"Den verbrannten Menschen, sein Stöhnen, vergess ich nie"

Rentner soll Obdachlosen angezündet haben – „jetzt kommt alles wieder hoch!“...

Das Gesicht von Günay ist in knapp sechs Monaten sehr ernst geworden. Seit Prozessbeginn - ein 69-jähriger Frohnhauser Rentner steht wegen Mordes vor dem Essener Schwurgericht – kommt wieder das Unvorstellbare hoch: Der mit Benzin überschüttete, stöhnende Berthold Lehmann. Sein Flehen: „Hilfe, das tut so weh! Das tut so weh!“ Die junge Frau steht ihm gegenüber; versucht zu lindern; riecht den schwarzverkohlten Körper. Seit Juli steht sie in traumatischer Behandlung…

Die Erzieherin hatte versucht, den brennenden Mann mit einer Flasche Wasser Linderung zu verschaffen. „Der Anblick war so schrecklich. Ich konnte kein Gesicht erkennen.“

Auch die Kollegin Gertrud wusste nicht, wer vor ihr in Todesnot stöhnte. Nur eine schwarze Menschenmasse war zu sehen. Den Berthold – tja, den kannten sie alle gut. Denn er fungierte in den Ferien und wenn die Städt. Kindertagesstätte Schwedenheim dicht war, quasi als Hausmeister; beobachtete immer, ob im und am Gebäude alles okay war. Barbara Görgen, Leiterin, steckte ihm ab und zu Euros zum Telefonieren in die Tasche. Die Köchin reichte ihm mal was für den Magen. Doch an seinem Todestag war der Mensch Lehmann, den der 68-jährige Rentner aus Wut im Streucontainer vermutlich anzündete, nicht mehr zu erkennen. Das bestätigt auch Erzieherin Gertrud, die bei seinem Anblick sofort geistesgegenwärtig die Parkeingänge absicherte, damit sich keine Schaulustigen bildeten.

Das Opfer erlitt schwerste Verbrennungen, starb Stunden später an Herz-Kreislauf-Versagen.

„Die Schmerzensschreie eines Sterbenden vergisst man nie“, so Barbara Görgen. „Das Erlebte war so einschneidend, dass die Erzieherinnen an dem Tag den geplanten Tagesausflug nicht begleiteten, weil sie aufgrund dieser traumatischen Begebenheit die Verantwortung für die Kinder nicht mehr übernehmen konnten. Erst wenn man dann zur Ruhe kommt, alles Revue passieren lässt, merkt man, dass die Gräueltat einen schweren Schock ausgelöst hat.“

Durch das Jugendamt der Stadt Essen „Impuls“ wurde spontan psychologische Hilfe angeboten, die von beiden Kolleginnen direkt genommen wurde. Sie wurden aufgrund der hohen psychischen Belastungen daraufhin sofort vom Dienst befreit. Erzieherin Günay war fast drei Wochen arbeitsunfähig. Gleichzeitig begann sie mit einer Trauma-Therapie. „Jede Woche einmal. Und sie läuft noch weiter…Wir arbeiten ja immer an dem Tatort direkt vor unserer Tür. Ich habe die Bilder im Kopf, was man Berthold angetan hat. Wenn ich jetzt Filme sehe mit Brand, Flammen – furchtbar. Oder alles was mit „Grillen“ in Verbindung steht. Der Therapeut sagte mir, „dass Bild vom pechschwarzen Mann wird immer im Kopf bleiben; aber nicht so erschreckend bleiben wie im Anfang. Ich kann jetzt besser damit umgehen.“
So sieht es auch Erzieherin Gertrud. „Ich hatte das Bedürfnis, viel darüber zu reden, um das Furchtbare zu verarbeiten. Die Bilder werden ein bisschen blasser. Vergessen geht nicht!“

Die Staatsanwaltschaft geht von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten aus. Er leide unter einer Persönlichkeitsstörung - stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Die Staatsanwaltschaft strebt deshalb die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik an. Die Entscheidung des Landgerichts soll am 25. Januar fallen. Insgesamt sind vier Verhandlungstage für den Prozess angesetzt.

Günay ist sicher: „Das war geplanter Vorsatz bei der Tat!“

Berthold - und der Rache-Rentner

Berthold Lehmann, Frohnhauser Obdachloser, der ohne finanzielle städtische Hilfe lebte, wurde am 6. Juli 2011 vermutlich von dem Frohnhauser Rentner Manfred G. (69) heimtückisch im Streucontainer, Westpark, mit Benzin überschüttet. Angeblich hätte er aus dessen Wohnung Uhren und Handy mitgenommen. Der 58-ährige Lehmann starb noch am gleichen Tag; 95 % seiner Haut waren verbrannt. Die Bevölkerung war über die Tat erschüttert.
Udo Marx, Essener Musiker, löste mit seinem Benefizkonzert am 8. Juli auf dem Frohnhauser Markt eine Hilfslawine bei den Bürgern aus. Mit im Boot saßen seitdem u. a. Bezirksvertretung III; Hartmut Hagen, Leiter Polizeisonderdienst; der Deutsche Werkbund – Bernd Hutschenreuter - Jan Borman, Bildhauer aus Castrop-Rauxel; Georg Schaab, Steinmetzmeister, Bildhauer, Essen, Wickenburg; Frohnhauser Marktobmann Wolfgang Dotten; Grün und Gruga Essen Dirk Heimeshoff; Barbara Görgen, Leiterin Schwedenheim. Eine Stele im Westpark für Berthold entstand durch die Gemeinschaftsarbeit – als Mahnmal an das grauenhafte Geschehen.

Foto: Schattberg

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

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