„Ich ging in die Küche und da saß Nelson Mandela“

Beeindruckt von der Lebensgeschichte der Besucherin waren die Studierenden im Westfalenkolleg. | Foto: Schmitz
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Vor fast 80 Jahren flieht sie mit ihren Eltern aus Hitlerdeutschland, kämpft in Südafrika gegen die Apartheid und wird für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Jetzt berichtete die Journalistin Ruth Weiss von ihrem bewegten Leben im Westfalenkolleg.

1948:Die junge deutsche Waise Sara, aufgeschlossen und blond, kommt aus dem zerbombten Deutschland nach Südafrika und wird mit offenen Armen von ihrer neuen Familie, sehr angesehenen Buren, aufgenommen. Als aber ihre Papiere mit Verspätung eintreffen und sie als Jüdin ausweisen, entzieht das Familienoberhaupt ihr die Zuneigung, ohne dass Sara den Grund erfährt. Doch sie lässt sich nicht unterkriegen und aus dem Gefühl des Ausgegrenztseins entsteht eine Sensibilität für die Ungerechtigkeiten der Apartheid und Sara wird zu einer Anwältin der schwarzen Sache.

Alles nur erfunden? Nein!

Denn dies ist die Handlung eines Romans („Meine Schwester Sara“) der Autorin und Journalistin Ruth Weiss, deren Lebensweg zwar nicht als Vorlage für den Roman gelten darf, aber erklärt, woher die Einsicht in Parallelen zwischen der Gedankenwelt des NS-Antisemitismus und der des Apartheidregimes rührt und wieso Ruth Weiss zu einer Aktivistin gegen Rassismus wurde. Als Kind jüdischer Eltern hatte sie bereits zu Beginn ihrer Schulzeit in Deutschland Diskriminierungen erfahren und im südafrikanischen Exil erlebte sie seit 1936, wie sehr die schwarze Bevölkerung politisch, wirtschaftlich und sozial ausgegrenzt und ausgebeutet wurde.
In ihrem weiteren Leben, das für die damalige Zeit nur auf den ersten Blick konventionell war, entschied sie sich nie für den Weg des geringsten Widerstandes.

Scheute sich nicht Stellung zu beziehen

Sie wurde Journalistin und ließ sich von einem dominanten Ehemann scheiden und zog ihren Sohn allein auf. Vor allem scheute sie sich nicht politisch gegen Apartheid Stellung zu beziehen, was ihr die Ausweisung aus Südafrika eintrug. Doch wo immer sie lebte, hat die nie die afrikanische Sache aus den Augen verloren. Ihr Kontakt zu Vertretern der Anti-Apartheidsbewegung und des afrikanischen Freiheitskampfes, ihre unzähligen Interviews und Artikel zu diesem Thema machen sie zu einer ausgewiesenen Afrikakennerin.

Kämpferin für Toleranz

Dass diese Kämpferin für Toleranz, deren einzige Waffen die Tasten der Schreibmaschine und das Mikrofon waren und sind, 2014 das Bundesverdienstkreuz erhielt, kommentiert sie selbst, die ihren Alters(un)ruhesitz in Lüdinghausen genommen hat, mit den Worten: „Das ist nicht mehr das Deutschland, das ich verlassen habe.“ Auch deswegen hat es sich die Pensionärin zur Aufgabe gemacht, in möglichst viele Schulen zu gehen und aus ihrem Leben zu erzählen.
Jetzt, am israelischen Nationalfeiertag zum Gedenken an die Opfer des Holocausts, sprach Ruth Weiss vor 250 Studierenden des Westfalen-Kollegs.

Auch Ruth Weiss wurde gemobbt

Sie erzählte von Mobbing-Erfahrungen als Schülerin im NS-Deutschland und der blitzartigen Ausbreitung des Antisemitismus in ihrer Heimat und über ihre Ankunft in Afrika, bei der sie lernte, dass weiße Kinder schwarze Babys nicht berühren dürften, bis hin zu ihren Exilerfahrungen. Die Studenten fragten nach ihrer Bekanntschaft mit Nelson Mandela, die sie bescheiden kommentierte. Sie wollten auch wissen, wie denn ihre Eltern mit der doppelten Erfahrung eines Unrechtsregimes umgegangen seien.

Neugierig auf neue Kultur

Ruth Weiss berichtete von ihrem Vater und ihrer Mutter, die Südafrika nie richtig als ihre Heimat akzeptiert hätten. Sie selbst sei sehr neugierig auf die afrikanische Kultur gewesen, habe dann aber feststellen müssen, dass diese Kultur in Südafrika eher ghettoisiert war und der Alltag britisch-burisch dominiert wurde. Selbst ärmere weiße Familien hätten damals schwarze Hausangestellte gehabt, die über keinerlei Bürgerrechte verfügten. So konnte sie als 10-Jährige, für ihre Haushälterin einen Passagierschein für deren Township ausstellen.

Ungerechtigkeit erschwerte Heimatsuche

Alle diese Ungerechtigkeiten, die Verhaftungen der Schwarzen, deren Anrede als „boy“oder „girl“, habe es ihr schwer gemacht in Südafrika eine Heimat zu finden.
Dafür, dass Ruth Weiss auch das Westfalen-Kolleg an ihren Erfahrungen eines lebenslangen, couragierten Kampfes gegen den Rassismus teilhaben ließ, waren am Ende dieser besondern Geschichtsstunde alle Anwesenden dankbar.

Autor:

Antje Geiß aus Dortmund-City

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