Der Teddy

Da sitzt er auf dem Sofa, nackt und schutzlos, und bereits mehrfach geflickt, und wartet auf die neuen Kleider, die eine Bekannte ihm nähen wollte, nachdem ihm die alten schon fast vom Leibe fielen. Aber obwohl sonst kaum etwas vor den Attacken von Franzi und Kira, den beiden Hauskatzen, sicher ist, wenn die beiden aufdrehen, bleibt er verschont, der alte Teddy. Als ahnten sie, daß er etwas ganz Besonderes ist.

Einst hatte ihn in der Nachkriegszeit, als es kein Spielzeug zu kaufen gab, eine Nachbarin aus Wollresten für meinen damals vierjährigen Onkel Karlheinz genäht. Er überstand die Flucht in den Westen, die ersten Wochen im Auffanglager für Zonenflüchtlinge, und zog schließlich in Karlheinz’ Kinderzimmer in der Wohnung in Helmstedt, der ihn dann auch in seine erste eigene Wohnung mitnahm.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich ihn als kleines Mädchen dort entdeckte, oder ob Karlheinz ihn aus einer Kiste mit alten Spielzeug hervorkramte und mir schenkte, aber das ist auch nicht wichtig. Auf jeden Fall war er von da an in meinem Besitz.

Ich hatte, was das Spielzeug anging, eine Lego-, eine Eisenbahn- und eine Barbiepuppenphase und das jeweils nicht aktuelle schlummerte unbeachtet in irgendeiner Zimmerecke, aber mein Teddy überstand sie alle.

Auch änderte sich ständig, welcher Teddy und welches Kuscheltier aus meinem Steiftierzoo zum Schutz vor Albträumen und bösen Geistern bei mir schlafen durfte, der „Karlheinz-Teddy“ war jedoch immer dabei.

Als ich elf Jahre alt war, verstarb Karlheinz, an dem ich sehr hing, an den Folgen eines Verkehrsunfalls.

Ich war jetzt nicht mehr unbedingt im Kuscheltier-Alter, aber der Teddy war ein Erinnerungsstück an ihn und wurde auch behalten, als ich als Teenager die meisten meiner Puppen, Teddys und sonstigen Kuscheltieren an bedüftige Kinder verschenkte.

Er machte einige Umzüge mit und lebt immer noch, erinnert mich an meine Kindheit und auch an die Jahre vor meiner Zeit, als die Menschen improvisieren mußten, weil sie nichts hatten und das Wenige, was sie besaßen, noch mit anderen teilten.

Autor:

Astrid Günther aus Duisburg

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