Rechte Gewalt: Dortmund beklagt fünftes Opfer

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Eine neue Dimension rechter Gewalt zeichnet sich bei der Klärung der Migranten-Morde ab, die auch in Dortmund einem Familienvater das Leben kosteten. 13 Jahre lang blieben die mutmaßlichen Täter, bei denen die Polizei in Jena die Tatwaffe fand, unbehelligt. Über Jahre konnten die rechtsextremen Thüringer bundesweit brutale Morde in Kiosken und Döner-Imbissen verüben. Im April 2006 wird an der Mallinckrodtstraße Mehmet Kubasik erschossen, als achtes von neun Opfern. Nach drei Polizisten und dem Punker Schmuddel 2005 ist er das fünfte Dortmunder Todesopfer rechtsextremer Gewalt. Auch ohne Bekennerschreiben sprechen Experten in diesem Fall von rechtem Terror, da über Jahre in ganz Deutschland Migranten in Angst und Schrecken versetzt wurden. Für die Bundeskanzlerin ist die, nun erst als Licht kommende, rechtsextreme Mordserie eine Schande für Deutschland. Angesichts der Details, die jetzt im Zusammenhang mit den Verbrechen einer Neonazi-Gruppe aus Thüringen ans Tageslicht kommen, fragt der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus: „Wie genau sehen die Verbindungen der Thüringer Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ nach Dortmund aus?“

Der Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus stellt mit großer Besorgnis fest, dass erneut die Stadt Dortmund in den Fokus neonazistischer Gewalt geraten ist. Nach der Ermordung dreier Polizeibeamter im Jahr 2000 und des Punkers Thomas Schulz („Schmuddel“) 2005 ist der 2006 erschossene Kioskbesitzer Mehmet Kubasik bereits das fünfte Todesopfer rechtsextremistischer Gewalt in unserer Stadt.
Der Arbeitskreis, in dem 18 Dortmunder Großorganisationen – darunter Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Hochschul- und Jugendgruppen – zusammenarbeiten, fordert vor diesem Hintergrund Politiker, Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutzämter auf, nicht mehr nur von „Einzeltätern“ zu sprechen.
„Es gilt vielmehr anzuerkennen, dass es im rechtsextremistisch-neonazistischen Spektrum längst Strukturen gibt, die die Bezeichnung „terroristische Vereinigung“ im Sinne von § 129 a StGB verdienen“, so die Sprecher Friedrich Stiller und Ralf Beltermann.
Der Zusammenschluss erwartet, dass nach den Erkenntnissen aus den jüngsten Vorfällen in Jena, Zwickau und Eisenach verstärkt untersucht wird, ob es in der Vorbereitung des Mordes an Mehmet Kubasik Verbindungen zwischen den mutmaßlichen Tätern Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe und der Dortmunder Neonazi-Szene gegeben hat.
Gab es logistische Unterstützung, wenn nicht gar eine Tatbeteiligung durch hiesige Rechtsextremisten? - Diese Frage will der Arbeitskreis geklärt wissen.
Zudem gibt es weitere konkrete Hinweise, die auf eine Vernetzung Dortmunder Neonazis im deutschen und europäischen rechtsterroristischen Spektrum hinweisen:
Seit Jahren existieren enge Kontakte zwischen „Autonomen Nationalisten“ in Dortmund und rechtsextremistischen Gruppierungen in den östlichen Bundesländern, wie sich an den zahlreichen gemeinsam durchgeführten Aufmärschen wie zuletzt am 3. September in Dortmund nachweisen lässt. Schon jetzt scheint aber erwiesen zu sein, dass die Gruppe Mundlos-Böhnhardt-Zschäpe lange Zeit von Neonazis in Thüringen unterstützt wurde.
Für die Vermutung, dass Angehörige der Dortmunder Neonazi-Szene im organisierten Rechtsterrorismus aktiv sein könnten, spricht nicht zuletzt dies:
Als im Juli 2011 der norwegische Terrorist Anders Behring Breivik seinen Massenmord plante, verschickte er per E-Mail sein „Manifest“ weltweit an Personen und Gruppierungen, von denen er sicher war, sie zu seinen Unterstützern und Sympathisanten zählen zu können.
Einer der wenigen deutschen Adressaten war der „Nationale Widerstand Dortmund“.
Der Arbeitskreis wiederholt vor diesem Hintergrund folgende Fragen an die für die Strafverfolgung politisch und juristisch Verantwortlichen:
• Was wissen die Ermittlungsbehörden über die Mitgliedschaft Dortmunder Neonazis im internationalen Netzwerk gewaltbereiter Rechtsextremisten?
• Liegen den Ermittlungsbehörden Erkenntnisse über rechtsextremistische Gewaltbereitschaft in Dortmund vor, die auch vor Attentaten nicht zurückschreckt?
• Wird auch in Richtung eines möglichen Rechtsterrorismus ermittelt?

