Hilfe ohne hochspezialisierte Medizin
Zeit in Äthiopien prägt ehemalige Chefärzte

4.000 Geburten pro Jahr, tägliche Kaiserschnitte. Die Arbeit des medizinischen Teams ist so wertvoll für die Menschen in der Region. Das Krankenhaus finanziert sich zu einem Großteil allerdings aus Spenden.  | Foto: Schumacher/Trenn
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  • 4.000 Geburten pro Jahr, tägliche Kaiserschnitte. Die Arbeit des medizinischen Teams ist so wertvoll für die Menschen in der Region. Das Krankenhaus finanziert sich zu einem Großteil allerdings aus Spenden.
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Eine völlig neue Erfahrung für Dr. Guido Trenn und Dr. Franz Josef Schumacher. Der eine Internist, Gastroenterologe und Onkologe im Knappschaftskrankenhaus in Bottrop und dort lange Jahre als Chefarzt tätig. Der andere leitete die Chirurgische Klinik im Philippusstift in Essen, war dort zudem ärztlicher Direktor. Seit einigen Monaten sind beide Mediziner im Ruhestand. Im Attat-Hospital in Äthiopien haben sie auf Einladung der Ordensschwester und Gynäkologin Sr. Rita Schiffer ganze neue Eindrücke gewinnen können.

Sr. Rita gehört zu den Missionsärztlichen Schwestern, die an mehreren Stellen in der Welt Hospitäler betreiben. Seit über 25 Jahren leitet sie die Klinik 175 km südwestlich von Addis Abeba mitten auf freiem Feld. Die medizinische Station wurde 1965 von Sr. Inge (88 Jahre) und ihren Mitschwestern gegründet, immer weiter vergrößert und als medizinischer Standort in einem Gebiet etabliert, das ca. 1 Million Menschen umfasst.

Hunderte von Menschen kommen Tag für Tag ins Attat-Hospital

"Täglich kommen hunderte von Menschen zur medizinischen Behandlung in dieses Krankenhaus. Im letzten Jahr gab es 92.000 ambulante Behandlungen, 97 stationäre Betten werden vorgehalten. Hier wird wirklich noch Basismedizin betrieben", so Dr. Franz Josef Schumacher.  "Schwerpunkte der Versorgung betreffen allgemeinmedizinische-internistische, chirurgische und gynäkologische Krankheitsbilder sowie eine große Anzahl an Geburten", ergänzt Dr. Gudio Trenn.

Premiere: Erster Kaiserschnitt in der langen Zeit als Chirurg

Das Krankenhaus umfasst mehrere Gebäude. Alle Gebäude und die dazwischen liegenden Wege sind mit rotem Wellblechdach gedeckt. Während des Aufenthaltes der beiden Mediziner hat es dort  mehrfach massiv geregnet.
„Hier habe ich den ersten Kaiserschnitt in meiner langen Zeit als Chirurg durchgeführt“, erläutert der Chirurg franz Josef Schumacher. „Bei den Operationen musste ich mich von der High-tech-Medizin in Deutschland verabschieden. Laparoskopische Eingriffe mit hochauflösenden Kameras, Einmalmaterialien, feinste Instrumente und Nahtmaterialien gibt es hier nicht. Man nimmt das, was gerade da ist“.

Tageszeitung durch Zoll geschleust

Tücher und Instrumente werden in Zeitungspapier eingewickelt (Foto). Da mit Dampf sterilisiert wird, ist dies ideal, Zeitungspapier lässt den Dampf durch und trocknet schnell. Tücher und Metallcontainer sind Mangelware. „Dazu haben wir die WAZ der letzten Wochen durch den Zoll geschleust“, so die beiden Ärzte. Die Patienten gehen zu Fuß in den OP-Saal, selbst die Schwangeren zum Kaiserschnitt.

