Mit fünf Euro am Flughafen abgesetzt

Der junge Mann soll möglichst nicht zu erkennen sein, so der Wunsch seines betreuenden Vormunds. Die Anonymität dient vor allem seiner Sicherheit. | Foto: Schmitz
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Viel Gepäck haben sie nicht, die unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge, die aus den Krisengebieten nach Europa kommen. Sie werden von der Familie in Sicherheit gebracht oder mit Hilfe von Schleppern, die sich ihre illegale Arbeit teuer bezahlen lassen.

Bis zu 17.000 Euro soll es Experten zufolge kosten, wenn die Schlepper junge Männer und zunehmend auch Mädchen mit einem falschen Pass versorgen und per Flugzeug in Sicherheit bringen. Sie kommen aus den Krisengebieten dieser Welt, die in letzter Zeit nicht weniger geworden sind: Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien, Mali.

Das afrikanische Mali war einmal die Vorzeigedemokratie Afrikas, doch seit einem Putsch 2012 herrscht Unruhe im Land. Im April 2012 brachten Islamisten den Norden des Landes unter ihre Kontrolle, führten die Scharia ein. Das Gebiet um die Sahelzone ist dünn besiedelt, Tuareg leben dort, die mit den Islamisten gemeinsame Sache machten. Seitdem gibt es Berichte über Steinigungen und über sexuelle Gewalt gegen Frauen. Ende 2012 gab es die ersten Berichte in den Tageszeitungen, in Dezember konnte man lesen, dass die Islamisten zusätzlich zum Verbot von Tanz und Musik auch polyphone Klingeltöne auf Handys verboten hatten. Anfang 2013 intervenierten französische Soldaten in der ehemaligen Kolonie, eroberten die Stadt Timbuktu und große Flächen des Nordens zurück. Wie es dort weitergeht, kann zur Zeit niemand sagen.

Aus Mali kommt ein junger Mann, der nun in Dortmund vorerst eine neue Heimat gefunden hat. Er hat sich für das heutige Gespräch extra gut angezogen: Stoffhose, ein weißes Hemd, eine schicke rote Krawatte.
Seit sieben Monaten ist er hier, und wie die anderen Flüchtlinge hat er nicht viel Gepäck gehabt.

Was er an Bürde mit sich herumschleppt, belastet seinen Kopf und seine Seele vielleicht sein Leben lang. 17 Jahre ist Jones alt, und nun ganz allein auf der Welt, eine Familie hat er nicht mehr. Mit seiner Mutter, einer Christin, hat er fast sein ganzes Leben in Ghana verbracht. Mit drei Jahren war die Mutter wieder zurück in ihre Heimat gegangen, vorher hatte sie mit ihrem muslimischen Mann in Mali, in der Stadt Gao im Nordosten gelebt.

Durch eine Flutkatastrophe in Ghana verloren Mutter und Sohn den kleinen Laden, ihre geschäftliche Existenz. Die Mutter fällte den Entschluss, zurück nach Mali zu gehen, zu Jones Vater. Das war im April 2012, also genau zu dem Zeitpunkt, als in Mali die Unruhen begannen. Die Landessprache Französisch beherrschte Jones nicht, das Land war ihm fremd. Nach etwa zwei Wochen war Jones mit einem Freund in der Stadt unterwegs. Als er nachts nach Hause kommt, ist das Haus abgebrannt, die Eltern tot. Jones erzählt die Geschichte leise, in knappen Worten. Bei der Nachfrage „War das ein Unfall, das Feuer?“ schüttelt er den Kopf. „Jemand hat das Haus angezündet?“ - er nickt. „Warum?“ „Meine Vater war Moslem, meine Mutter Christin“. Hat er selbst Diskriminierung erfahren? - schließlich ist er von seiner Mutter christlich erzogen worden, betrachtet sich selbst als Christen. „Da sind Leute in der Stadt herumgefahren und haben gefragt, wie man heißt, ob man Moslem ist.“ - der Name Jones wäre möglicherweise gefährlich geworden, also hat der junge Mann gesagt „Mohammed“.