Der Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus erwartet von den Strafverfolgungsbehörden dringend eine Einbeziehung der Dortmunder Neonazis in die Untersuchung des jetzt offenkundig gewordenen Rechtsterrorismus in Deutschland.
. „Wer jetzt erst aufschreckt über das Ausmaß rechtsextremer Gewalt, hatte nie den Durchblick“ urteilt die Vorsitzende der DGB-Region
Dortmund-Hellweg, Jutta Reiter.
„Wir stellen seit Jahren massiv zunehmende gewalttätige Übergriffe von Rechtsextremisten auf Andersdenkende fest. In den neuen Bundesländern haben sie Dörfer und Ortschaften fest im Griff, in den alten Bundesländern werden, wie in Dortmund-Dorstfeld, einzelne Stadtteile terrorisiert. Diese Übergriffe sind keine spontanen Prügeleien, sondern sie sind politisch motivierte Gewalt. Diese Gewalt wird durch rechte Ideologie angeheizt und systematisch organisiert. Demokratische Organisationen, die diese Entwicklungen seit langem beklagten, wurden als hysterisch abgetan. Doch es scheint die Frage heute mehr als berechtigt, ob staatliche Institutionen auf dem rechten Auge blind sind.“
Seit der Wiedervereinigung 1990 wurden 137 Menschen in Deutschland Todesopfer rechter gewalttätiger Übergriffe, so der DGB. Die Feinde der Verfassung sind offensichtlich mehr im Inneren als außerhalb des Landes zu suchen. Der DGB und seine Gewerkschaften fordern ein Verbot aller rechtsextremistischen Organisationen.
„Nirgendwo dürfen die Parolen der Rechtsextremen übergangen oder verharmlost werden. Politik muss die Polizei und den Verfassungsschutz anweisen, alle möglichen Rechtsmittel gegen die Feinde der Demokratie auszuschöpfen“, so Reiter.

An der Veranstaltung am Volkstrauertag nehmen Vertreter der Stadt, Soldaten und Mitglieder des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. teil, um „Millionen Kindern, Frauen und Männern, die durch Kriegshandlungen, Terrorismus, Rassismus oder Vertreibung ihr Leben verloren haben”, so Bürgermeisterin Birgit Jörder, zu gedenken.
In diesem Jahr verlief die Gedenkfeier allerdings etwas anders: Mit Mitgliedern des „Nationalen Widerstand Dortmund” hatten sich auch Neonazis eingefunden.
Das an solchen Veranstaltungen Neonazis teilnehmen, überrascht die Aktivisten vom Dortmunder Antifa-Bündnis (DAB) nicht. Die Sprecherin Hannah Piehl dazu: „Neo-nazis nehmen anders als die meisten bürgerlichen „Trauernden” einen positiven Bezug auf die Mörder aus der Vergangenheit. Mit Uniformierten, die mit Waffen vor martialischen Kriegsdenkmälern Wache stehen, können sich offenbar beide Seiten identifizieren. Was uns allerdings überrascht ist die Tatsache, dass selbst die anwesenden Mitarbeiter der Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie die Teilnahme von Neonazis nicht unterbinden konnten.“
Bereits am Vorabend der Gedenkfeier hatten die Neonazis gezeigt, wie sie sich ein Gedenken an deutsche Tote vorstellen: Mit Fackeln zogen sie an der Syburg vor zwei Denkmälern auf und sangen Lieder der SS. „Das es den Dortmunder Nazis trotz allen Sonntagsreden immer noch möglich ist, an solchen offiziellen Terminen teilzunehmen zeigt, wie wenig Taten hinter den Worten der Stadtpolitik stehen. Die Wachsoldaten der Bundeswehr wegtreten zu lassen um nicht auf einem Foto mit Neonazis zu erscheinen ist eine hilflose Geste,” meint Piehl.
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Autor:

Antje Geiß aus Dortmund-City

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