Handdesinfektion vor der Operation erfolgt mit Wasser und Seife

Die Händedesinfektion zur Operation erfolgt mit Wasser und Seife, Desinfektionsmittel ist nicht genug vorhanden. Während in deutschen Krankenhäusern die Patienten desinfiziert und mit selbstklebendem Einmalfolien hochsteril abgedeckt werden, benutzen sie hier Stoffreste, die teilweise Löcher aufweisen. Instrumente, Bauchtücher und Nahtmaterial sind ebenfalls Mangelware und werden sehr sparsam eingesetzt.
Manchmal fällt die Stromversorgung aus, dann springt nach einigen Sekunden eines der Notstromaggregate an. Sehr viele gynäkologische und allgemeinchirurgische Operationen werden schnell und mit großem Erfolg durchgeführt. "Wir sahen trotz der eingeschränkten hygienischen und mangelnden apparativen Ausstattung keine postoperativen Infektionen", berichten die Mediziner. Die Narkosen werden von ausgebildeten anästhesiologischen Fachpflegekräften problemlos ausgeführt. Es geht alles Hand in Hand. Da hilft die Raumpflegekraft am Ende der OP beim Umbetten der Patienten mit.

Mehr als 4.000 Geburten im Jahr

Sr. Rita springt vom einen in den anderen OP-Saal und führt in hoher Präzision und Geschwindigkeit eine Vielzahl gynäkologischer Eingriffe durch. Dann geht es wieder in den Kreissaal, wo die schwangeren Patientinnen geduldig auf sie warten. Im Jahr werden mehr als 4.000 Geburten durchgeführt. Täglich gab es mehrere Kaiserschnitte, an den sowohl Dr. Schumacher als auch Dr. Trenn als Internist beteiligt waren.
Die hygienischen Bedingungen auf den Stationen sind nicht mit denen in Deutschland vergleichbar. 10 bis 12 Patienten liegen in den Betten auf einer Station, dazwischen die Angehörigen, die ihre kranken Verwandten rund um die Uhr betreuen und mit Nahrungsmitteln versorgen, die sie draußen zubereitet haben. Privatsphäre und Geschlechtertrennung spielen nur eine geringe Rolle, denn viele leben auch zu Hause in einem Raum in der Hütte zusammen. „Wir begegneten vielen sehr freundlichen und zugewandten Menschen, die ihr Schicksal entgegennehmen, auch wenn die Diagnose noch so schwer ist“, so Dr. Schumacher.

Menschen leben mit ihrem Vieh unter einem Dach zusammen

Die alte Dame, sichtlich vorgealtert, schiebt sich in der Ambulanz mit Hilfe eines Stockes auf den Platz vor dem Arzt. Sie ist unterernährt und hat Mühe Luft zu bekommen. Sie hustet und hält sich dabei schmerzhaft die linke Brustseite. Eine von vielen Patienten mit einer chronischen Lungenerkrankung, die immer wieder zu akuten Entzündungen Anlass gibt.
"Die Erkrankung ist uns so nicht unbekannt, da wir sie in Deutschland meist bei Rauchern kennen - nur hier ist sie nicht immer dem Nikotin geschuldet, sondern den Wohnverhältnissen", berichtet Dr. Gudio Trenn. Die Menschen wohnen in schlecht belüfteten Hütten zusammen mit dem Vieh. In der Mitte befindet sich eine Feuerstelle, auf der gekocht wird. "Der ständige Rauch führt zu einer täglichen Belastung der Lunge mit Nachlassen der Reinigungsfunktionen und langsamer Zerstörung des Lungengerüstes."

Röntgen und Ultraschall müssen Patienten aus eigener Tasche zahlen

Bei Lungenentzündung muss man in diesem Kontext auch an Tuberkulose denken. Malaria, Typhus und Amöbenruhr gehören  zu den häufigen Diagnosen in der Ambulanz. Dabei wendet das medizinische Personal einfache diagnostische Algorithmen an. So wird eine schnelle Diagnose bei den täglich anfallenden vielen Patienten ermöglicht. Das Röntgenbild und die Ultraschalluntersuchung müssen die Patienten selbst bezahlen. Sie nehmen das Röntgenbild mit nach Hause. Die Basismedikamente für Infektionserkrankungen sind vorhanden.
HIV- und Tuberkulose-Medikamente und Impfstoffe werden von der Regierung gestellt. Andere Medikamente wie auch Operationen müssen vom Patienten anteilmäßig bezahlt werden, aber keiner wird wegen Geldmangels weggeschickt.


