Als Nikolaus von Schule zu Schule

Hans Adolf Rosenboom zieht von Schule zu Schule. Foto: privat
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„Seit ein paar Jahren spiele ich in der benachbarten Grundschule den Nikolaus“, erzählt der Rellinghauser Pastor i.R. Hans Adolf Rosenboom dem SÜD ANZEIGER. „Zu Beginn sammeln sich alle Kinder im Hauptflur. Dann pocht der Nikolaus an die Tür und wird hereingebeten. Freudig strahlende Gesichter erwarten mich, wie sie nur Kinder haben.“

Hans Adolf Rosenboom erklärt zu seinem „Nikolaus-Dasein“: Viele Kinder kennen mich schon aus den Vorjahren. Aber keines ruft: Das ist doch der Herr Rosenboom! Alle machen das „Spiel“ gerne mit. Nachdem sie Lieder gesungen haben, gehen sie in ihre Klassen zurück. Ich besuche dann Klasse für Klasse. Zwei Kinder tragen mir einen großen Korb hinterher, aus dem jedes Kind einen Weckmann geschenkt bekommt.

Etwa zehn Minuten Zeit

In jeder Klasse nehme ich mir ungefähr zehn Minuten Zeit und unterhalte mich mit den Kindern. „Wie hast du heute Nacht geschlafen?“ Kinder im Chor: „Guuuut“. „Hast du heute morgen gut gefrühstückt?“ Kinder: „Ja“. Ein Kind sagt: „Ich frühstücke morgens gar nicht.“ Ich: „Als Nikolaus komme ich weit herum in der Welt. Voriges Jahr um diese Zeit war ich in Bogota, in Kolumbien. Abends spät, es war schon dunkel, ging ich durch die Straßen und sah Kinder in euerm Alter vorbeihuschen. Ich hielt einen Jungen an und sagte zu ihm: „Mußt du nicht längst im Bett sein?“- „Ich gehe gerade ins Bett.“ – „Wo wohnst du denn?“ – „Komm doch mit, dann siehst du es.“ Ich folgte ihm unter eine Brücke. Die Lampen der Brücke spiegelten sich im Wasser, und so konnte ich trotz der Dunkelheit sehen, daß schon mehrere Kinder dort unter der Brücke lagen, auf Pappkartons. Einige hatten sich mit zerlumpten Decken zugedeckt. „Warum schläfst du hier und nicht zu Hause?“ – „Zu Hause sind wir viele Kinder und haben nicht genug Platz.“ – „Und wovon lebt ihr hier?“ – „Wir suchen in den Mülltonnen nach Brot- und Speiseresten. Manche von uns klauen auch. Wir sind die Straßenkinder von Bogota.“
Ich frage die Schulkinder: „Erinnert ihr euch, dass ich euch zu Beginn gefragt habe: Wie hast du geschlafen, und hast du gut gefrühstückt? Ihr seht: Nicht alle Kinder auf der Welt haben ein warmes Bett in einem eigenen Elternhaus. Nicht alle Kinder auf der Welt haben eine Mutter, die ihnen jeden Morgen das Frühstück bereitet oder sogar fragt: Was möchtest du denn heute morgen essen? Und wenn du sagst: Ich frühstücke morgens nie, dann weil du später um so mehr essen kannst, wenn du wieder zu Hause bist. So ein Weckmann, den ihr heute morgen bekommt, für ein Straßenkind in Bogota wäre das der Himmel auf Erden.“

Diese Geschichte erzählt Rosenboom achtmal hintereinander. Von Klasse zu Klasse verändert er sie. "Denn Sechsjährige oder Zehnjährige sind schon eine unterschiedliche Hörerschaft. Vor allem lerne ich aus den Reaktionen der Kinder und versuche, meine Gesprächsführung zu verbessern", so Rosenboom weiter. Die Frage: Warum schläfst du hier unter der Brücke und nicht zu Hause? lasse ich nicht den Straßenjungen aus Bogota beantworten, sondern fahre so fort: „Auf meine Frage senkt der Junge den Kopf und blickt auf seine nackten Füße.“ Oder in der übernächsten Klasse: „Der Junge sieht zur Seite, als wenn er meine Frage nicht verstanden hätte.“ Dann frage ich die Schulkinder von Rellinghausen: „Was meint ihr, was hat der Junge mir geantwortet?“ - Zögerlich, aber mit großem Ernst kommen Antworten aus der Klasse wie diese: „Meine Eltern streiten sich ständig. Das halte ich nicht mehr aus. – Mein Vater trinkt und schlägt mich. – Unser Vater ist abgehauen, und unsere Mutter dreht durch. - Mein Vater ist arbeitslos. Wir haben nicht genug Geld, um für alle ausreichend Essen zu kaufen.“
Bei diesen Gesprächen habe ich den Eindruck, dass meine Verkleidung als Bischof die Kinder nicht befremdet oder irritiert, sondern Vertrauen schafft durch Distanz."

Autor:

Michael Hoch aus Düsseldorf

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