Verwandte und Geschwister hatte Jones in Mali nicht, die Großmutter mütterlicherseits in Ghana hatte angesichts der unerwünschten Ehe den Kontakt abgebrochen. Jones hatte weder einen Pass noch Geld, Für einige Wochen kam er bei einem Freund seines Vaters in der Hauptstadt Bamako unter. „Aber das Mann hatte drei Frauen und 18 oder 20 Kinder, auf Dauer konnte ich dort nicht bleiben.“

Im Juni fällt der Freund des Vaters schließlich die Entscheidung: „Du gehst nach Europa.“ Ein anderer Freund des Vaters besorgt einen falschen Pass, setzt sich mit Jones in ein Flugzeug. Zielflughafen: Düsseldorf. Die Erwachsenen sagten ihm: „Du bist jetzt ein Mann, du musst für dein Leben kämpfen.“ Der Begleiter aus Mali setzte ihn am Flughafen ab. Das war am 13. Juni 2012, das Datum weiß Jones auswendig. „Ich wusste gar nicht, wo ich bin, von Deutschland hatte ich noch nie etwas gehört.“ Fünf Euro hatte Jones in der Tasche, „ein Mann am Flughafen hat mir dann gesagt „You have to seek for Asylum“, aber ich wusste gar nicht, was das ist. Ich bin in irgendeine U-Bahn eingestiegen, aber ich war ganz verloren.“ Passanten helfen ihm, setzten ihn in die richtige U-Bahn. Die Behörden in Düsseldorf schicken ihn weiter nach Dortmund, denn dort gibt es eine Clearingstelle für jugendliche Flüchtlinge, eine Einrichtung in mehreren Bundesländern. Vom 14. bis zum 18. Juni bleibt Jones in der Erstaufnahme in Hacheney, muss Formulare ausfüllen, wird ärztlich untersucht. Dann kommt er in das Clearinghaus der AWO.

Bei der Auslandsgesellschaft lernt Jones nun seit sieben Monaten Deutsch und kann sich schon gut verständigen. Bei komplizierten Sachverhalten fällt er ins Englische, manche Wörter fehlen ihm auf Deutsch noch. Wie es mit seinem Asylverfahren weitergehen wird, das weiß Jones noch nicht. Oft werden die unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge nur so lange in Deutschland geduldet, bis sie 18 Jahre alt sind. Arbeiten, zur Schule gehen oder einen Beruf erlernen dürfen sie hier oft nicht. Ein Vormund und ein Betreuer kümmern sich um die rechtlichen Fragen, auch bei Jones. Mittlerweile hat er eine eigene kleine Wohnung, doch wie viele Flüchtlinge lebt er in einer Art luftleerem Raum, solange der Status in Deutschland ungeklärt ist.

Jones würde gerne weiter zur Schule gehen, einen Beruf lernen, vielleicht eine Ausbildung als Automechaniker machen. Er möchte in Deutschland bleiben. Was in Mali passiert, das verfolgt er im Fernsehen, zum Beispiel bei CNN: „Dort wurde berichtet, dass eine Frau mit zwei kleinen Kindern gesteinigt worden ist“, erzählt er mit leiser Stimme. „Die Flucht hat mir das Leben gerettet, das war das Wichtigste“, sagt er zum Abschluss. Sein erstes Weihnachtsfest in Sicherheit hat er schon gefeiert, jetzt freut sich Jones auf Ostern.

Hintergrundinfo:
Der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge geht davon aus, dass im Jahr 2011 über 3.700 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland von Jugendämtern erstversorgt wurden. Damit ist die Zahl der neu eingereisten jungen Flüchtlinge erstmals seit 2006 gegenüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen. Allerdings liegen nur aus den Bundesländern Berlin (275), Bremen (47), Hamburg (414), Hessen (631), Rheinland-Pfalz (168) und dem Saarland (216) zuverlässige Daten vor. Für Mecklenburg-Vorpommern (13), Sachsen (94), Schleswig-Holstein (453) und Thüringen (16) wurde auf die Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe des Statistischen Bundesamtes zurückgegriffen, die jedoch vielfach fehlerhaft sind. Für Baden-Württemberg (gegenwärtig 179 erfasste UMJF), Bayern (490), Brandenburg (70), Niedersachsen (98), Nordrhein-Westfalen (543) und Sachsen-Anhalt (24) fehlen noch wesentliche Daten aus Kommunen, die in der Vergangenheit Aufnahmen von UMF hatten. Deswegen liegt die tatsächliche Zahl der Kontakte mit UMF im Jahr 2011 deutlich höher als die bislang dokumentierten 3.731. Quelle: Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband Bayern e.V.

In Dortmund kann man von der Aufnahme von rund 600 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen jährlich ausgehen.

Der junge Mann soll möglichst nicht zu erkennen sein, so der Wunsch seines betreuenden Vormunds. Die Anonymität dient vor allem seiner Sicherheit. | Foto: Schmitz
Weißes Hemd, rote Krawatte: Gute Kleidung ist wichtig, ob in der Kirche oder zu einem Interview-termin | Foto: Schmitz
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