Pilotprojekt für Versicherungssystem wird im Attat-Hospital getestet

Ein Krankenversicherungssystem existiert flächendeckend nicht. Ein Pilotprojekt dazu wird gerade im Attat-Hospital getestet.
Neben der Ambulanz für allgemeininternistische, HNO-, Zahn-, chirurgischen und gynäkologischen Erkrankungen werden Patienten mit chronischen Beschwerden gesehen. Erst allmählich gelangen auch in Äthiopien Diagnosen wie Herz-, Blutzucker- und Bluthochdruckerkrankungen ins Blickfeld. Das Gesundheitsministerium gibt für die Diagnostik und Therapie Leitlinien vor, die aber erst ansatzweise umgesetzt werden. Moderne Medikamente für diese Patientengruppen stehen noch nicht zur Verfügung. Sie sind schlicht zu teuer.

Insulinversorgung wird zum Problem



Der nächste Patient am heutigen Tag ist ein 15-jähriger abgemagerter Junge, der sich schlecht fühlt, ausgetrocknet erscheint und nicht richtig ansprechbar ist. Er wird von seinen Angehörigen gebracht. Wie alle Patienten erhält er eine krankenhausgenerierte Identifikationsnummer, die er zeitlebens behält und die die händische Archivierung seiner Unterlagen ermöglicht. Die körperliche Untersuchung und die rasch zur Verfügung stehenden Basislaborwerte aus dem krankenhauseigenen Labor ergeben die Diagnose eines diabetischen Komas. Die Zuckererkrankung war bisher bei ihm nicht bekannt.
Aufgrund des Alters handelt es sich um einen sogenannten jugendlichen Diabetes, bei dem die Bauchspeicheldrüse ihre Insulinproduktion in der frühen Jugend einstellt. Dieser Junge ist lebensgefährlich krank und wird auf der internistischen Station aufgenommen.

Angehörige versorgen stationäre Patienten rund um die Uhr

Die dazu erforderlichen Blutzuckerteststreifen sind teuer und werden sparsam benutzt. Dank einer vorhandenen Spende können die stündlich erforderlichen Blutzuckerwerte in dieser Phase der Erkrankung derzeit über einen Hautsensor gemessen werden.
„Bereits jetzt ist klar, dass eine regelmäßige Betreuung mit Schulung und gesicherter Insulinversorgung dieses Patienten in seinem häuslichen Umfeld nach Überstehen der akuten Erkrankungsphase nicht zu leisten ist. Ein komplizierter Verlauf wird folgen, eine deutlich verkürzte Lebenszeit ist bei ihm zu erwarten“, so Dr. Trenn.
Wie in der Chirurgie betreuen auf der internistischen Station auch die Angehörigen die Patienten. Sie schlafen meist auf einer Matte unter oder zwischen den Betten der Patienten und versorgen sie rund um die Uhr. Sie bringen sie zu den erforderlichen Untersuchungen und bringen Essen und für den Aufenthalt notwendige Artikel aus einem der vielen kleinen Geschäfte vor dem Krankenhaus. Dort haben sich viele Händler angesiedelt und bieten ein breites Spektrum an Waren an.

Die Zeit war eine bleibende Erfahrung

„Die Zeit in Äthiopien war für uns eine bleibende Erfahrung. Wir sind Menschen begegnet, denen mit geringem Aufwand ohne hochspezialisierte Medizin sehr gut geholfen wird“, so die einhellige Erfahrung der beiden Ärzte (Foto).
Dem gesamten Team von 200 Mitarbeitern ist es gelungen, dass dieses Krankenhaus unter schwierigen Bedingungen ein nicht wegzudenkender Versorgungsschwerpunkt für die Bevölkerung im weiten Umkreis ist.
Um der Basisversorgung gerecht zu werden und die Leitlinien der Diagnostik und Behandlungen umzusetzen, muss die Finanzierung moderner Medikamente und apparativer Ausstattung nach den Vorgaben der Regierung gesichert werden. Hier wird unermüdlich mit großem Engagement unter den gegebenen Umständen hervorragende medizinische Versorgung geleistet.
Das Krankenhaus finanziert sich zu 50 Prozent durch die Beiträge der Patienten und 50 Prozent durch Spenden. Für die landesweiten Programme gegen HIV, Tuberkulose und für Impfungen gibt es staatliche Unterstützung. Jede Hilfe ist herzlich willkommen.

Homepage: www.attat-hospital.de

Spenden für das Krankenhaus sind möglich:
Missionsärztliche Schwestern Deutschland
Stichwort: Attat Hospital (sehr wichtig!)
Bank im Bistum Essen
IBAN: DE40 3606 0295 0047 4000 15

Autor:

Christa Herlinger aus Essen-Borbeck

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