf Eis zu legen und all diese Strapazen auf sich zu nehmen, um Ältere zu schützen.
Die Abschlussklassen verzichteten auf ihre Abschlussfahrt, konnten sich von den meisten Kursen und Lehrern nicht richtig verabschieden, da die Schulen plötzlich wieder geschlossen wurden und sie werden keinen Abiball haben. Jüngere Kinder lernen das Lesen nicht richtig sowie weitere wichtige Grundlagen, die ihnen fehlen. Sie treffen sich nicht mehr mit Freunden wodurch sie den sozialen Umgang mit Anderen nicht lernen. Viele haben keine Möglichkeit schwimmen zu lernen und ein Vereinspsport ist auch nicht möglich. Hinzu kommt es zu mehr häuslicher Gewalt, die nun noch weniger auffällt als vorher.

Das alles wurde aus Solidarität gemacht - für Ältere, für Risikopatienten. Nun bei den Schutzimpfungen gegen Corona stehen junge Menschen erneut ganz hinten auf der Liste, denn auch hier ist es für sie selbstverständlich andere, die den Schutz dringender benötigen als sie vorzulassen. Nun aber fordern Geimpfte ihre Freiheiten zurück und hatten damit auch teilweise Erfolg. Die Solidarität und das Opfer, das Kinder und Jugendliche seit gut einem Jahr, hauptsächlich um andere zu schützen, erbringen, wird weder gesehen noch wertgeschätzt. Nur die Wenigstens denken daran, dass sie nur deshalb eine Impfung haben, weil Andere zurückstehen und ihr Leben weiterhin auf Eis legen. Wo ist also die Solidarität derjenigen, die jetzt geimpft sind? Warum nehmen die Älteren nun nicht ebenfalls Rücksicht auf die, die das gleiche für sie seit gut einem Jahr tun? Indem Geimpfte Lockerungen erhalten, die junge Menschen in den nächsten Monaten nicht erreichen können, wird gezeigt, dass das Opfer und die Solidarität der Kinder und Jugendlichen, welches sie seit über einem Jahr gerne bringen, nicht gesehen, geschweige denn wertgeschätzt wird. Genauso selbstverständlich wie es für die Jugendlichen war und auch immer noch ist, für Ältere ihr Leben auf Eis zu legen, ist es für viele Menschen selbstverständlich, dass junge Menschen genau dies tun. Dieser Eindruck wird auch dadurch gestützt, dass die meisten Älteren lieber mRNA Impfstoffe nehmen, statt die für über 60-jährige empfohlene Vektorimpfstoffe. mRNA Impfstoffe wären die einzige Chance für junge Menschen, sich gefahrlos impfen zu lassen. Aber auch hier kann die vergessene Generation ruhig zurückstehen. Mit kleinen Gesten wie der, für junge Menschen auf einen mRNA Impfstoff zu verzichten, könnte man ihnen zeigen, dass man ihren Einsatz in der Pandemie zu schätzen weiß. Indem man aber in den Urlaub fährt, Vektorimpfstoffe verweigert und sich darüber aufregt, dass man sich als Geimpfter überhaupt noch an die Coronaregeln halten muss, symbolisiert man leider das genaue Gegenteil.

Was wäre also, wenn sich die Gesellschaft wirklich solidarisch verhalten würde? Was wäre, wenn man als Geimpfter daran denkt, dass es Leute gibt, die diese Impfung noch nicht haben und ihre Freiheiten noch nicht zurückerlangen können, da sie zum Schutz anderer hinten anstehen? Was wäre, wenn Ältere Vektorimpfstoffe nehmen würden, damit Kinder wieder zur Schule gehen können und junge Menschen Aussicht darauf haben, die Freiheiten zurückzubekommen, auf die sie seit gut einem Jahr für diejenigen verzichten, die sie nun durch eine Impfung bereits wieder haben? Was wäre, wenn man dieser „vergessenen Generation“ Beachtung schenken würde?

Dann würde man den Kindern und Jugendlichen zeigen, dass man dankbar ist für alles, was sie im letzten Jahr auf sich genommen haben, dass man sieht, auf was sie alles aus Solidarität verzichtet haben. Dann würde man die jungen Menschen für all dies belohnen, statt sie zu bestrafen. Dann würde man der „vergessenen Generation“ das „Danke“ geben, welches sie sich mehr als verdient haben und schon längst überfällig ist.

Autor:

Jana Matejka aus Dinslaken

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