Mancher schüttet uns sein Herz aus - Die Yacht Gottes ist „ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“

Schifferpastor Frank Wessel verabschiedet seine schwimmende Kirche zu einer Bescherungstour durch den Duisburger Hafen.             Fotos: Reiner Terhorst
6Bilder
  • Schifferpastor Frank Wessel verabschiedet seine schwimmende Kirche zu einer Bescherungstour durch den Duisburger Hafen. Fotos: Reiner Terhorst
  • hochgeladen von Reiner Terhorst

Es ist noch früh am Morgen, fast noch dunkel im Ruhrorter Hafen. Es ist Sonntag, 3. Advent. Der Bläserkreis Duisburg-Nord ertönt an Bord der Johann Hinrich Wichern das „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“ Schifferpastor Frank Wessel friert, der Berichterstatter ebenfalls. Dick eingepackt, winken wir am Steiger Schifferbörse noch dem davonfahrenden Schiff zu.

Trotz der nassen Kälte ist es uns irgendwie „warm ums Herz“, durch den Ruhrorter Hafen weht ein „feierlicher Wind“. Wir hören noch, wie auf einem anderen Schiff ein Mann laut ruft: „Da ist ja die Yacht Gottes unterwegs.“ Manchmal, so erzählt Frank Wessel, „sehen wir einen Schiffer zwei- oder dreimal in der Woche und dann wieder zwei Jahre nicht.“ Binnenschiffer sind halt ständig unterwegs, die Liegezeiten sind im Laufe der Jahre immer kürzer geworden.

"Ich bin mit Rheinwasser getauft"

Trotzdem kennt er sie fast alle, nicht selten gibt es ein freundliches Hallo, denn der aus Monheim am Rhein stammende Seelsorger („Ich bin mit Rheinwasser getauft“) ist schon seit fast 25 Jahren auf und mit dem Kirchenschiff unterwegs. Die Johann Hinrich Wichern ist „seine“ schwimmende Kirche. Der Schifferpastor ist da, wo die Schiffer sind, und die freuen sich ihrerseits auf seinen Besuch. Bei unserer Stippvisite allerdings nimmt er sich Zeit für uns und überlässt die Bescherungstour Pfarrer im Ruhestand Dietger Lerch, der das Kirchenlied „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“, mit Leben füllt.

„Wenn wir ein Schiff anfahren, gibt es ganz unterschiedliche Reaktionen, mal werden wir freudig empfangen, mal regt sich gar nichts, obwohl wir wissen, dass jemand an Bord ist. Oft sehen wir, wie sich kleine Kinder an den Scheiben die Nase platt drücken“, so Wessel. Er berichtet zudem von langen, intensiven Gesprächen, die es auch gibt: „Die Schiffer schütten ihr Herz aus.“

Menschen aus vielen Nationen

Zu seinem Team gehören noch die Diplom-Sozialpädagogin Gitta Samko, die Schiffsführer Hans Debrassine und Reinhard Kluge sowie zurzeit der „Bundesfreiwilligen-Dienstler“ Carlo Reinhartz. Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit tut sein besonders Besuch gut, weiß der Seelsorger im Fluss und auf dem Fluss. Seit einigen Jahren ist es zudem schon Tradition, dass der Pastor kleine Geschenke erteilt. Wessel: Die Treffen dauern manchmal nur ein paar Minuten. „Aber manchmal nutzen die Menschen aller Nationen auf den Frachtschiffen unsere Besuche eben auch für ein längeres Gespräch.“ Genau das, nämlich die Seelsorge, ist die Hauptaufgabe des Kirchenschiffs und seiner Besatzung. Die Binnenschiffer sagen dann: „Wenn das Kirchenschiff kommt, dann merken wir, dass wir nicht vergessen sind.“

Brücken zwischen Land und Wasser

Die Johann Hinrich Wichern ist jetzt außer Sichtweite. Wir machen uns von der Schifferbörse auf den Weg zu den nahegelegenen Räumen der Seemannsmission. In manchen Straßen des Schiffer- und Hafenstadtteils Ruhrort haben sogar die Laternen Nikolausmützen aufgezogen bekommen: „St. Niklas war ein Seemann.“ Unwillkürlich fällt einem dieses alte Seemanns-Weihnachtslied ein. „Hier in unseren Räumen schlagen wir Brücken zwischen Land und Wasser“, sagt Frank Wessel und berichtet on gemütlichen Runden, kleinen oder größeren Weihnachtsfeiern.

Dazu gab und gibt es dann ein leckeres Essen, kleine Spiele, ein Quiz und jede Menge Zeit, die Seele baumeln zu lassen. Erinnerungen an früher werden wach bei den Schiffern und ihren Familien. „Vieles hat sich geändert. Heute packen spätestens am Heiligen Abend die Schiffer ihre Koffer und sind daheim. Das war früher noch anders.“ Die Jungs vom Schulschiff in Homberg haben Ferien und genießen das Weihnachtsfest im Kreis ihrer Lieben. Weihnahten 2018 ist der Hafen voller Schiffe, aber menschenleer.

Alle sind herzlich willkommen

Am heutigen Samstag vor Heiligabend, „The Night before Christmas“, ist an der Dr,-Hammacher-Straße noch einmal Leben in der Bude. Dann gibt es für die noch nicht Abgereisten eine kleine Feier mit Essen und Andacht. „Mal sind es 30 Leute aus aller Herren Länder, mal auch nur drei. Wir wissen nicht, wer kommt“, sagt Frank Wessel. Herzlich willkommen sind sie aber alle.

INFO

Der Evangelische Binnenschifferdienst / Deutsche Seemannsmission Duisburg mit Sitz an der Dr.-Hammacher-Straße 10 in Ruhrort begleitet und betreut Binnenschiffer und Seeleute auf den über 700 km Binnenwasserstraßen und in den Häfen im Bereich der Evangelischen Landeskirche im Rheinland.

Die Arbeit der Einrichtung ist offen für Menschen aus allen Ländern dieser Erde, unabhängig von Religion und Konfession. Sie ist konsequent als aufsuchende Arbeit konzipiert und hat ihren Schwerpunkt im Bereich Seelsorge und Beratung sowie Diakonie.

Die Johann Hinrich Wichern ist mehr als ein Schiff, es ist eine schwimmende Kirche mit Taufen, Hochzeiten und Gottesdiensten an Bord. Aufgrund des 700 Flusskilometer umfassenden Gemeindegebietes ist es auch die einzige Kirche, in der man nicht nur beten, sondern auch schlafen kann, soll und muss. Denn auf oft wochenlangen Reisen bleibt der Pastor immer an Bord, auch nachts.

Autor:

Reiner Terhorst aus Duisburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

36 folgen diesem Profil

1 Kommentar

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.